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Rundenhatz

Chemnitzer Biermeile 2025

30.07.2025 / 18:13 Uhr / 1.609,344 m / 16 Hm+ / 16 Hm- / "inoffizieller Wettkampf"

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Chemnitzer Biermeile - alles klar, kenne ich! Doch der erste Gedanke ist oft der falsche! Denn hierbei handelt es sich nicht um den jährlich stattfindenden Brauereimarkt in der Chemnitzer Innenstadt, bei dem man sich durch viele internationale Biersorten testen kann. Bei der Biermeile geht es um Sport nach strengen Regeln - eine Sportart, die neben läuferischen Fähigkeiten auch eine gewisse Trinkfestigkeit voraussetzt.

Die Meilendistanz, als längste Mittelstrecke des Laufsports, ist die einzige nichtmetrische Laufdisziplin, über die noch Weltrekorde geführt werden. Die Versuche des Brechens der Vier-Minuten-Marke über die 1.609,344 Meter zogen sich dabei ewig hin. Erst am 6. Mai 1954 erklärte sich (nach mehreren zuvor knapp gescheiterten Versuchen) der Brite Roger Bannister bereit, diesen "Meilenstein" zu erledigen. Mit einer Zeit von 3:59,4 Minuten blieb er als erster Mensch unter der Vier-Minuten-Grenze. Mittlerweile liegt der Weltrekord über diese Distanz bei 3:43,13 Minuten - aufgestellt vom Marokkaner Hicham El Guerrouj am 7. Juli 1999 in Rom. Den Weltrekord in der Halle hält der Norweger Jakob Ingebrigtsen (3:45,14 Minuten am 13. Februar 2025 aufgestellt), der auch den Europarekord mit 3:43,73 Minuten (16. September 2023) innehat. Jener Ingebrigtsen lief zudem bei seinem Junggesellenabschied die sogenannte Biermeile - eine Disziplin, die hier nun näher beleuchtet werden soll.

300725 cbm 005 Fotor CollageBiermeilen-Übungseinheit im Limbacher Waldstadion

Die Biermeile besteht aus einem Mix von Sauf- und Laufsport und wird fast ausschließlich auf einer 400-Meter-Bahn ausgetragen. Die internationalen Regeln besagen dabei, daß eine Distanz von 1.609,344 Metern zurückgelegt werden muß, bei der zu Beginn und nach jedem Viertel der Laufdistanz (außer dem letzten, dem Zieleinlauf) eine Flasche oder Dose mit 12 Unzen Bier (= 355 Milliliter), welches mindestens 5% Alkohol enthalten muß, nahezu rückstandslos (bis auf eine Unze pro Flasche) geleert werden muß. Dabei sind handelsübliche Flaschen oder Dosen zu benutzen. Es ist verboten, durch Hilfsmittel (Strohhalm, Quetschen oder Durchstechen der Dose) eine höhere Ausflußgeschwindigkeit zu erzielen. Bei (zwischenzeitlichem) Erbrechen muß eine Strafrunde von 400 Metern angehängt werden.

300725 cbm 010 FotorWarmlaufen auf dem Kulturhauptstadt-Parkplatz

Den Weltrekord in dieser Sportart hält der Canadier Corey Bellemore (dessen pB über die "normale" Meile bei 3:57 Minuten liegt), welcher am 23. Oktober 2021 als erster Mensch unter der magischen Viereinhalb-Minuten-Marke blieb: sagenhafte 4:28,1 Minuten vermerkte der Protokollant damals. Am vergangenen Wochenende (26. Juli 2025), bei den 11. Beer Mile World Classics in Lissabon verbesserte er diese Marke um eine weitere Sekunde auf 4:27,1 Minuten. Im Rahmen dieser Veranstaltung stellte Fritz Biniok den Deutschen Rekord (nach internationalem Reglement) auf 5:22,3 Minuten - zum Vergleich: Doppel-Olympiasieger Jakob Ingebrigtsens Debüt auf dieser Distanz endete bei seinem oben erwähnten Junggesellenabschied "erst" nach 5:22,42 Minuten (da liegen im leichtathletischen Maßstab Welten zwischen diesen beiden). Der Deutsche Rekord mit 0,33-er Bierflaschen datiert vom 26. Oktober 2024, als bei der St. Ingberter Biermeile Jasper Ortfeld 5:11,0 Minuten benötigte.

