19.04.2015 - 10:30 Uhr - 42,195 km / 10 Hm+ / 10 Hm-
Der Gute-Laune-Zug ist nun definitiv abgefahren: Ergebnisauswertung am alten Bahnhof in Burg.
"Ein Marathon geht immer!", die uralte Parole, die stets unsere Wettkampfplanung beherrschte, wurde auch heute wieder angewandt - da kann der Rücken noch so zwicken und der Trainingsplan gar keine "Berechtigung" für die ominösen 42,195 Kilometer bereithalten! Wir entscheiden uns trotzdem am Vorabend für das unkomplizierte Nachmelden beim Spreewaldmarathon und sitzen des Morgens im Auto Richtung Brandenburg.
Mein Dilemma ist verhältnismäßig schnell erzählt: Die Woche über kündigten sich bei mir (auch nicht unwesentlich durch die Arbeit bedingt) die periodisch im Herbst und Frühling auftretenden "Nachwehen" meines Bandscheibenvorfalls von 2011 mit immer stärker werdenden Rückenschmerzen an. In solchen Fällen greift der ambitionierte Freizeitsportler zwar dann auch schnell mal zu diversen Schmerzmitteln, um die Sache erträglich zu gestalten - ich lehne diesen "Betrug am Körper" jedoch ab und wähle das altbewährte Rezept der Rückengymnastik, welches sich allerdings nur auf Dehnungsübungen beschränkt.
Also gilt für den Marathon: je schneller ich damit fertig bin, umso eher hat der Rücken wieder seine Ruhe. Klingt einleuchtend und ist doch sooo einfach! Ich klinke mich anfangs bei flotten Halbmarathongruppen ein und muß ab Kilometer 6 schon etwas zurückstecken, ab dem Beginn der zweiten Runde ist dann der Schmerz auch schon wieder im Ischiasnerv zu spüren und ab Kilometer 24 geht es nur noch (zeitlich) steil bergab. Bis dahin war ich eisern und hab nicht ein einziges Mal auf meine Uhr geschaut und bin immer nur nach Gefühl gelaufen, danach hole ich jedoch die mir fehlende persönliche Zeitkontrolle doppelt und dreifach im Halbminutentakt wieder nach.
Das Minimalziel von dreieinhalb Stunden verfehle ich obendrein. Deshalb mache ich mich im Anschluß mit zwei (alkoholfreien) "Frustbier" wieder an die Strecke, um auf Ute zu warten. Sie kommt jedoch schon, als ich noch nicht einmal richtig Platz genommen habe. Ein paar Meter begleite ich sie noch bis zum Einbiegen in die Zielgasse ... den Rest erzählt sie diesmal selbst:
Da stehe ich nun endlich mal wieder im Startblock als Läufer, bei meinem ersten Wettkampf in diesem Jahr. Bisher habe ich es vermieden, meinem Fuß die Belastung im "Ernstfall" zuzumuten. Wir stehen eine gefühlte Ewigkeit hier herum, da werden noch die Skater geehrt, einschließlich Geburtstagsständchen, aber die Läufer hören wohl alle nur mit einem halben Ohr zu, denn die Geräuschkulisse ist immens. Neben mir bemerkt eine Läuferin, zur allgemeinen Erheiterung der Umstehenden, daß sie eigentlich gar keine Lust hätte, sich jetzt ungefähr zwei Stunden für den Halbmarathon zu quälen. Mir ist es kalt, obwohl die Sonne schon ihre wärmenden Strahlen herunterschickt und ich muß ausgiebig gähnen, so tiefenentspannt wie ich hier am Start stehe, ist wahrscheinlich auch nicht normal. Es sind doch nur 42,195 km denke ich, aber nicht aus Überheblichkeit, sondern einfach nur aufgrund der vielen längeren Wettkämpfe, die nach meinem letzten Marathon vor über einem Jahr stattfanden. Genau aus diesem Grund blieben auch die Kompressionssocken für die längeren Wettkämpfe zu Hause.
