09.11.2024 / 10 Uhr / 42,195 km / 188 Hm+ / 188 Hm- (Gruppenlauf)
BM = Bornaer Marathon, Bestzeiten-Marathon, Bier-Marathon oder gar "Baumfällung Müller"?
Mächtige hölzerne Walzen eines vor langer Zeit gefällten Baumes zieren irgendwo im letzten Drittel des Bornaer Marathons den Wegesrand. Sie sind mit dem Kürzel "BM" versehen, welches allerhand Interpretationsspielraum bietet, der jedoch im näheren Umfeld der Marathonveranstaltung zu verorten scheint. Skeptiker vermuten im Werdegang dieses Baumes sofort den symbolischen Niedergang dieser gruppengeführten Laufveranstaltung, welche mit sinkenden Teilnehmerzahlen zu kämpfen hat. Vor ein paar Jahren war einer der auf 60 limitierten Startplätze quasi nur "unter der Hand" mit dem DDR-Vitamin B (Beziehung) zu ergattern. Zur diesjährigen Veranstaltung blieb hingegen knapp die Hälfte der Startnummern unvergeben. Droht demzufolge (bei weiter abflauendem Interesse) das Aus der herbstlichen Kultveranstaltung?
Nun ist der Marathonlauf in Borna anders als seine Artgenossen im restlichen Laufkalender. Er ist ein Gruppenlauf mit versetzten Startzeiten - das Ergebnis des einzelnen Läufers ist demzufolge uninteressant, denn es herrscht Gruppenzwang. Dieser gipfelt darin, daß, wenn sich alle an die Vorgaben ihrer Gruppe halten, sämtliche Teilnehmer um 15 Uhr die Ziellinie vor der Glückauf-Sporthalle in Borna überlaufen. Dies ist (in dieser Form) natürlich noch nie passiert und wird sicherlich auch nie so geschehen, denn die Zeitvorgabe der jeweiligen Gruppe ist nur eine grobe Richtlinie.
Teil des 5-Stunden-Startblocks
Dieses Jahr ist die Einteilung der Läufer nur noch in vier Gruppen erfolgt: Zielzeit 5:30, 5:00, 4:30 und 4:00 Stunden. Es gab mal noch eine 3:30-er Gruppe, doch dieses Klientel der "schnelleren" Marathonis fühlt sich scheinbar nicht mehr angesprochen. Dies allein sollte den Teilnehmerrückgang nicht erklären, denn die Markierung der Strecke ließe in diesem Falle ein Ausbrechen aus der Gruppe (also das Entfernen vom Fahrrad-Begleiter) zu. Nur das Eintakten der Unterwegsverpflegung würde für diese Querulanten nicht mehr funktionieren. Doch Bestzeitenjäger finden unnötige Stops während des Rekordlaufes sowieso nur störend und haben notfalls ihr Überlebenspaket an Gels und anderer chemischer Nahrung am Mann. Dies konnte man bei früheren Veranstaltungen beobachten, als völlig vom Lauf ausgemergelte, personenähnliche Gestalten den letzten (stationären) VP links liegen ließen - die Mühen der Organisatoren also mit Füßen traten, um irgendwo im Marathonzeiten-Niemandsland zu enden.
Gemeinsame Zielzeit: 5 Stunden für 42,195 km
Der Marathongenießer oder gruppengebundene Marathoni wird auf seiner Runde von einem Begleitfahrzeug versorgt, welches die VP-Punkte ansteuert. Dabei gibt es alles notwendige, was eine Zielankunft garantiert: Kalt- und Warmgetränke (allerdings nur am letzten Stand "mit Schuß"), Riegel (mit Cerealien), Schokolade (von unblauen Kühen), Obst (regional und global), Brot (in Scheiben mit Zutaten) und Traubenzucker (das herkömmliche Allheilmittel bei Leistungsabfall). Wenn man am VP etwas skrupellos ist und den Sportsgeist nicht ganz so achtet, kann man zudem (wenn es zeitliche Überschneidungen an den fixen Streckenpunkten gibt) zuerst den Versorgungsstand einer anderen Gruppe "leerfressen" (um diese gezielt zu schwächen). Doch diesen Gedanken hegen sicherlich die wenigsten in Borna.
