19.07.2015 - 9:30 Uhr, 9:40 Uhr, 9:50 Uhr - 13,1 km / 1.494 Hm+ / 371 Hm-
Damit kein Mißverständnis aufkommt: der Großglockner-Berglauf führt nicht auf den Großglockner!
Wie erleichtert muß Ute vor einem dreiviertel Jahr gewesen sein, als sie von ihren Lauffreunden zum runden Geburtstag nicht das obligatorische "Ich bin soundsoalt - bitte helfen sie mir über die Straße"-T-Shirt geschenkt bekam, sondern zwei Startplätze für den Großglockner-Berglauf? Das ist zwar auch ein Geburtstagsgeschenk über welches sich nicht jeder freut, bei Ute hatten jedoch Ines und Steffen, sowie Conny und Karsten damit genau den richtigen Riecher.
Nun klingt ja "Großglockner-Berglauf" sehr furchteinflößend: etwa im Laufschritt auf den Glockner (3.798 m ü NN)? Dorthin, wo man (wenn es nach den Bergführern geht) nur unter geschulter Aufsicht ein Besteigungsrecht hat? Dorthin, wo es stets im Gipfelanstieg, wegen der Menschenmassen, zu endlosen Staus kommt? Nein! Der Großglockner-Berglauf endet dort, wo motorisierte Touristen der Meinung sind, "auf dem Glockner gewesen zu sein": an der Kaiser-Franz-Josefs-Höhe (2.370 m üNN), dem Endpunkt eines Seitenarms der Großglockner-Hochalpenstraße. Einen Ort, den man als Bergfex gerne meidet - der aber dem Touristenzentrum nahe der Pasterze am Tag des Laufes mindestens 1.200 zusätzliche Gäste beschert.
Um den für uns richtigen Einstieg ins hochalpine Berglaufgeschäft zu finden, unternahmen wir zur Akklimatisierung in der Vorwoche im Berchtesgadener Land Tagestouren von 11 bis 13 Stunden mit jeweils rund 2.000 bis 2.400 Höhenmetern im Anstieg. Neben den Bergwanderungen über den Watzmann sowie den Hohen Göll und das Hohe Brett, wurde noch eine 17-Kilometer-Laufeinheit an den Hängen des Untersberg in die kurzfristige Vorbereitung eingebaut und mit einer Almen-Tour rund um den Königssee abgeschlossen. Danach hatten wir zwar ziemlich schwere Beine, aber auch ein verhältnismäßig gutes Gefühl, was die Erledigung des "Mythos Glockner" betraf.
Expo "Mythos Großglockner" ... damit alles seine Richtigkeit hat!!!
Unsere Anreise nach Heiligenblut erfolgt, von Fusch kommend, standesgemäß über die Großglockner-Hochalpenstraße. Normalerweise nicht erwähnenswert, wenn da nicht die Tankanzeigennadel im Fahrzeug so rapide gen Null gegangen wäre (vielleicht eines der letzten großen Abenteuer der Neuzeit?). Ute hatte ja Recht, mit dem Hinweis, vor der Paßüberquerung noch zu tanken! So schwitze ich Blut und Wasser, denn was ist peinlicher, als auf einer mit unzähligen Serpentinen gespickten Straße, wegen Treibstoffmangels stehen zu bleiben? Dieses Schicksal bleibt uns allerdings erspart und so ist der erste Anlaufpunkt im Guttatal die Tankstelle in Rojach. Danach geht es zurück nach Heiligenblut, wo wir uns ins Getümmel der Startnummernausgabe stürzen. Nebenan findet gerade die Siegerehrung der Glockner Bike Challenge, dem Radrennen, statt - Sieger: die Bergläufer Andrea Mayr und Markus Hohenwarter.