Eisschnelllauf-Olympiasiegerin Claudia Pechstein beim Skate-HM. Ute wagt mal wieder einen Marathon!
Dann wird die Meute losgelassen, normalerweise sollten vorn die "Eliteläufer" stehen, mit 10-km-Zeiten unter 40 Minuten, Halbmarathon unter 1:25 Stunden und Marathon unter 3:00 Stunden. Nur daß dann in der zweiten Reihe alle die stehen sollen, die glauben auch irgendwie ins Ziel zu kommen, habe ich bestimmt überhört. Also muss ich mir auf dem ersten Kilometer etwas Lauffreiheit verschaffen, da stehen schon mal 6 min/km auf der Uhr, das ist dann doch ein bißchen zu langsam. Mein Plan ist, solange wie möglich mit geschlossenem Mund zu laufen, um nicht zu überziehen. Die nächsten Kilometer werden so im 5:00- bis 5:15-Minuten-Schnitt absolviert.
Der mp3-Player sollte etwas Abwechslung bringen, aber er verblieb im Auto, da Thomas meinte, es sei gar nicht erlaubt - hätte er gelesen. Also vertreibe ich mir die Zeit mit dem Mustern der Läufer. Manche haben ein Equipment dabei, als würden sie an einem Mehrtagesetappenlauf ohne Verpflegungspunkte teilnehmen. Die Laufbekleidung variiert auch von langer Hose, Jacke, Handschuhe und Mütze bis zum ärmellosen Hemd und Sprinterhose. Das Thermometer hat bestimmt schon nach den kühlen 6°C am Morgen den zweistelligen Temperaturabschnitt erreicht und ich fühle mich mit kurzer Hose und Shirt optimal angezogen.
Die Kilometer verstreichen recht flüssig und die 10-km-Läufer verlassen unsere Strecke, bevor wir das vierte Kilometer-Schild erreichen. Am ersten Verpflegungspunkt verspüre ich weder Hunger noch Durst, also laufe ich weiter, registriere aber, welche Auswahl an Getränken bereitgehalten wird. Im Training steht schließlich auch keiner nach 5 km im Wald und fragt mich nach meinen Getränkewünschen...
Bereits zum sechsten Mal renne ich hier im Spreewald herum, trotzdem erschließt sich mir der Streckenverlauf überhaupt nicht. Mal biegen wir links ab und dann wieder rechts und alles um mich herum sieht immer irgendwie gleich aus - Wasser, Weiden, Wiese, Feld und keine Anstiege, abgesehen von ein paar Brücken.
Biosphärenreservat Spreewald (Aufnahme 8.2.2015) ... das spreewaldtypische Storchennest.
Meine Uhr zeigt mir ein bißchen mehr Strecke an, als die aufgestellten km-Schilder, beim Erreichen der Halbmarathonmarke (wie frustrierend, die 21,1er sind schon im Ziel) stimmt der Chronometer aber wieder auffällig mit dem Schild überein. Das Läuferfeld ist nun übersichtlich ausgedünnt. Inzwischen habe ich mich auch an der Verpflegung mit Apfelschorle und einem Ministück Banane gestärkt, die Helfer sind überall supernett.
Die Schmerzen im Fuß kann ich noch ganz gut ausblenden und der "adidas boost" ist für heute eine gute Entscheidung. Ich verlasse den Asphalt so oft es geht und nutze den unbefestigten Randstreifen zum Laufen, um den Untergrund so weich wie möglich zu gestalten. Nach 25 absolvierten Kilometern ist für manche schon Wandertag, vielleicht zu schnell gestartet oder Krämpfe - nicht jeder Marathon geht wunschgemäß aus. Die Sonne meint es zudem recht gut, aber ich freue mich auch über jedes Lüftchen, welches etwas Abkühlung bringt.