e-Runner (Elektromobilitätsläufer) / Herdentrieb der Gruppenläufer
Für ein (inflationsangeglichenes) niedriges Startgeld erhält man neben der Rundum-Versorgung ein Teilnehmer-Hemd. Dieses wechselt von Jahr zu Jahr die Farbe und manchmal auch die Beschaffenheit (Baumwolle- oder Funktionshemd). Es ist außerdem ein unterschwelliger Appell an die zeitgenössische deutsche Sprache, welche sich zunehmend von der Verwendung von Bindestrichen entfernt und somit das Lesen von Texten mit diesem Laster unnütz erschwert. Die Organisatoren des Bornaer Marathons (Schreibweise "Bornaer-Marathon") setzen da (gegen den Trend) lieber einen Strich zuviel. Eine lobenswerte Aktion mit Alleinstellungsmerkmal für Borna. Bei der diesjährigen Hemdfarbe orientierten sich die Macher allerdings en vogue am Jubiläumshemd des Rennsteiglaufes, der zur 50. Veranstaltung 2023 in Schmiedefeld die Zieleinläufer von Eisenach mit einem schweinchenrosa Leibchen "bestrafte". Das macht man nicht! Für Borna gilt daher: diese Verfehlung ist durch und wird nicht so schnell wieder den Zyklus der Hemdfarbe betreffen.
Novembernebel
Für unsere Gruppe geht es 10 Uhr los. Seit zwei Jahren wird eine kleine Einführungsrunde um den benachbarten Wohnblock gelaufen, da ein Marathoni keine Distanzen unter 42.195 Metern akzeptiert. Das Fehlen von einigen Metern wurde bei vorangegangenen Veranstaltungen ab und zu durch die allwissenden Aufzeichnungsgeräte der Teilnehmer festgestellt, woraufhin diese nach Zieleinlauf noch planlos im Laufschritt und permanenten Blick auf die Laufuhr durch die Gegend irrten, um ihre Aufzeichnung erfolgreich abzuschließen. Klar, daß sich der Veranstalter dieses Geklapse nicht länger ansehen wollte und deshalb diesen Affentanz an den Anfang des Laufes setzte. Die Läufer, deren Uhren stets mehr als die geforderte Marathondistanz aufwiesen, fanden allerdings kein Gehör, um die Strecke abzukürzen.
Imbiß? Jetzt aber schnell!
Doch irgendwann, nach Verlassen der Großen Kreisstadt, ist dieses Klein-Klein vergessen und alle verschwinden gleichermaßen im Novembernebel, der sich über die vom Kohleabbau gezeichneten Natur gelegt hat. Bleibt zu hoffen, daß da die Satelliten ihre Schützlinge (und deren Uhren) nicht aus den Augen verlieren - sonst steht demnächst die nächste Streckenverlängerung ins Haus. Diese liese sich ganz gut um die vielen vorhandenen Seen im ehemaligen Tagebaugebiet legen und bliebe dabei auch weiterhin tellerflach. Aktuell (und sicher auch in Zukunft) verläuft die Runde um den Bockwitzer See und den Harald-Krug-See zum Harthsee. Die Speicherbecken Borna und Lobstädt flankieren den Kurs zu Beginn der zweiten Streckenhälfte, ehe final noch der Hainer, Kahnsdorfer und Haubitzer See passiert werden.
Mobiler Bierausschank
Unsere Gruppe scheint exorbitant schnell unterwegs zu sein. Die ersten Kilometer fliegen uns regelrecht um die Ohren, doch ein Marathon wird nicht nach den ersten Streckenabschnitten abgerechnet oder mit anfänglichen Zwischenzeiten hochgerechnet. Diese Distanz hält so viele Ungereimtheiten parat, daß man sich von VP zu VP durchschlägt und am Ende gezwungenermaßen das erbrachte Ergebnis hinnehmen muß. Ein guter Mix aus zügigem Laufschritt und angemessener Pausenzeit sollte für unsere "Leistungsgruppe" und deren (nach außen hin) sportlich bedeutungsloses Ziel ausreichend sein. Früher durften 42-er Trainingsläufe "aus der Kalten heraus" keine vier Stunden in Anspruch nehmen, doch heute wäre dies regelrecht ambitioniert. So ändern sich die Richtlinien - die Olympianorm des Lauffaulen ist derzeit die Fünf-Stunden-Marke und Lauftraining beschränkt sich auf maximal zwei Stunden, wenn es denn überhaupt stattfindet.