Vor Ablauf der auf 90 Minuten beschränkten Parkzeit im Ort kümmern wir uns noch um eine neue Bleibe, denn unser vorgesehener Übernachtungsort liegt rund 60 Kilometer entfernt im Drautal. Da wäre dann der Morgen des Berglaufes zu hektisch und auch von der ökologisch-ökonomischen Seite betrachtet, völlig inakzeptabel! Wir haben Glück und bekommen noch eine Ferienwohnung an der Wolfgangskapelle. Sie liegt direkt an der Berglaufstrecke, 12 Kilometer vor dem Ziel und einen Kilometer nach dem Start. Durch diese kurzfristige Umbuchung können wir auch noch am Abend an der Pastaparty teilnehmen. Ab 17 Uhr soll dabei noch die Startnummernauslosung für die Spitzenathleten stattfinden. Doch mit der Zeit nehmen es die Organisatoren dann nicht so genau und so beginnt die Zeremonie erst gegen 18:15 Uhr - eröffnet mit der Präsentation der Flaggen der 28 teilnehmenden Staaten. Auch hier wird es wieder nicht so genau genommen (oder bewußt inszeniert) und die Flagge Deutschlands verkehrtherum zur Schau gestellt. Ein (von Berliner Sportfreunden beim Veranstalter bemängelter) Umstand, der auch noch am nächsten Tag (trotz Zusage der Abänderung) bei der Siegerehrung Bestand haben wird. Da kann man sich diesen Firlefanz auch sparen und sollte sich in Zukunft aufs Wesentliche konzentrieren!
Das gelingt bei der Vorstellung der Eliteläufer schon mal ganz gut, denn sowohl männlich als auch weiblich sind alle (morgigen) Stockerl-Plätze bei der Startnummernauslosung präsent. Dazu wird der spätere Gesamtsieger auch noch die Startnummer "1" ziehen - großes Kino nach peinlicher Provinzposse!
Startblock "Rot" und "Glockner Heros" Verstopfte Straßen in Heiligenblut.
Des Abends geht noch ein heftiges Gewitter über Heiligenblut nieder - die erhoffte Abkühlung für den nächsten Morgen bringt es aber nicht, denn es ist zum ersten Start schon um die 20°C. Gestartet wird in drei Blöcken, die sich mit der jeweiligen letzterzielten Glockner-Zeit oder alternativ mit der letzten Halbmarathonzeit der rund 1.200 Teilnehmer zusammensetzen. Und da ich noch nie beim Glockner-Berglauf zugange war, mußte meine letzte Halbmarathonzeit für die Einteilung herhalten. Diese liegt jedoch schon ganz schön lange zurück und ist somit kein reelles Spiegelbild meiner derzeitigen Leistungsfähigkeit. Während ich mich (aufgrund dieser Tatsache) im roten Startblock der Startnummern 101 bis 600 wiederfinde, ist Ute im dritten, dem gelben Block, mit den Nummern 1.001 bis 1.500 satte 20 Minuten nach mir an der Reihe. Ganz vorn stehen die sog. "Glockner Heros" mit den niedrigen Zahlen. Sie sollten erst 11:45 Uhr starten, damit der Otto-Normalläufer, im Anschluß an seinen Lauf, deren Zielankunft bestaunen kann. Da jedoch für den Nachmittag das nächste Gewitter angekündigt ist, wurde kurzerhand umdisponiert.
Erster Verpflegungspunkt Sattelam. Bachüberquerung am Leiterfall.
Es herrscht natürlich großes Gedränge, als gegen 9:30 Uhr mit einem Kanonenschlag der Wettkampf eröffnet wird. Ich stehe ziemlich weit hinten im Block und benötige fast eine halbe Minute bis zum Startbogen (1.247 m). Deshalb ist für mich das angeschlagene Tempo in dieser Region auch sehr angenehm. Auf der Straße nehmen wir vorsichtig die ersten Höhenmeter und nach einem Kilometer zeigt meine Uhr 5:01 Minuten brutto (ca. 4:35 Minuten netto). Vorbei an unserem Quartier, dem Wolfgangsbauern, queren wir wieder den Fluß Möll bei der Wolfgangskapelle. Von Akkordeonmusik begleitet, schickt man uns nun hinauf nach Winkl, dem oberen Teil von Heiligenblut.
Es folgt noch eine ganze Weile Straßengelatsche, ehe es in den Wald geht. Dort schließt sich eine breite Forststraße an, welche aber immer schneller an Höhe gewinnt. Nach rund vier Kilometern bietet ein neu angelegter Aussichtspunkt einen vorerst letzten Blick hinunter nach Heiligenblut und auf einem angrenzenden Almplateau gelegen, gibt es an der Sattelalm (1.646 m) die erste Verpflegungsstelle. Mit je zwei Becher Wasser und Iso, sowie einem Stück Apfelsine wird der Magen aufgefüllt und der weitere unspektakuläre Weg zur Bricciuskapelle (1.623 m) genommen. Der unter der Kapelle entspringenden Quelle wird, laut altem Volksglauben, lindernde Wirkung bei Augenleiden nachgesagt - ich beschränke mich jedoch nur auf das Befeuchten meiner Mütze, davon getrunken wird erst auf dem Rückweg!