Ein Läufer spricht mich auf meine geplante Zielzeit an, welch' unbequeme Frage. Ich versuche auszuweichen, aber er läßt nicht locker. Ich erzähle, dass ich hier meine Bestzeit von 3:38 h stehen habe und heute mit einer 3:45er Zeit zufrieden wäre, was auch der Wahrheit entspricht. Natürlich weiß ich, daß mir mein Fuß auch einen Strich durch die Rechnung machen kann. Dann ziehe ich wieder allein meine imaginäre Ideallinie auf dem Asphalt. Es sind relativ viele Zuschauer unterwegs für "Spreewaldverhältnisse", wir sind schließlich nicht beim Berlin-Marathon und sie klatschen und feuern an, ... endlich mal wieder ein paar Frauen ..., höre ich unter anderem.
Das 30-km-Schild kommt in Sicht und der Hinweis auf die nächste Verpflegung. Das Gel in der Hosentasche muss ja nicht ins Ziel getragen werden, also wird es konsumiert - naja richtig anfreunden werde ich mich mit dem Zeug wohl nie. Soviel Wasser kann ich gar nicht trinken, um das klebrige Gefühl loszuwerden. Nun fühle ich mich total überfressen und es rumort im Bauch. Noch 12 km bis ins Ziel, die können auch zur Ewigkeit werden. Muskulär ist alles in Ordnung, Fuß - mit dir rede ich erst im Ziel wieder, bis dahin mußt du einfach mit, bist ja zum Glück angewachsen.
Ab und zu wird man auf der Strecke von den Moderatoren angesagt, anhand der Startnummer identifiziert, sozusagen. Wie schön, wenn man (so wie ich) inkognito laufen kann, denn die Nachmelder wurden auf den Startlisten nicht eingetragen, so werden die vor mir laufenden Frauen namentlich genannt, zu meiner Startnummer gibt es nur den Kommentar: "Die 2858 haben wir nicht auf der Liste".
Die vorletzte Verpflegung naht, kurz davor haben es sich ein paar Anwohner oder Urlauber in ihren Campingstühlen an der Strecke mit ein paar Bierchen gemütlich gemacht. Kurzerhand halte ich an und frage nach einem Schluck Bier, was mir natürlich nicht verwehrt wird - herrlich sowas Bitteres nach dem ganzen Süßkram. "Endlich mal ´ne Frau mit Geschmack!", heißt es, Applaus gibt es obendrein und so kann ich die offizielle Verpflegung links liegen lassen. Die Strecke ist jetzt nach vorn und hinten lang einsehbar, irgendwie werden die Abschnitte zum nächsten Kilometerschild -gefühlt- länger. Allerdings weiß ich auch, daß ich ohne Zwischenstopp ins Gebüsch nicht bis ins Ziel komme.
Kurzer Blick nach hinten, der Vorsprung zur nachfolgenden Frau muß reichen, zumal mir der letzte Sprecher an der Strecke etwas von fünfter oder sechster Frau gesagt hat. Das stimmt zwar meistens nicht, aber ich möchte mich trotzdem nicht überholen lassen. Also verschwinde ich mal kurz zwischen den Weiden ...
Burg 15 °C, die Frisur sitzt und die Hose auch wieder. Noch zwei Kilometer, jetzt kommt zusätzlich so eine kleine Wendeschleife, bei der man der nachfolgenden Läuferin ins Gesicht blicken kann - ich glaube, da sind auch keine überdimensionalen Kräfte mehr für einen fulminanten Zielspurt zu erkennen. "Noch 1.000 Meter" verlautet das nächste Schild - auf die Uhr hab' ich ewig nicht mehr geschaut und mache es auch jetzt nicht. Ich würde mich über ein bißchen Unterstützung von Thomas freuen, aber da müßte es bei ihm sehr gut gelaufen sein, wenn er mich hier einen Kilometer vorm Ziel abholen könnte. Das 500-m-Schild steht schon fast im Ort, der erste Zielbogen in Sichtweite und Thomas sehe ich schon von weitem mit seinen zwei -wie ich dann erfahre- "Frustbieren".
