25.08.2014 - 17:30 Uhr - 307,1 km / 28.272 Hm+ / 28.272 Hm-
294,3 km / 26.557 Hm+ / 26.557 Hm- (Streckenänderung)
347 km / 28.000 Hm+ / 28.000 Hm- (GPS-Messung)
Die Streckenführung der "Kleinen Reise des Leon" um den Mont Blanc variiert von Jahr zu Jahr.
Dem neuzeitlichen Sog, sich an immer extremer werdenden Laufveranstaltungen zu versuchen, konnten auch wir uns im Laufe der Jahre nicht entziehen. Der PTL, der im Rahmen des Ultra-Trail du Mont-Blanc stattfindet, ist dabei die "logische Steigerung" unserer vorangegangenen Taten. Er ist ein Wettbewerb ohne Rangliste, bei dem die jährlich wechselnde Distanz und Streckenführung in einer Zweier- oder Dreiermannschaft in fast vollständiger Autonomie und ohne Wegmarkierungen zurückgelegt werden muß. Als Qualifikation für dieses "Erlebnis" reicht ein Bergführerdiplom oder das stinknormale Finish beim UTMB, einem vorangegangenen PTL oder beim TOR DES GEANTS von (nur) einem Mannschaftsmitglied.
Zunächst war dieses Abenteuer als Zweier-Team von Ute und mir geplant, Mitte Januar stieß noch Torsten zu unserem Trupp. Er war beim "normalen" UTMB abgelehnt worden und bat uns deshalb um seine Möglichkeit der etwas längeren Mont-Blanc-Umrundung. Beim Jurasteig-Nonstop-Ultratrail (230 km) im April testeten wir dann als "Gruppenlauf" unsere Teamfähigkeit und befanden, daß die Chemie untereinander stimmt.
Unsere Vorfreude auf diesen Berg"urlaub" wurde jedoch jäh gestoppt, als wir bei der "Trophee des Martinaux" vom Tod des PTL-Chef-Organisators erfuhren. Jean-Claude Marmier war während einer Streckenbegehung einem Herzinfarkt erlegen. Er kannte die Routen rund um den Mont Blanc aus dem Effeff und konnte somit auf eventuelle Wetterumschwünge mit der passenden Wegänderung reagieren. Die diesjährige Runde war wiederum eine sportlich-qualitative Steigerung zum Vorjahr und so war es den "neuen" Verantwortlichen an manchen Stellen doch etwas zu heikel und die Streckenverkürzung nur eine logische Konsequenz. Zum sog. "Kindergeburtstag" ist der PTL 2014 zwar nun trotzdem nicht verkommen, dessen sind wir drei uns bewußt! Ein paar Abschnitte haben Ute und ich deshalb in der Vorwoche schon in Augenschein genommen. Für uns zählt nur das Ankommen in Chamonix, im Zeitlimit von 142 Stunden!
Aklimatisierungsläufe und -touren in der Vorwoche. Aufteilen der Nahrungsmittel für die Läufersäcke.
Ich weiß nicht, wie man den PTL als "Neuling" so richtig einordnen soll. Das geht los bei der Anmeldung: ein UTMB-Finish als Qualifizierungsgrund ist für mich genauso wenig nachvollziehbar, wie z.B. die Aufnahme des Rennsteiglaufs in die Berechtigungsliste des UTMB. Das sind doch jeweils zwei verschiedene Paar Schuhe - völlig andere Anforderungen an den Teilnehmer. So heißt es in den "Laufregeln" wörtlich: "Die Strecke des Petite Trotte a Leon weist Abschnitte auf, die technisch viel schwieriger sind, als bei den meisten anderen Trails (speziell beim UTMB). Gute Bergerfahrung ist folglich eine Voraussetzung für die Teilnahme. Gewisse Abschnitte stellen objektive Gefahrenzonen dar: steile Hänge, Steinschlaggefahr, sehr schmale Pfade, Überquerungen von Geröllhalden und Firnfeldern, Abschnitte ohne klar erkennbare Steige. Die Strecke ist NICHT MARKIERT und befindet sich meistens WEITAB VON BEWOHNTEM GEBIET. Sie ist bei VOLLKOMMENER AUTONOMIE zurückzulegen. Assistenz ist verboten, außer an den bases de repos - Ruhestellen, die vom Veranstalter festgelegt wurden und wo die Konkurrenten Unterkunft und Verpflegung vorfinden, sowie ihre Läufersäcke. Im Interesse der eigenen Sicherheit, müssen die Teilnehmer fähig sein, sich mit Hilfe des GPS orientieren zu können, sie müssen Karten lesen, Höhenmesser und Kompaß verwenden können. Sie müssen auch gewohnt sein, Schlechtwetter zu ertragen, Schlafmangel, Müdigkeit, Kälte, Hitze, Hunger und Durst."
Als "Schlüssel zum Erfolg" wird das Studium der Strecke auf der Karte, das Einholen nötiger Informationen beim Veranstalter, bei Führern, vor Ort oder im Internet, das Erarbeiten einer Laufstrategie und entsprechendes Training genannt. Letztendlich ist der einheimische Teilnehmer hier klar im Vorteil, zumal der genaue Streckenverlauf erst 14 Tage vor dem Start bereitgestellt wird. Ein paar Sektoren kennen wir zwar mittlerweile auch, vom TOR DES GEANTS, dem TRAIL VERBIER ST-BERNARD und von Wanderungen - aber das sind nur Bruchstücke. Deshalb hilft uns "Normalsterblichen" nur ein eiserner Wille und eine gewisse Sturköpfigkeit, um den Traum vom Zieleinlauf Wirklichkeit werden zu lassen.