Noch 7 km: eine mächtige Lärche säumt den Weg. Wenig später öffnet sich der Blick auf die Berge.
Danach geht der Weg in einen Pfad über, die Möll wird ein weiteres Mal überquert und es folgt der steile Abstieg zum Leiterbach. Auf einer Holzbrücke setzen wir nun über und nehmen auf der anderen Flußseite die erste steile Rampe: eng und mit Stahlseilen gesichert führt der Steig rasch wieder nach oben - im Hintergrund stets das Rauschen des Leiterfalls, dem Wasserfall des Leiterbachs. Auf Trampelpfaden geht es nun beständig weiter. Ein Überholen ist nur bedingt möglich und von hinten kommen die ersten Läufer mit grünen Startnummern, die zehn Minuten nach uns gestartet sind, vorbei. Einer von ihnen plärrt unsere Fünfer"seilschaft" an, wir sollten doch gefälligst Platz für ihn machen - was er von meinen vier Mitstreitern gehörig gekontert bekommt. Auch weiter vorn steckt er dann wieder fest und wird mit dem Ausgang des Rennens wohl nichts zu tun haben. Sicherlich ist es ärgerlich, wenn man sein Tempo nicht so laufen kann, wie man es will. Bei mir ist es nämlich ähnlich - ich würde auch gern schneller unterwegs sein, nur meine katastrophale körperliche Verfassung läßt es nun mal nicht zu!
Stausee Margaritze - Verpflegungsposten Nr. 3 bei Kilometer 9.
Zwischen den Verpflegungen Trogalm (1.874 m) und dem Stausee Margaritze (2.005 m) verläuft die Streckenführung leicht steigend über die Roßalm. Wenn man die Zeit und die Kraft zum Rundumblick hat, kann man zur Rechten die Hochalpenstraße, welche u.a. zum heutigen Ziel führt, sehen. Mein Blickfeld ist jedoch meist nur auf das Schuhwerk der vor mir Laufenden gerichtet. Später gibt es dann die Bodenbeschaffenheit nicht mehr her, denn der Weg wird merklich steiniger.
Am Steingarten mit Blick auf den Johannisberg. Noch 1 km: vierter Verpflegungspunkt.
Mein Minimalziel, diesen Lauf unter zwei Stunden zu beenden, verfliegt von Kilometer zu Kilometer immer mehr. Bei rund zehn Minuten hat sich mein Schnitt mittlerweile eingepegelt - das ist natürlich viel zu langsam. Zwar gelingen mir ein paar Überholvorgänge, aber dieses Aufbäumen kommt zu spät, da der steile Schlußanstieg noch auf mich wartet. Am Abfluß des Sandersees geht es im Schaukelschritt über eine Brücke, danach schließt sich noch eine halbe Runde um einen größeren Felsvorsprung auf dem Unteren Pasterzenboden an, ehe man den letzten Verpflegungspunkt (2.120 m) erblickt. Dort gibt es für mich das gewohnte Programm und als ich im Anschluß an die Verköstigung schon fast wieder im Wettkampfmodus bin, fällt mir am Ende des Buffets noch das bereitgestellte Bier auf. Bier? Aber natürlich! Schön, wenn mal wieder einer zugreifen würde - so ist die einhellige Meinung der Helfer am Stand.
Der letzte Anstieg ist nochmal verdammt steil, aber gut besucht.
Nun ist es nur noch ein läppischer Kilometer, aber auch noch 250 Höhenmeter. Damit das Ganze auch in Zahlen erfaßt werden kann, liegen am Beginn und am Ende des Anstieges Zeitmeßmatten aus - so ca. 800 Meter auseinander. Damit ist bei mir ein neuer Motivationsschub gesetzt, welcher jedoch nach wenigen horizontalen und vertikalen Metern schnell wieder abebbt. Auch das Überholen fällt jetzt noch schwerer, da hier jeder zweite einen Mitläufer (aus seinem persönlichen Fanlager) zur Seite gestellt bekommt und der Steig wirklich nicht dafür geschaffen ist, da die anwesenden Zuschauer auch ziemlich zusammengepresst den Weg säumen.