Stilvolle Überreichung der "Gurken am Band" ... ... artgerechte Zielverpflegung!
Die schnellen Frauen hatten ja heute die Wahl zwischen mehreren Marathon-Veranstaltungen und so reicht meine Zeit hier sogar, um bei der Siegerehrung aufgerufen zu werden. Siehst Du mein lieber Fuß, nun darfst Du auch mit zur Siegerehrung gehen bzw. hinterhergezogen werden - freiwillig kommst du jetzt leider nicht mehr mit ...
Ute hat sich heute im Gesamtklassement der Frauenwertung den fünften Platz erlaufen und darf deshalb, zusätzlich zur begehrten "Finisher-Gurke", einen Beutel voll mit Spreewaldgurken in Empfang nehmen. Mit einer Flasche Sekt, einem "Multifunktionstuch" und einem Blumenstrauß wird Ute's Gewinn noch erweitert. Dazu kann sie sich auch ohne großartige Marathon-Vorbereitung über ihre Zielzeit freuen, welche nur zwei Minuten über ihrer Bestzeit (erlaufen 2012 im Spreewald) liegt. Meine Differenz zum 2012-er Spreewald-Ergebnis liegt allerdings bei genau 24 Minuten (Nettozeit) ...
Utes Ausbeute beim Spreewaldmarathon ... ... eine Gurke fürs "Gegurke" für mich.
Fazit: Der Schmerz geht - die beschissene Marathonzeit bleibt (... und das auf der "flachsten Marathonstrecke der Welt")! Ein kleines Läufchen war/ist immer die beste Medizin bei sich ankündigenden Rückenschmerzen - ein Marathon unter Wettkampfbedingungen ist dagegen nicht ganz so förderlich. Nun muß ich wohl oder übel die nächsten Tage diesen Unfug ausbaden um bis zum Sonnabend wieder fit zu werden, denn dann steht der läuferische Jahreshöhepunkt an - der Gruppenlauf "Rund um Chemnitz".
Ergebnis Marathon - Männer: 192 im Ziel
1. Kollaske, Ralf (SportFreigang Neuhausen) - 1. M40 - 2:50:25,413 h (2:50:21,963 h)
2. Wiessner, Enrico (FH Runners Berlin) - 1. M30 - 2:51:58,297 h (2:51:49,700 h)
3. Gogolin, Rico (LWV 05 BaLi) - 1. M35 - 2:53:44,437 h (2:53:40,547 h)
4. Fuchs, Michael (Leipzig) - 1. M50 - 2:58:35,000 h (2:58:32,183 h)
5. Worlitz, Gordon (LTSV Forst 1990) - 2. M40 - 2:58:36,810 h (2:58:32,643 h)
6. Sokolowski, Andre (Gotorun Berlin) - 3. M40 - 3:00:02,743 h (2:59:59,377 h)
39. Delling, Thomas (LV Limbach 2000) - 11. M40 - 3:31:00,683 h (3:30:52,977 h)
Ergebnis Marathon - Frauen: 58 im Ziel
1. Bethke, Ricarda (LG Derendingen - SUI) - 1. W50 - 3:16:15,137 h (3:16:07,950 h)
2. Hotzkow, Kristin (Limberg) - 1. W30 - 3:22:14,547 h (3:22:12,247 h)
3. Mönch, Sabine (Erlebniswelt Krauschwitz) - 2. W50 - 3:24:27,443 h (3:24:05,747 h)
4. Thiele, Gabi (WSV Ilmenau) - 1. W45 - 3:31:43,520 h (3:30:38,860 h)
5. Herfurt, Ute (LV Limbach 2000) - 3. W50 - 3:40:48,963 h (3:40:35,617 h)
6. Schmidt, Anke (Triathlonfreunde Wittenberg) - 1. W40 - 3:41:27,593 h (3:40:48,790 h)