Isotonische Kaltgetränke gegen die ausbleibende Mittagshitze
Es ist und bleibt ungemütlich, der triste Novembertag scheint noch keinerlei Spuren des vielgepriesenen Klimawandels zu enthalten. Deshalb verzichte ich auch auf das "Abbaden" im Hainer See, welches vor zwei Jahren noch problemlos möglich war. Damals lauerte uns in Kahnsdorf Exil-Einsiedler Mirko auf. Er hatte eine zusätzliche Ration Flaschenbier dabei, welche gern von seinem Rucksack in unsere von Mineralien leergefegten Körper wechselte. Für heute ist dieser Treff telefonisch zeitgenau festgelegt, denn diese isotonische Zwischenmahlzeit kann man nicht dem Zufall überlassen. Doch unsere Marschtabelle ist ihrer Zeit weit voraus und so kommt es, daß unsere Zusatz-Getränkestelle wegbricht. Doch pflichtbewußte "Wasserträger" wissen um die Notwendigkeit ihrer Mission und satteln kurzerhand aufs Fahrrad um, mit dem man die ausgebüxte Marathoni-Herde noch einfängt. Welch' Glück für uns und diesen großartigen Moment des Genußes (auch wenn es kurz darauf den offiziellen Bierausschank gibt). Das Hochgefühl des Läufers (als "Runners high" bekannt) ist nun kaum noch zu bremsen und sichert die anvisierte Zielzeit von zirka fünf Stunden ab. Beim anschließenden gemütlichen Beisammensein kann man diese fünf Stunden noch einer genaueren Analyse unterziehen oder man belässt es beim Genuß von Speis und Trank.
Zielzeit: 4:54:59 Stunden
Zielzeit: 4:57:23 Stunden
Falls sich nun jemand bis zum Ende dieses Artikels durchgekämpft hat, bleibt mir nun die Bitte um Eintrag des Bornaer Marathons in den persönlichen Terminkalender der nächsten Jahre. Schließlich will ich da auch wieder mitlaufen - nur dafür müsse man den rührigen Organisatoren auch das nötige Interesse bekunden und sie zum Weitermachen animieren. Einen Marathon kann jeder hinter sich bringen. Gerade in Borna ist diese Art der Zielsetzung auch für Quereinsteiger und Marathonnovizen ein Klacks, denn man muß die Distanz nicht am Stück durchlaufen. Es müssen ja nur die acht kurzen Abschnitte (variierend von drei bis sechs Kilometer) zwischen den Verpflegungen überstanden werden - definitiv für Sportler machbar. Die moderaten Zielzeiten lassen zudem längere Essens-, Trink- und Erzählpausen an den mobilen VP's zu und nach 42,195 zurückgelegten Kilometern gibt es zum vorher gereichten Teilnehmerhemd eine Finisher-Medaille obendrauf.
Hemd und Medaille in s/w - damit der schweinchenrosa Verfehlung nicht gehuldigt wird
Einen Tag nach dem Bornaer Marathon fand immer der Werdauer Herbstlauf statt. Im Rahmen dieser Veranstaltung gab es auch einen Marathonlauf, der jedoch als klassischer Wettkampf über die (Wald-)Bühne ging. Das Startgeld betrug nicht mal ein Zehntel seines Pendants in Berlin und trotzdem überlebte er im Laufkalender nicht. Dieses Schicksal sollte mahnend für einen Erhalt der urigen und familiären Marathonveranstaltungen stehen - bei denen man im Vorfeld um das Anrecht auf einen der limitierten Startplätze zittern muß (so wie es früher einmal war). Daher: Wer das gelesen hat, meldet sich zum 19. Bornaer Marathon an! Punkt! Keine Widerrede!