Nur noch 200 Meter ... ... nur noch 100 Meter ...
Die letzten 100 Meter präsentieren sich regelrecht flach und so kann ich noch drei Läufer überholen. Dann ist endlich Schluß! Es gibt eine Medaille, welche ich mir der Einfachheit halber gar nicht erst umhängen lasse, da sie sowieso gleich in der Hosentasche verschwindet. Eine Glockner-Vliesdecke wird auch noch gereicht - als Finisher-Geschenk. Ein paar Zielgetränke später mache ich wieder auf den Weg nach unten um Ute im Zielanstieg anzufeuern. Kurz vor ihr (mit roter Startnummer) kommt das heutige Geburtstagskind den Berg hochgelaufen - der einheimische Ambros Unterkirchner, an seinem 80. Geburtstag.
Ute macht ihr Geburtstagsgeschenk sichtlich Spaß. Ambros Unterkirchner, geb. am 19.07.1935
Ute schafft es auch ohne meine Hilfe dem Schlußpunkt zu setzen. Sie ist beim späteren Auswerten der Zeiten vom letzten Abschnitt nur zehn Sekunden langsamer als ich! Und ich war der Meinung, nicht gebummelt zu haben!
Nachdem wir in "frische" Sachen gewechselt sind, gönnen wir uns noch die Zielverpflegung in Form von Suppe und Kuchen. Danach geht es auf der Wettkampfstrecke wieder ins Tal. Es fahren zwar auch Shuttle-Busse, aber das Zurücklaufen ist wesentlich interessanter, da man sich manche Stellen etwas intensiver zu Gemüte führen kann, als wenn man beim Wettkampf daran vorbeihetzt. Außerdem gibt es wettermäßig noch keinerlei Anzeichen für eine Verschlechterung.
Es sind schon über vier Stunden seit dem ersten Start vergangen und noch immer kommen uns Läufer auf der Strecke entgegen. Manche sehen übel angerichtet aus und manche nehmen es total locker - der letzte Zieleinlauf erfolgt übrigens nach 5:01:44,9 Stunden!
Auf unserem Rückweg nach Heiligenblut kommen uns immer noch Läufer entgegen. Fußbad im Fluß!
Gegen 17:30 Uhr erreichen wir unser Quartier an der Wolfgangskapelle. Das Gewitter läßt sich danach noch rund eine Stunde Zeit, ehe es mit Pauken und Trompeten zuschlägt.
Ute jedenfalls hat dieses Geburtstagsgeschenk sehr viel Freude bereitet, da die Strecke doch nicht sooo von Mythen der Unbezwingbarkeit durchzogen ist, wie sie gern marktschreierisch angepriesen wird.
Ergebnis Männer: 949 im Ziel
1. Hovind-Angermund, Stian (Varegg Team Melkesyre - NOR) - 1. M20 - 1:13:51,3 h
2. Kosgei, Isaac Toroitich (run2gether - KEN) - 1. M30 - 1:14:43,4 h
3. Wangari, Francis Muigai (run2gether - KEN) - 2. M20 - 1:15:03,4 h
4. Wyatt, Jonathan (NZL) - 1. M40 - 1:15:17,1 h
5. Hohenwarter, Markus (LC Villach - AUT) - 1. M35 - 1:17:22,3 h
6. Stark, Robert (AUT) - 1. M45 - 1:19:47,2 h
471. Delling, Thomas (LV Limbach 2000) - 89. M40 - 2:04:56,5 h
Ergebnis Frauen: 238 im Ziel
1. Mayr, Andrea (AUT) - 1. W35 - 1:22:51,2 h
2. Maina, Veronicah Njeri (run2gether - KEN) - 1. W20 - 1:23:19,1 h
3. Reiner, Sabine (hellblau Powerteam - AUT) - 1. W30 - 1:29:08,7 h
4. Mair, Susanne (Union Raika Lienz - AUT) - 2. W20 - 1:29:25,5 h
5. Stadlober, Teresa (AUT) - 3. W20 - 1:29:58,0 h
6. Lupton, Anna (Team Inov-8 - GBR) - 2. W35 - 1:38:56,8 h
90. Herfurt, Ute (LV Limbach 2000) - 11. W50 - 2:15:28,4 h
Bei der Startnummernauslosung am Vorabend hatten die Organisatoren die Top-6 schon auf der Bühne.