300725 cbm 011 FotorKann losgehen!

Bei den Frauen stellte die US-amerikanische Lang- und Mittelstreckenläuferin Shelby Houlihan (u.a. mit 3:54,99 Minuten 1.500-m-Nordamerikarekordhalterin), während ihrer fünfjährigen Dopingsperre, im Juni 2023 die Biermeilen-Bestmarke auf - 5:43,81 Minuten. Der Europarekord (und Deutsche Rekord) der Frauen wird seit dem 26. Juli 2025, mit einer Zielzeit von 6:07,5 Minuten, von Katja Tegler aus Münster gehalten.

300725 cbm 016 Fotor Los gehts!

Von diesem ganzen Rummel auf internationalem Parkett schwenke ich ins beschauliche Chemnitz - sportlich eher eine Randnotiz (obwohl einst als "Sportstadt" tituliert), doch kulturell eine gaaanz große Hausnummer. So vermutet man es zumindest, wenn man sich dem diesjährigen Hype um die "Kulturhauptstadt Europas" verbunden fühlt. Sicherlich kann man dies so wahrnehmen, wenn man direkt vor Ort wohnt und ständig mit neuem Klamauk dieses Projekts beweihräuchert wird. Doch kommt dies wirklich europaweit an? Es gibt ja noch eine zweite "Kulturhauptstadt Europas 2025" - das slowenische-italienische Görz (Nova Gorica/Gorizia). Schon mal irgendwas in diesem Zusammenhang von dort gehört? Sicherlich nicht! Im Umkehrschluß beweist (mir) dies die Bedeutungslosigkeit Chemnitz' in der Kulturlandschaft Europas.

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Dieses sportliche und kulturelle Mittelmaß benötigt daher dringend eine Auffrischung. Die Anlage des Höhenwegs von Adelsberg nach Harthau (mit seinen Hinweistafeln und Rastplätzen) war da ein kleiner Lichtblick, die Begeisterung der Zuschauer beim "Kulturhauptstadt-Marathon" im Mai eher nur ein Strohfeuer. Schließlich bleibt dieser Veranstaltung das Makel der Eintagsfliege, da die Stadtverwaltung von Chemnitz solch' gewaltige Straßensperrungen zur Absicherung des Laufes (an einem Sonntag!) nicht noch einmal durchdrücken kann. Blödere Ausreden finden sich nun mal nicht, denn der Chemnitzer fährt seit Jahren von einer Umleitung zur nächsten, weil die Innenstadt eine Dauerbaustelle ist. Und wie regeln die großen (etablierten) Stadtmarathons dieses Problem? Egal, kommen wir zum (für die Eröffnungsfeierlichkeiten jener Kulturhauptstadt angelegten) Parkplatz an der Fraunhofer-Straße. Dieses fußballfeldgroße Areal wurde seinem Zweck nur bedingt gerecht, da an besagtem Tag ein Kraftfahrzeug (!) die Chance des kostenlosen Parkens nutzte. Doch das nur nebenbei, denn hier findet nun an einem Mittwochabend eine geniale Mischung aus Sport und Kultur statt - die Biermeile der Chemnitzer Lauf-KulTour.