Da die 4 offiziellen Verpflegungsstellen (Kilometer 54, 87, 158 und 222) doch recht spärlich auf die Gesamtdistanz verteilt sind, ist es notwendig, ein paar Dinge mehr im Rucksack zu verstauen. Der stets von mir, bei längeren Läufen genutzte "Salomon XA 10+3" mit dem 5-Liter-Stauvolumen-"Costum Front Pocket XA 5" besteht den "Testlauf" (vollbepackt) am Vortag des Starts deshalb nicht und ich entscheide mich spontan für meinen Tombolagewinn vom Tegelberglauf, den "Salomon Revo". Da ist bei 25 Litern Packvolumen auch noch ein kleiner "Puffer" für genügend Nahrungsmittel und die rund 10 Kilogramm Marschgepäck verteilen sich besser auf Schulter und Hüfte.
Bei einer mitzuschleppenden Pflichtausrüstung, die fast den gesamten Hausrat umfasst, ist diese Variante für mich wesentlich "rückenschonender" als die gewohnte "schnelle und leichte" Salomon-Fabrikation. Also packe ich am Sonntagabend meinen Rucksack neu ein: ein Liter Wasser, zwei Stirnlampen mit Reservebatterien, Überlebensdecke (davon nehme ich zwei mit), Pfeife, Mobiltelefon (+ Reserveakku), ein Hemd "aus technisch modernem Gewebe", zwei warme Unterhemden mit langen Ärmeln, eine Vliesjacke mit langen Ärmeln, eine "feuchtigkeit- und luftdurchlässige, 100% wasserdichte Jacke", eine lange Hose, eine Sonnenbrille, ein Paar Handschuhe, eine Mütze, einen Kompaß, einen Höhenmesser, den Personalausweis, ein Messer, das Streckenbuch und die vom Veranstalter bereitgestellten Streckenkarten, ein Biwakschlafsack, Geld, Nahrungsmittel, eine Erste-Hilfe-Ausrüstung und "Steigeisen". Die zur Streckenaufzeichnung und "Überwachung" mitzuführende GPS-Bake nimmt Torsten zusätzlich in seinem Rucksack auf. Empfohlen werden zudem Stöcke, eine 100% wasserdichte lange Hose, weitere Kleidung zum Wechseln, ein Gaskocher, Sonnencreme, Vaseline und reibungshemmende Salben. Und weil die Füllgrenze meines Rucksacks nun immer noch nicht ganz erreicht ist, lege ich noch Stempelbuch (für die Berghütten-Stempel), Ersatz-GPS-Gerät, Fotoapparat und unsere Trinkfaltbecher dazu.
Sieben Stunden vor dem Start werden dann gegen Vorlage des Personalausweises und Vorzeigen des Mobiltelefons die Startnummern ausgehändigt. Jeder Läufer bekommt noch drei 25-Liter-Säcke zur Verfügung gestellt. In diese Säcke können Wechselsachen oder Nahrungsmittel gegeben werden. Sie stehen dann an vier Stellen dem Teilnehmer zur Verfügung: Sack 1 in Champex (km 54) und in Bourg-St-Pierre (km 87), Sack 2 in Morgex (km 158) und Sack 3 im Hospice du Petit-St-Bernard (km 222). Der vierte Sack für den Col de Joly (km 259) entfällt, aufgrund der "Streckenentschärfung" - der PTL ist ja schließlich kein "all inclusiv"-Event!
Startnummernausgabe am Vormittag. Noch fehlt das "R"!
Eine Einweisung in die bevorstehende "Reise" erfolgt 14 Uhr im Sportzentrum von Chamonix, danach gibt es noch die obligatorische Pasta-Party. Dort werden völlig geschmacksneutrale Nudelgerichte gereicht, welche man fairerweise mit bereitgestelltem Bier, Wein oder tiefgefrorenem Kuchen in sich hinein drücken kann. Die Zeit bis zum Start vergeht recht schnell. Ab und zu müssen wir nochmal zum Fahrzeug, welches wir auf dem 24-Stunden-Parkplatz am Ortseingang abgestellt haben, um noch kurzfristige Änderungen zu kompensieren.
Dann ist es soweit, eine halbe Stunde vor dem Start stehen wir (zusammen mit 107 anderen Mannschaften) auf dem legendären Place du Triangle de l'Amitie. Insgesamt 276 Teilnehmer im Alter von 24 bis 67 Jahren aus 24 verschiedenen Nationen versammeln sich, um die große Mont-Blanc-Runde zu bestreiten. Auf einer großen Videowand wird kurz vor dem Start, dem am 24. Juli verstorbenen "PTL-Macher" Jean-Claude Marmier gedacht. Er war in seinem alpinen Tatendrang stets dabei "die Grenzen des Machbaren zu erkunden" (wie es in einem Nachruf der "Group Militaire de Haute Montagne", deren Oberstleutnant er war, heißt) - so auch beim PTL!
Erwartungsvoll lauschen wir den Klängen des "letzten Mohikaners", ehe ein Herunterzählen der letzten zehn Sekunden beginnt. Ute's Meinung, daß deshalb alles gut wird, weil es auch die Startmusik vom "Trail Verbier St-Bernard" 2010 war, lasse ich unkommentiert. Denn dem aufmerksamen Beobachter dürfte nicht entgangen sein, daß bei besagtem Wettkampf nur zwei von drei Startern unserer damaligen Reisegruppe den Weg ins Ziel schafften. Wird es etwa wieder so? Werden wir uns zu Dritt über die Distanz retten können? Fragen, die im Trubel des Starts schnell untergehen. Der Zirkus darum ist riesig, nicht minder spektakulär wie beim Start des UTMB. Uns wird nur eine winzige Gasse gelassen, um den Ort (1.035 m) zu verlassen.
Meine 90 kg Kampfgewicht sind nicht zu übersehen. Durch verstopfte Straßen Richtung Brevent.
