26.12.2022 | 9:40 Uhr | 12,6 km | 230 Hm+ | 230 Hm- | Gruppenlauf |
Es ist ein Tabuthema der Neuzeit: die leidige Materie der "zusätzlichen Fetteinlagerungen im Körper über die Weihnachtsfeiertage". Darüber redet man selbstverständlich nicht so gern, wenn man sie nicht vorweisen kann! Die Wölbungen über dem Hosenbund sind nun mal das derzeit aussagekräftigste Statussymbol der westlichen Zivilisation. Es vermittelt in einer Gesellschaft, in der einst protzige Yachten und exklusive Golfclub-Mitgliedschaften Wohlstand bedeuteten, urplötzlich den wahren Reichtum. Eine Gans zum Weihnachtsfest, vielleicht auch noch ganz dekadent in Sonnenblumenöl angebraten, konnten sich bei aktueller Preislage nur die bestbetuchten Leute des Landes leisten - und das Ergebnis dieses Fast-Alleinstellungsmerkmals trägt man dann auch gern zur Schau und bekämpft es nicht unnötig durch Laufeinheiten.
Was früher als unästhetisch und lästig galt, ist nun modern. Geschäftsmodelle, wie die der sogenannten Fettverbrennung durch den jährlichen Treff des Burgstädter Laufvereins, scheinen dem Untergang geweiht. Wer sollte sich denn jetzt noch so einem Unsinn unterziehen? Geht man da nun nur noch aus Anstand und Mitleid hin? Darf man sich da überhaupt blicken lassen, wenn man gar keine überschüssigen Fettreserven in petto hat? Allerhand Fragen, die ohne eine persönliche Stippvisite am "Arsch der Welt", der Heiersdorfer Kläranlage (dem wortspielerischen Brückenschlag zum Thema "Intensivverdauung"), unbeantwortet bleiben werden. Zu dritt (wenn die zuverlässige Unzuverlässigkeit von Jens mal nicht zum Zuge käme) machen sich Ute und ich auf den Weg zum Ortsausgang von Burgstädt - dort, wo das in den Spielplatzaufbauten geschossene Mannschaftsfoto den traditionellen Abnehmwahn beginnen lässt.
Die Mischung des Publikums ist dabei so gegensätzlich, wie man es aus so manch' tränenreicher Erzählung schon zur Genüge kennt. Da lächelt der Dynamo-Dresden-Fan mit der rot-weißen Kopfbedeckung aus Markranstädts Konsumtempel neben dem stets nur wandernden Rennsteigläufer sowie der Berliner Eisbader mit dem Warmduscher aus Sachsen in die bereitgestellte Kamera, getrübt nur durch den unübersehbaren Gelbstich der Burgstädter Einheitsbekleidung. Allesamt werden sich diese speziellen Fotomodelle eine Woche später als adipöse Gemeinschaftstäter in einem komprimierten Fahndungsfoto im Burgstädter Anzeiger wiederfinden. Spätestens dann sind alle in ihrem gesellschaftlichen Stand wieder gleich - wohlstandsverwahrloste Möchtegernsportler in viel zu engen Trainingsanzügen. Niemand wird ihnen diese Entgleisung übelnehmen, schließlich wollen sie sich durch den anberaumten Fettverbrennungslauf ins richtige Leben zurückkämpfen und dabei sich ihres Statussymbols entledigen. Großartig, diese Idee!
Entspricht die propagierte Vorgabe dann auch der Wirklichkeit oder wurde hier nur ein Vorwand gesucht, um mal 'rauszukommen? Der Kampf gegen den nervigen Lagerkoller zum Fest ist dabei sicherlich ein ernstzunehmender Faktor, um den Familienfrieden zu wahren. Der dicken Luft entfliehen und sich in der Natur wieder erden, das sollte der Hauptansporn der ganzen Aktion sein. Laufen, notfalls Wandern, neuerdings garniert mit willkürlich verordneten Liegestützeinheiten - das Burgstädter Abnehmprogramm geht mit der Zeit, vielleicht kommt im nächsten Jahr zur Abwechslung auch noch Eisbaden und Schlittenfahren dazu?
Was seit Beginn der Veranstaltung dazugehört, ist das Auswerten der persönlichen Kalorienbilanz im Anschluß an die sportliche Betätigung. Damit dabei nicht alle gleichzeitig mit ihrem Zahlenwerk losplatzen und die eigene Energiebilanz wohlmöglich im Stimmengewirr untergeht, werden Speisen und Getränke mit stoffwechselanregenden Inhaltsstoffen gereicht. Die Standortwahl "Kläranlage Heiersdorf" ist dabei nicht ganz zufällig gewählt! Mit sogenannten Fettblockern oder Appetitzüglern wird den nun noch verbliebenen Pfunden der Garaus gemacht. Größtenteils bestehen diese "Fettverbrenner" aus dem jeweiligen Fundus der übriggebliebenen Weihnachtsfressereien: so z.B. Haferflocken, Spargel, Magerquark und Vollkornprodukte - eben das Zeug, welches über die Feiertage niemand anrühren will. Wer jedoch sein, vom Sport stark beanspruchtes, körpereigenes Statussymbol wieder in Form bringen möchte, nimmt sich ausnahmsweise (ungesehen von den anderen) einen Lebkuchen oder ein Tässchen Glühwein zur Brust. Doch das sind eher Ausnahmen!
Fazit: In Burgstädt, speziell beim Fettverbrennungslauf, steht einzig und allein das Abmildern der festtagsbedingten Fettschürzen und Bierplauzen im Mittelpunkt. Niemand will hier auch nur ein Gramm Fett zu viel auf den Rippen zur Schau stellen. Bei der Präsentation seiner Statussymbole konfrontiert der Burgstädter Lauffreund seinen Gegenüber gern noch mit dem "Mein-Haus-mein-V8-meine-überteuerte-Gasrechnung-Prinzip" und nicht mit der gutsituierten Fettwampe. Hier ticken die Uhren eben noch anders! Apropos Uhr: mein Energieumsatz für die Laufrunde um Höllmühlenteich, Amerika und Rochsburg wurde von meiner Polar-Uhr mit 1.369 Kilokalorien angegeben, das entspricht 5.749.800 Joule, also rund 1,6 Kilowattstunden - ein (durchschnittliches) Elektroauto "verbrennt" diese Energiemenge (bei optimalen Bedingungen) auf knapp elf Kilometern Wegstrecke. Der (unterdurchschnittliche) Läufer ist demzufolge drauf und dran, dem Elektro-Pkw den Kampf anzusagen, der bei optimierter Fettverbrennung in naher Zukunft siegreich enden wird. Es lohnt sich daher definitiv dem Fettverbrennungslauf in Burgstädt-Heiersdorf die Treue zu halten ... so wie es Ute, Jens und ich seit Jahren pflegen.