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Dieser inoffizielle Wettkampf orientiert sich grob an den Regeln der Biermeile, wird aber, in Bezug auf Streckenlänge und Reglement wesentlich legerer gehandhabt als vorgeschrieben. Die Pendelstrecke (mit Gefälle bzw. Anstieg) ist etwas über 400 Meter lang und die Getränkezone befindet sich hinter dem oberen Wendepunkt. Beim Klassement wird in Halbliter und 0,33-er unterschieden. Der Dosen- oder Flascheninhalt muß nicht zwingend aus Bier bestehen, sondern sollte nur kohlensäurehaltig sein (alkoholfreies Bier, Cola, Sekt). Ausgetrunkene Flaschen müssen zum Beweis verkehrt herum über den Kopf gehalten werden, bevor man in die Laufrunde übergeht. Wer sich während des Wettlaufs und bis zu zehn Minuten nach Zieleinlauf übergibt, wird disqualifiziert oder er beginnt den Lauf von vorn - wobei die Zeit von "vorher" weiterläuft. Da jeder Läufer für seine "Wettkampfausrüstung" selbst verantwortlich ist, scheidet diese Variante eher aus, denn niemand rückt hier mit acht Getränkeflaschen an.

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Im Gegensatz zur Lauf-KulTour, die diesen Wettkampf einmal jährlich durchführen (und daher eine gewisse Übung vorweisen können), stecken Ute und ich nicht so tief in der Materie. Ohne Training verbietet sich jedoch eine Teilnahme an einer so hochkomplexen Herausforderung. Daher wird wenigstens einmal (und auch nur mit einem Bier und einer Runde) geübt. Im Anschluß an das Mittwochstraining im Limbacher Waldstadion stellen wir uns zu dritt diesem Wettkampfformat. Neun Meter Trinkzone (für ein kühlschrankkaltes 0,5-er Bier) mit anschließender 400-Meter-Stadionrunde. Mein Ergebnis ist dabei erschütternd - letzter (oder eben dritter) Platz nach 2:53,85 Minuten, wobei das Biertrinken ("Hartmannsdorfer Pils") schon satte 58 Sekunden in Anspruch nahm.

300725 cbm 014 FotorDas kräftige Malzaroma setzt dem Körper ganz schön zu

Neuer Versuch, neues Glück! Ein Potpourri an heimischen Biersorten steht für meinen Auftrag bereit. Eine kurze Ansprache des Organisators und die Uhr läuft 'runter. Flasche öffnen! Ein "Echt Einsiedler Böhmisch" (5,2% alc.) mit seinem "vollmundig malzaromatischen Geschmack" macht den Anfang. Verhältnismäßig gut läuft das Wettkampfgetränk vom Einsiedler Brauhaus in den Schlund. Trotzdem vergeht eine geschlagene Minute, bis ich in den Laufmodus wechseln kann. Da läuft man eben dem Feld hinterher.

300725 cbm 013 Fotor CollageGenuß vs. Qual

Meine "Trinkpause Nr. 2" am Streckenwendepunkt unterstützt die Privatbrauerei Fiedler aus Oberscheibe. Mit einem "Fiedler Magisterbräu" (4,7% alc.) gönne ich mir eine "Bierspezialität mit betonter Hopfennote". Das "Schwarzbier mit dem angenehm kräftigen und würzigen Malzaroma" benötigt allerdings schon die doppelte Zeit, nämlich zwei Minuten, um im Körper zu versickern. Es wird langsam eng im Wanst, die Saugfähigkeit des Körpers gerät an ihre Grenzen.

300725 cbm 006 Fotor CollageZieleinlauf von Ute (12:01 min) und Zieleinlauf des Vorletzten (26:09 min)

Beim dritten Getränkestop hilft mir die Privatbrauerei Specht aus Ehrenfriedersdorf, mein bestehendes Wettkampfgetränke-Defizit auszugleichen. Mit dem "Specht Export" (5,0% alc.) halte ich ein Bier in der Hand, "das Kenner schätzen." Für das "süffige, betont malzige, mit aromatischer Hopfennote" versetzte Getränk benötige ich mittlerweile dreieinhalb Minuten. Gut Ding will Weile haben - die Anzeichen, daß dieser Wettkampf für mich im Genußlauf enden wird, verhärten sich zunehmend. Mittlerweile sind auch die ersten Zielankünfte zu verzeichnen und ich habe gerade die Hälfte der Laufstrecke hinter mir.