Die ersten Serpentinen zum Planpraz (2.083 m) führen "leicht" steigend durch den Wald. Die anfänglichen "KV"-Markierungen auf der Straße von Chamonix ließen noch auf die Strecke des "KM Vertical Chamonix" schließen, dieser Beginn bleibt uns glücklicherweise erspart. In Gänsereihe nimmt das Teilnehmerfeld die ersten Höhenmeter - jeder auf seine Art, so z.B. ein Chinese, der den gesamten Anstieg über seine Landesfahne am Teleskopstock in die Höhe hält. An der Bergstation des Skiliftes öffnet sich dann nur kurz der Blick hinüber zum Col de Balme, dem Streckenkilometer 36 - Zeit für Erläuterungen zu den umliegenden markanten Punkten bleibt mir jedoch nicht, denn wir müssen der Karawane weiter folgen. Am Col de Brevent (2.368 m) biegt der Kurs in das Naturreservat "Aiguilles Rouges" und führt uns auf dem GR5, dem Nordsee-Mittelmeer-Weitwanderweg, wieder hinab ins Tal zum Pont de l'Arleve (1.597 m). Die Stirnlampen verrichten mittlerweile ihren Dienst aber auf eine endgültige Kleiderordnung können wir uns noch nicht festlegen. Mal ist es mit Jacke zu warm, oder ohne zu kalt. Also folgt ein ständiges An und Aus.
Nach der Überquerung des Baches Diosaz wird das Refuge de Moede-Anterne (2.018 m) angesteuert. Dort gibt es aber nur den Stempel fürs Buch, eine Pause legen wir hier noch nicht ein, auch wenn es manch' andere Mannschaft vorlebt. Im leichten Auf und Ab zieht sich der Weg zum Col d'Ecuelle (2.029 m). Dann kommt die erste "unangenehme" Stelle: ein kurzer, schmieriger Abstieg zu einem Bach, bei dem man beide Hände mal aus den Hosentaschen befreien muß. Zum Zupacken stehen kleine Sträucher parat und erleichtern so die Sache ganz entscheidend.
An den Steinhäusern von Chalets de Villy (1.885 m) führt ein laufbarer Weg weiter zum Col de Salenton (2.526 m). Jetzt endet allerdings der Weg in großen Felsplatten und Blockgelände. Der Abstieg gestaltet sich dadurch sehr mühevoll und zu allem Überfluß nimmt die "Herde" den Weg des "Leithammels" - doch leider den Falschen! Es ist ärgerlich, auch wenn es nur rund 200 Meter Umweg sind.
Das Refuge de la Pierre a Berard (1.922 m) ist geschlossen, denn es ist 1:15 Uhr. Nach einer kurzen Wasser-Nachfüll-Pause machen wir uns auf den weiteren Abstieg ins Tal nach Vallorcine. Nach kurzer Zeit beginnt es zu regnen - wir ziehen die Regenjacken an, um sie eine viertel Stunde später wieder auszuziehen. Doch es dauert nicht lange und es beginnt erneut die Bewässerung von oben. Und dieses Mal meinen sie es ernst! Es folgt "richtiger" Regen und er macht auch keine Anstalten aufzuhören.
Gut gelaunt am Refuge de Moede-Anterne. Kontrollposten am Bahnhof von Buet.
Am Gare du Buet (1.329 m) in Vallorcine werden zum ersten Mal unsere Startnummern abgescannt. Wir erfahren von den Helfern von der Ausweichroute, welche wir ab dem Col de Balme nehmen sollen. Das Wartehäuschen an der Straße ist voll mit Läufern, die vor dem Regen Schutz suchen. Wir nehmen allerdings den sofortigen Wiederaufstieg zum Col des Posettes (1.997 m). Unterwegs ziehen wir uns noch die Regenhosen über, da ein Ende des Regens nicht in Sicht ist. "Vollverpackt" trotzen wir nun dem Sturm, der über die Hochebene fegt. Der Niederschlag wird langsam "weißer" und kommt nun horizontal daher. Die Hagelkörner stechen im Gesicht und nur mit Mühe kann ich meinen Regenumhang "bändigen". Am Refuge du Col de Balme (2.191 m) trifft man sich geraume Zeit später im Windschatten der geschlossenen Berghütte, um sich noch "wetterfester" anzuziehen. Mehrere Mannschaften kämpfen hier gegen Nässe und Kälte, die Finger sind (ob nun mit oder ohne Handschuhen) klamm. Das Wechseln der Batterien in Torstens GPS-Gerät erfordert sogar den Einsatz des Messers, welches ja zur Pflichtausrüstung gehört.
Etwas unterhalb der Hütte wartet ein PKW der Organisatoren. Nicht aber um frierende PTLer ins Tal zu schaffen, sondern um noch einmal auf die Streckenänderung hinzuweisen. Personen, die den Windschutz der Hütte nun verlassen, können sich nur mit aller Macht gegen den Sturm behaupten. Die lauten Geräusche der flatternden Regenbekleidung sorgen für eine gespenstige Atmosphäre im Lichtkegel der Scheinwerfer des Fahrzeuges. Ute meint, wir sollen an der Hütte bleiben, sonst würden wir erfrieren. Nein, wir müssen weiter, um nicht zu erfrieren!
Anstatt den Weg über les Grandes Autannes (2.680 m) gibt es jetzt den Schlechtwetter-Ausweich über die TMB-"variante d'Arpette". Da bewegen wir uns zwischen 2.000 und 2.100 Metern und sind dem Sturm nicht ganz so ausgesetzt wie auf der Originalroute. Mittlerweile sind wir auch schon in der Schweiz angekommen, denn zum Morgengrauen werden wir mit der eidgenössischen Fahne auf den Berghütten von les Grands (2.113 m) empfangen. Eine der Hütten ist für Gäste offen. Bei dem Scheißwetter läßt natürlich niemand diese Aufwärmmöglichkeit aus und so wird es im Inneren des Holzbaues recht schnell sehr eng. Die beiden Frauen der Hütte sind mit der Situation reichlich überfordert und so begnügen wir uns nur mit dem Wechseln der Bekleidung. Ob Torsten wirklich seinen bestellten Kaffee noch bekommen hat, kann ich in dem Trubel nicht nachvollziehen. Auf dem weiteren Weg kommt uns dann noch eine Person, im Aufstieg befindlich, entgegen. Bei diesem Wetter? Ich mutmaße, daß es sich um die von der Hütte als Verstärkung angeforderte Küchenkraft handelt und liege damit voll daneben. Es ist eine Chinesin, die uns nach ihrem Freund fragt, der sich ebenfalls im Tross des PTL befindet.
Wir können ihr leider nicht weiterhelfen und setzen unseren Weg zum Fluß La Trient fort. Oberhalb thront in Wolken gehüllt der Glacier du Trient, dort würde die ursprüngliche (Marmier-)Route hoch gehen, bis auf 3.170 Meter zur Cabanne du Trient. Aber auch die neue Strecke über den Fenetre d'Arpette (2.665 m) ist heute nicht machbar. Deshalb werden wir nach der Flußquerung (über eine Brücke!) von einem Helfer zum Col de Forclaz (1.526 m) geschickt.
Entlang des Bisse du Trient, einem kanalisierten Wasserlauf, erreichen wir auf gut laufbarem Weg den Paß, an dem auch der UTMB vorbeiführt. Entgegengesetzt zum Laufklassiker steuern wir nun auf dem Originalweg der Tour du Mont-Blanc die Alm Bovine (1.987 m) an. Uralte und seltsam verbogene Bäume säumen dabei den Weg, der Fotoapparat hat jedoch schon den ersten Wasserschaden zu verdauen und bleibt deshalb zwangsweise im Rucksack. Auch der riesige Kuhfladen- und Schlammabschnitt, für den es keine Ausweichroute gibt und in dem man bis zu den Knöcheln im Modder versinkt, wäre ein Foto wert, ebenso die Wege, welche jetzt mehr Wasser führen als manch' Fluß in unseren Breitengraden im Sommer. Dies wiederum hat den Vorteil der sauberen Schuhe für den bald kommenden Einlaß ins Versorgungszelt in Champex-Lac (1.477 m)
Laut der Informationen, die es im Vorfeld über den PTL gab, empfängt uns dort "Leon Lovey mit seiner Mannschaft bei der allen gut bekannten Hauptlabestelle des UTMB". Nur habe ich diese Versorgungsstelle anders in Erinnerung, als sie sich mir hier präsentiert. Das Abscannen der Startnummern wird von der jungen Frau erstmal unterbrochen, da es noch ein paar Fotos im Zelt zu schießen gibt. Na gut, dann eben nicht! Suche ich mir derweil ein lauschiges Plätzchen. Doch überall im Zelt ist es nicht unbedingt warm. Das Verpflegungsangebot erinnert zudem stark an die Mangelwirtschaft in der DDR: auf Tellern verlieren sich einige Stücke Schokolade oder ein paar Kekse, der Behälter mit dem isotonischen Getränk ist nur mit Wasser gefüllt und die Makkaroniportion gibt es nur in Kompottschüsselgröße ausgehändigt. Dazu "tötende" Blicke von Leon (?), wenn man sich ein zweites Mal die Flasche am Wasserbehälter füllt. Leute, man kann es auch übertreiben! Soll ich etwa nur einen Teelöffel Flüssigkeit zu mir nehmen? Entspräche dies dann wieder dem Geist des PTL? Das ist mir jetzt alles zu hoch. Zumal die "Regale" voll mit Cola-Flaschen stehen - jedoch alles für den bevorstehenden UTMB? Ein paar der braunen Anderthalb-Liter-Flaschen verteilen sich dann zwar doch noch auf den Tischen der Läufer, aber sonst ist es doch alles in allem etwas dürftig für eine sogenannte "Base Vie"!
Ich kümmere mich erstmal um meinen aufgerissenen Läufersack, in dem meine Wechselsachen und Lebensmittel glücklicherweise noch vollständig enthalten sind. Zudem muß ich an der Heißluft-Zeltbelüftung meine nassen Klamotten einigermaßen trocken bekommen, denn die Ersatzhemden im Rucksack sind durch die Dauernässe auch feucht geworden. Es soll ab 16 Uhr aufhören zu regnen, bekommt Ute von einem Helfer gesagt. Nur im Moment sieht es gar nicht danach aus, wenn man aus dem Zelt schaut.
VP Champex: Viel heiße Luft um nasse Kleider. Ideal: laufbarer Weg und nur 20% Steigung.
Gegen 14:30 Uhr brechen wir, bei noch leichtem Regen, nach Orsieres auf. Es geht bergab und wir können etwas "Tempo" aufnehmen. In Chex les Reuse (1.076 m) liegen in einem Wassertrog am Wegesrand drei Flaschen Bier zur Kühlung. Die Versuchung ist groß, etwas Geld auf den Wannenrand zu legen und die Flaschen als Wegzehrung mitzunehmen, aber wir entscheiden uns dann doch nur für das obligatorische Abspülen des Gesichts im Brunnen. In Orsieres (887 m) überqueren wir den La Dranse de Ferret, der aufgrund des anhaltenden Niederschlages unnatürlich grau aussieht und mit einer gefährlich hohen Fließgeschwindigkeit ins Tal drängt. Ab und zu ernten wir beim Durchlaufen des Ortes etwas Beifall von Passanten oder aus Gaststätten heraus, bevor wir den nächsten Anstieg nach Commeire (1.454 m) nehmen.
In diesem kleinen Bergdorf weist ein Aushang der örtlichen Anschlagtafel auf das Ereignis "PTL" hin. Eine kurze Erläuterung des Wettbewerbes wird mit "Nous vous remercions de leur reserver bon accueil" beendet. Nur ist hier niemand weit und breit zu sehen, der uns willkommen heißt. Willkommen ist mir dagegen die Bank an dem Schaukasten, wo ich mir in Ruhe meine Füße "zukleben" und "verbinden" kann, da die Blasen durch die Nässe mittlerweile sehr unangenehm reiben. Dafür hat endlich der Regen aufgehört und die nasse Bekleidung ziert nun den Rucksack zur Trocknung.