300725 cbm 002 Fotor CollageDie verpflichtende Flasche-über-dem-Kopf-Restentleerung sowie die Auswertung auf Coros

Nach einem Balanceakt auf der 400-Meter-Strecke, wo zu starke Erschütterungen beim Bergablaufen eine Explosionsgefahr im Magen heraufbeschwören könnten, geht es zum (vorerst) letzten Mal an die Tränke. Geduldig wartet da vom Bergt-Bräu Reichenbrand ein "Reichenbrander Helles" (4,2% alc.) - "ein schlankes Bier mit vollmundigem Geschmack und abgerundeter Bittere". Was ich dann allerdings nur unter Vorbehalt teilen kann, ist die Bewertung des Sommeliers (auf der Internetseite des Brauhauses) zu diesem Bier: "... Die Nase freut sich über den Duft einer bunt gemischten wilden Sommerwiese, aus dem Heu und Zitrus sowie Blütenhonig hervorstechen. Die Honignoten bestätigen sich auch beim ersten Schluck, ihnen folgen dann unter starkem Prickeln der Geschmack von Getreide und eine dezente Bittere. Der insgesamt weiche und runde Abgang unterstreicht den Eindruck eines ausgewogenen, dezenten und trotzdem charaktervollen Hellen." Wow, das habe ich doch alles viel anders erlebt! Die Angst trinkt schließlich mit - eine Rückmeldung aus dem Magen wird bei zunehmend größerer Druckbetankung immer wahrscheinlicher. Um dies im Zaum zu halten, drossel' ich mein Trinktempo auf ein Rekordtief - nach 9:45 Minuten ist der halbe Liter drin. In einer gut beheizten Kneipe wäre das Bier nach diesem Zeitraum sicherlich schon schal geworden. So etwas würden meine Geschmacksknospen heute gar nicht mehr registrieren.

300725 cbm 008 FotorFinisher der 2025-er Biermeile

Noch einmal muß ich auf die Strecke. Dort bin ich allein. Jetzt heißt es für mich, wohldosiert die letzten 400 Meter ins Ziel zu bringen. Nach vorn geht nichts mehr und nach hinten ist Platz, denn ein Teilnehmer hat noch an seinem vierten Getränk zu kauen. Nach 26:08,67 Minuten stoppe ich meine Uhr und noch zehn Minuten muß der Körper die ihm aufgezwungene Flüssigkeit bei sich behalten. Es gelingt - ich habe (wenigstens) den Status eines "Biermeilen-Finishers"!

300725 cbm 003 FotorLinks das Podest der Halbliterklasse, rechts das Podest der 0,33-er Klasse

Und was kommt nach dem Lauf? Nach jedem Lauf! Klar, das Zielbier! Da hat doch Friedmar mit einem ganzen Kasten "Budweiser Budvar" (5,0% alc.) für eine zünftige Zielverpflegung gesorgt. Natürlich handelt es sich bei diesem süffigen Lagerbier um das Original des tschechischen Staatskonzerns aus Budweis und nicht um die (amerikanische) Anheuser-Busch-Marke, in der sogar genmanipulierter Reis Verwendung findet.

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Zusammenfassend kann man diese etwas härtere Art einer After-Work-Party als kulturell wertvolle Feierabendbeschäftigung (allerdings nicht für jeden Tag in der Woche gedacht) einstufen. Eine Veranstaltung, die unter dem Radar der breiten Öffentlichkeit abläuft und trotzdem das Zeug zum Aushängeschild in Sachen Sport und Kultur für Chemnitz hat. Mal sehen, wohin hier die Reise noch geht. Ein großes Dankeschön für diese sportlich-kreative Horizonterweiterung geht an die Organisatoren der Lauf-KulTour.

Standbilder: fast ausschließlich von Tilo Kozlik (Danke für deine Unterstützung!)