Weiter geht es dann im Zickzack durch Wald und Wiesen. Zwei französische Mannschaften wählen dabei den direkten Weg, weshalb ich schon wieder einen dicken Hals habe! Der vorgegebene Track nimmt nun mal die Serpentinen und nicht die Direttissima! Egal, bei unserem Aufeinandertreffen bekommen wir Kekse und Cola von ihnen angeboten. Ute ist die Erste, die sich "bestechen" läßt, Torsten und ich ziehen nach. Danach ist die Welt wieder in Ordnung. Das weitere Bergauf nehmen wir mit den vier Franzmännern und der Französin im Verbund. Es zieht sich! Nach Erreichen des Mont Brule (2.572 m) wird endlich die nächste Raststelle sichtbar - die Cabane de Mille (2.470 m), eine sog. Partnerhütte des UTMB/PTL, in der man "vergünstigt" essen kann. Die Berghütte ist komplett erneuert und versprüht nichts mehr von dem Charme, den sie beim TVSB 2010 noch verbreitete - der typische Holzbau ist einer modernen Metallverkleidung gewichen.
Während Ute und Torsten sich im Hütteninneren um Speis und Trank bemühen, bin ich nur schwer zu überreden, mit in die Behausung zu kommen. Zu sehr geniere ich mich, wegen der "Geruchsbelästigung", die von meinen Füßen ausgeht, das Haus zu betreten. Ich mache es mir deshalb auf einer Bank mit Aussicht vor dem Bau bequem und verarzte wiederholt meine Blasen an den Füßen. Erst geraume Zeit später kann mich Ute doch noch zum Bier und zum Omelette mit Schinkenfüllung in die Gaststube überreden. Nach dieser Stärkung geht der folgende Abstieg wesentlich besser von der Hand. Der Mont Rogneux (3.083 m) und der Col de l'Ane (3.033 m) sind witterungsbedingt der weiteren Streckenführung zum Opfer gefallen, daher wird der nächste Verpflegungspunkt, Bourg Saint Pierre, "direkt" angelaufen. Der Weg ist uns noch gut bekannt, sind wir ihn doch beim TRAIL VERBIER ST-BERNARD 2010 in entgegengesetzter Richtung gelaufen. Damals gab es auch reichlich Niederschlag und die Bergbäche waren deshalb mächtig angeschwollen. Während ich mir beim Durchwaden nur die Socken naß machte, stand Ute in der Nacht bis zum Oberschenkel in der Brühe. Wahrlich keine lustige Angelegenheit damals und genau vor diesem Szenario graut uns jetzt. Es kommt aber alles wesentlich entspannter und so kommen wir trockenen Fußes in den Talort. Es ist 23:30 Uhr - wir haben zwölfeinhalb Stunden Vorsprung auf das erste Zeitlimit - als wir das Hotel du Cret in Bourg Saint Pierre (1.632 m) erreichen.
Über den Wolken und dem Val d'Entremont. Bourg Saint Pierre, Hotel du Cret.
Erneut stehen uns unsere Läufersäcke zur Verfügung. Zum "Feierabend" gönne ich mir mit Torsten erstmal ein (gebührenpflichtiges) Bier und später gibt es, als Ute zu uns stößt, noch eins zum Runterspülen dazu. Was hier nun im "Base Vie" "frei" und was bezahlt werden muß, ist nicht so recht ersichtlich, aber auch egal, denn wir wollen uns nur eine Schlafpause gönnen und im Morgengrauen erholt weitermachen. Geschlafen wird hier an allen Ecken und Enden. Ute und mir wird daher allen Ernstes der Platz auf der Billardplatte zum Schlafen angeboten. Dann funkt Torsten dazwischen, er hat für uns ein Zimmer "aufgerissen". Ist denn die Nutzung eines Hotelzimmers bei einem "Lauf in vollständiger Autonomie" überhaupt moralisch vertretbar? Ich denke schon! Also schnell unter die Dusche, geschlafen wird von 0:30 Uhr bis 5:30 Uhr im Doppelbett, die kleine Fußpflege folgt, danach Frühstück zum Preis von 12 Franken pro Person und 7:30 Uhr stehen wir abmarschbereit vor dem Hotel. Wir haben jetzt noch ein Plus von viereinhalb Stunden zur Zeitschranke!
Mit einer portugiesischen und einer französischen Mannschaft machen wir uns auf den Weg nach Italien. Wir kommen gut voran und ab den zwei Steinhäusern von Tsalevey (2.150 m) verliert sich der Weg auf einer steilen Gebirgswiese. Es folgt ein unwegsamer, steiler und stellenweise ausgesetzter Anstieg zum Bonhomme de Tsalevey (2.730 m). Von da an geht es (unschwierig) über den Grat zum Croix de Tsousse (2.822 m) - mittlerweile ist auch wieder das Wolkengrau um uns verschwunden und wir genießen bei unserer kurzen Rast die herrliche Aussicht - zur linken der Grand Combin, vor uns der Velan und rechts die Monts Telliers.
Bei bestem Bergwetter nehmen wir stellenweise blockgeländeartige Passagen zum "Cote 2.992 metres" im moderaten Tempo. Dort geht es dann wieder steil bergab, aber "nur" rund 200 Höhenmeter, dafür auf einem Schuttfeld. Nur nach GPS-Vorgabe, d.h. ohne Weg, nehmen wir erst den Col de Proz (2.779 m) um danach wieder sehr steil ins Tal des Glacier de Proz abzusteigen, wo uns wieder nur der Satellit und vereinzelte Steinmännchen den Weg vorgeben. Nach einem Schneefeld (Gletscher) ist der Col d'Annibal (2.980 m) erreicht. Wir steigen nun ins Val de Moline, zum Aostatal (Italien) gehörend, ab. Und dieser Abstieg hat es in sich! Zum Glück haben wir genügend Sicht und können uns an den natürlichen "Vorgaben" orientieren. Es ist mehr ein Klettern, Hangeln, Rutschen als ein Laufen, aber wir kommen den Umständen entsprechend gut zurecht. Wir meistern die Angelegenheit, wegen der Steinschlaggefahr, einige Meter versetzt zueinander. Erst im "ungefährlichen" Gelände finden wir zu einer kurzen Rast wieder zusammen.
Mit Portugiesen am Croix de Tsousse (2.822 m). Allein am Col d'Annibal (2.980 m)
Am Bivouac Moline (2.424 m) füllen wir unsere Flaschen wieder auf und setzen den Weg Richtung Champillon fort. Derweil erkläre ich Ute und Torsten den Streckenverlauf des TOR DES GEANTS, der sich aus dem Tal Richtung Saint Rhemy en Bosses schlängelt. Plötzlich kommt es an einem unscheinbaren Punkt des Weges zu einem kleinen Stau. So treffen sich u.a. die deutschen Teams "La Mission GeMiNi" und "Club of Insanity" mit uns an der "Weggabelung". Es gibt Ungereimtheiten zwischen GPS-Track, Kartenmaterial und mitgelieferter Streckenbeschreibung. Gerhard Roehrl und Nicola Wahl verweisen auf das "Roadbook", indem es heißt: "... nehmen Sie links den Weg No. 21". GPS und Karte geben jedoch den Weg rechts ins Tal vor. Wir entscheiden uns schließlich für die Variante um den Bergvorsprung herum und nehmen den stellenweise unwegsamen, leicht ausgesetzten Pfad - er entspricht auch viel besser dem PTL-Grundgedanken, als die "breite Autobahn" hinab ins Tal. So teilt sich hier das Feld der Teilnehmer - die eine Hälfte bleibt oben, die andere Hälfte nimmt den angenehmen Weg, der allerdings unten auch improvisiert durch eine Kuhweide führt.
Beide Möglichkeiten stoßen kurz darauf auf den Weitwanderweg "Alta Via 1", auf dem der TDG in entgegengesetzter Richtung ausgetragen wird. Daher ist mir der Anstieg zum Col Champillon (2.709 m) gut in Erinnerung. Oben am Paß wartet ein Einheimischer, der die ankommenden Läufer frenetisch anfeuert, oder besser gesagt, er feuert nur Ute an. Sein "Brava, Brava!" ist nun mal die weibliche Form und gilt daher nur Ute. Er macht Fotos von uns und während Ute und Torsten schon wieder auf dem Weg zur Hütte unterhalb des Cols sind, erklärt er mir noch die umliegenden Berge und den weiteren Streckenverlauf des PTL.
Col de Champillon, Kilometer 290 des TDG. Von ihm lasse ich mir die Bergwelt erklären.
Am Rifugio Champillon Adolfo Letey (2.465 m) biegen wir zu einer Zwischenmahlzeit mit Bier, Kaffee und Polenta ein, bevor wir den weiteren, langgezogenen Abstieg nach Etroubles angehen. Auch wenn das Sandmännchen gegen 17:30 Uhr noch nicht durch sein kann, werden an einem Wassertrog schon mal die Zähne geputzt. Es geht bald in die dritte Nacht. Entlang eines Bewässerungskanals können wir auf einem Forstweg gut Fahrt aufnehmen. Danach geht es bergab und gegen 18:45 Uhr biegen wir in Etroubles (1.205 m) ein. Wir gönnen uns noch zwei Pausen im Ort, ehe ein längerer Anstieg in die Nacht folgt. Rund einen Kilometer oberhalb des Dorfes kommen uns zwei Läufer entgegen - Schluß, Aus, Ende! Für sie beide, denn die Muskulatur macht nicht mehr mit.
Zahnpflege am späten Nachmittag. Der obligatorische Batteriewechsel am GPS-Gerät.
Wir ziehen weiter, immer steil bergauf. Der Kleiderwechsel für die Nacht und kleinere Pausen stehen an. Durch eine Eselherde führt noch ein breiter Forstweg, der sich jedoch kurze Zeit später im Gelände und der Dunkelheit verliert. Anhand der Stirnlampenbeleuchtung, der vor uns am Berg gehenden Läufer, wissen wir wenigstens den groben Streckenverlauf, aber der "Eingang" zum Pfad nach oben ist nur sehr schwer zu finden. Obwohl Torsten ein Ass auf dem Gebiet der Navigation mit GPS-Gerät ist, benötigen wir zusätzlich noch die mitgeführten Karten und deren Beschreibung. Gegen 21:45 Uhr erreichen wir dann endlich den Col am Grande Tete (2.457 m). Von da an zieht sich der Steig über den Grat hoch zum Mont Labiez.
Schon seit Stunden ist uns ein monotones Hundegebell im Ohr, welches jetzt immer näher kommt. Wir erreichen die "Warnschilder", die in unserem Führer wie folgt beschrieben sind: "Achten Sie auf die Schafherden in diesem Sektor (Sie werden von den Rassehunden "Patou" gehütet, denen man nicht zu nahe kommen sollte. Schilder in Französisch und Italienisch erklären, wie man sich diesen Hunden gegenüber verhalten sollte." Naja, viel nützen uns diese Hinweise nicht, aber irgendetwas von "ignorieren" glaube ich herausgelesen zu haben. Und dann sitzt er auch schon vor uns, der ewige Kläffer! Brav verrichtet er seinen Dienst des Bellens und er macht auch keinerlei Anstalten seinen Platz zu verlassen - lieber Hund! Am Wegrand befindet sich dann der "Schafstall" am Croix du Mont Labiez (2.629 m).
Weglos über Wiesen schlängelt sich der Track nun wieder ins Tal. Den Portugiesen, die uns im oberen Teil überholen, können wir nicht folgen und so bleibt die "Wegsuche" wieder bei Torstens Navigationskünsten hängen. Oberhalb von Ars (1.981 m) müssen wir dann über einen größeren Bergbach. Doch der Übergang lässt sich nicht finden, wir irren umher und Torsten leitet uns letztendlich zu einer Brücke, etwas abseits der Streckenführung. Danach geht es wieder nach oben - was sonst? An den Kuhstallungen Bergerie de Tardiva (2.220 m) geht der Weg in einen Pfad über. Zwei Läufer haben es sich etwas oberhalb der Alm in ihren Biwaksäcken bequem gemacht. Wir beachten sie nicht weiter und setzen unseren Weg fort. Ein sternenklarer Himmel läßt dabei manchmal den Unterschied zwischen Stirnlampe am Berg oder Stern am Firmament nicht klar erkennen und so ist es doch immer wieder schön, wenn sich das als Stirnlampe "hoch oben" ausgemachte Licht als Stern entpuppt.
Vom Aussichtspunkt Chaligne (2.608 m) hat man einen herrlichen Blick auf das hell erleuchtete Tal, in dem Aosta (die Hauptstadt der Autonomen Region Aosta) liegt. Der Abstieg über den Col de Metz (2.492 m) ist unschwierig, der weitere ins Tal auch. Nur führen der GPS-Track und die Karte auf eine Serpentinen-Abkürzung hin, die es in sich hat. Wir wählen dabei jedoch den rund 400 Meter längeren Weg und ersparen uns so die Hangkraxelei in der Nacht. Hier ist die GPS-Vorgabe sowieso sehr "unsauber" gelegt und Torsten vermutet deshalb, daß auf diesem Abschnitt nur ein Streckenpunkt nicht gesetzt wurde, den wir nun genommen haben. Im weiteren Verlauf sind ebenso zu wenige Satelliten-Streckenpunkte gelegt und so würden wir, wenn wir die strenge Navi-Vorgabe befolgen würden, ständig vom Weg auf den Hang und wieder auf den Weg pendeln. Das erklärt Torsten dann auch einer italienischen Mannschaft, die dieses Problem noch nicht richtig einordnen kann.
Mont Labiez (2.629 m) Pointe de Chaligne (2.607 m)
Ab Nouva (2.269 m) ist der Verlauf klarer und wir sind gut unterwegs. Noch besser als wir sind zwei Mann, die uns kurz darauf überholen. Es sind Fabio Bernasconi und Pascal Bourquin vom schweizer Team "Trail Ticino". Sie waren es auch, die am Wegesrand im Schlafsack nächtigten und nun mit neuer Kraft an uns vorbeiziehen. Nur Ute erkennt ihre freundlich grüßenden Verehrer nicht. Aber warum kommen sie erst jetzt? Wir hatten sie aufgrund ihres "Trainings" viel weiter vorn eingestuft. Fabio erzählte uns beim Berglauf in Lavey von seinem Umfang, der ihm zwar nicht genügte, aber trotzdem ein Vielfaches unseres Tuns beinhaltete. Pascal hingegen ist z.Zt. in voller Fahrt. Wandert er doch seit ein paar Monaten die rund 65.000 Kilometer der gelb markierten schweizer Wanderwege ab. Ein Projekt, welches sich, neben anderen Aktivitäten, über 30 Jahre hinwegziehen wird und auf www.bourquin.info mitverfolgt werden kann.
Gegen 3:30 Uhr kommen wir zur Berghütte Rifugio Mont Fallere (2.358 m). Sie wurde laut unserer Routenbeschreibung vom Wirt Enzo Vierin eigenhändig erbaut und mit vielen seiner Holzschnitzereien verziert. Wir bekommen die Möglichkeit im Matratzenlager zu schlafen und am Morgen gibt es für Ute und Torsten noch ein Frühstück. Ich habe, wie fast immer, keinen richtigen "Hunger" und vertue mich lieber an meinen Füßen. Mit den besten Wünschen werden wir gegen 6:30 Uhr vom Hüttenwirt verabschiedet, er zeigt uns auch gleich noch die "Ideallinie" hoch zum nächsten Paß. In der Zwischenzeit kommen Michaela und Alexander Schulz-Wulkow vom "Team Fuchseck" an der Hütte an, wir wechseln noch ein paar Worte und kurz darauf befinden wir uns mit drei Spaniern und zwei Briten im steilen bergauf zum Col de Palletaz (2.707 m).
Rifugio Mont Fallere mit Hüttenwirt Enzo Vierin. Sonnenaufgang am Col de Pelletaz.
Es folgt der Sonnenaufgang am Paß. Einer dieser unvergeßlichen Momente dieser Tour, denn dafür nimmt man gern die Strapazen auf sich. Der Abstieg zum Lac Leysset (2.400 m) ist sehr steil und ich stürze dabei zweimal, glücklicherweise ohne größere Wehwehchen. Auf dem weiteren Weg ins Tal von Vertosan ist ein schnellerer Laufschritt möglich und wir geben deshalb ordentlich Gas. Mit unseren notgedrungenen Pausen (Entsorgung "Groß" bzw. "Klein") verlieren wir jedoch schnell diese gut gemachte Zeit gegenüber denen, die im schnellen Marsch die Forststraße nehmen.
Das Dorf Vedun (1.560 m) besteht zum größten Teil aus Steinhaus-Ruinen und aus den bewohnten Häusern ist kein Mucks zu vernehmen. Wir erfrischen uns an den Brunnen im Kern des Ortes und begeben uns gegen 9:30 Uhr Richtung Morgex. Der Weg führt leicht auf- oder absteigend horizontal am Bergrücken des Mont de Bard entlang. An einem Energiemast ist die Streckenführung wieder einmal unklar. Es dauert einige Zeit, ehe alle Meinungen der Mannschaften aus Spanien, Belgien, Frankreich und Großbritannien unter einen Hut gebracht sind und wir uns für den Pfad nach unten entscheiden können. Wir erreichen die Ruinen des ehemaligen Bergdorfes Montagnoulaz (1.594 m) und sind auf dem ausgewiesenen Weg.
Wenig später kommen wir in die Kleinstsiedlung Charvaz (1.512 m). An einem Brunnen vor der örtlichen Kirche werden die Wasserflaschen noch einmal aufgefüllt, ehe es wieder aufwärts geht. Dabei müssen wir doch knapp 600 Höhenmeter nach unten, nach Morgex, das wir schon eine ganze Weile im Visier haben. Trotzdem, Grashang hoch! Bis zu einer Kreuzung im Wald (1.727 m) führt der Weg, dann beginnt der langgezogene Abstieg bis Challancin (1.514 m). Der Weg "L'Homme et la Pente" (Der Mann und der Hang?) führt uns immer weiter ins Tal. Irgendwo ist jedoch die GPS-Kunst am Ende und die uns führenden Spanier lotsen unseren Trupp im "Funkloch" in die falsche Ecke. Während die Engländer den Fauxpas später mit der Leitung des PTL telefonisch abklären, findet Torsten die kürzeste Variante zum Track wieder.
In Chateau (1.113 m) sind wir wieder richtig. In Villair (975 m) gibt es nochmal eine kleine Unsicherheit, die aber aufgrund der noch bestehenden (und auch zu nutzenden) Licony-Trail-Markierungen schnell behoben ist. Da führt der Kurs durch ein Grundstück, unter einer Überdachung hindurch auf eine Wiese hinter dem Haus - kein Mensch käme in Deutschland auf so eine Streckenlegung und auch der Hauseigentümer würde sich für diese Idee sicherlich bedanken.
Saints Leonard et Saint Grat in Charvaz. Blick auf Morgex.
Am Gymnasium in Morgex (923 m) empfängt uns der Beifall der Helfer. Wir biegen 13:20 Uhr in die große Turnhalle ein und suchen uns ein freies Plätzchen für die Regeneration. Das Telefon kommt an die Steckdose und der Rucksack wird mit den Sachen des bereitgestellten Läufersacks aufgefüllt. Meine Füße behandle ich mir wieder mit Schere, Pflaster, Tape und Hirschtalk. Darüber kommen frische Socken und die größte "Baustelle" ist damit schon mal behoben. Das Essen und Trinken gibt es rund 150 Meter vom Gymnasium entfernt, in einer Art Kriegerkapelle. Man glaubt dort seinen Augen kaum zu trauen, aber hier wurde richtig (großspurig) aufgetischt: drei verschiedene Sorten Kuchen, Wurst, Käse, Cola, Bier, Wasser, Riegel, Bananen, Äpfel, und, und, und. Wir lassen uns je eine hausgemachte Lasagne und je ein Bier an den Tisch bringen. Dazu genießen wir die Kuchenspezialitäten und sind rundum zufrieden.
Vollgestopft biegen wir wieder in die Turnhalle ein, in der auch Fabio und Pascal zugange sind. Ein paar Handzeichen, als Unterhaltung, folgen, denn laute Gespräche sind hier tabu. Wenig später legen auch wir uns zu den Schlafenden und nutzen eine halbe Stunde zum "Intensivschlaf". Es ist 16:30 Uhr und genau wie an der "Mont Fallere" biegt "Team Fuchseck" in den Verpflegungspunkt ein, als wir aufbrechen.
Der Verpflegungspunkt unter der Leitung von Mimmo Domenighini entpuppt sich als Fünf-Sterne-Rastplatz.
Unser Transit durch Morgex verläuft relativ geräuschlos, d.h. kaum jemand nimmt von unserem Lauf Kenntnis, obwohl die Straßen voll mit Menschen sind. Keine Ahnung, warum hier im Aostatal der PTL keine Lobby hat? Dafür scheint der Licony Trail mit seinen 25 und 58 Kilometern hoch im Kurs zu stehen, zwei "Werbetafeln" der Läufe 2013 und 2014 künden davon. Auf beiden ist auch die jeweilige Siegerzeit vom "Vertikal 2000", einem 10-Kilometer-Lauf mit 2.000 vertikalen Metern, aufgeführt: 1:23:19 h im Jahr 2013 und 1:24:17,4 h anno 2012. Der Sieger am 14. August 2014 benötigte jedoch nur 1:22:24 Stunden, sein Name: Dennis Brunod!
Wir laufen geradewegs auf die Autobahnbrücke zu. Danach soll ein Weg hinauf in den Wald führen, meint das "Navi". Dort ist aber nichts! In der Beschreibung steht "vor dem Viadukt der Autobahn Aoste-Courmayeur" - also zurück! Die uns folgenden Belgier haben dieses Problem auch "erkannt" und nehmen nun mit uns den rund 300 Meter langen Rückweg. Steil bergauf führt "Weg No. 7" nun Richtung Arpy (1.674 m). Der Weg geht in einen Pfad über, der Pfad in eine Forststraße und diese wird schließlich zur "richtigen" Straße, mal steil, mal "flach", dazu immer wieder irgendwelche zweideutigen GPS-Angaben zur Wegfindung.
Im Laufschritt habe ich mir blöderweise den Rücken verspannt, daher ist ab Arpy nur noch ein schneller Wanderschritt möglich. Der Bergpfad zum Lac d'Arpy (2.066 m) präsentiert sich stark ansteigend und so erübrigt sich das Thema "Laufen" von selbst. Ich versuche während des Gehens meinen Rücken so gut wie möglich von den 10 bis 11 Kilogramm Rucksack-Gewicht zu entlasten, was nur bedingt gelingt.
Mit den letzten Sonnenstrahlen erreichen wir den Lac de la Pierre Rouge (2.555 m), einen größeren Bergsee unterhalb des Col d'Ameran (2.683 m). Bis zu diesem Paß ist noch eine halbe Stunde am Wegweiser angeschrieben, die wir in der einsetzenden Dunkelheit auch benötigen. Auf der anderen Seite des Sattels verlieren wir wieder schnell an Höhe. Im flacheren Teil macht sich jedoch Müdigkeit in unserem Trupp breit und so kommt es (die folgende Nacht über) immer wieder zu kleinen Schlafpausen, die allerdings die Fünf-Minuten-Marke nicht überschreiten.
Gespannt warten wir, während unseres Bergab, immer wieder auf Torstens Höhenangaben. Denn der Begleittext zur Karte weist bei 1.944 Metern Seehöhe "einen schlecht markierten Weg abwärts" aus, den wir rechts ins Tal nehmen sollen. Nun sind wir ja schon einiges gewohnt, was die Wegbeschaffenheit hier so zu bieten hat. Doch der folgende Pfad setzt noch eins drauf: völlig mit Sträuchern und Bäumen zugewuchert und in der Dunkelheit stellenweise nur zu erahnen. Er ist aber die einzige Möglichkeit nach unten. Die Äste der Bäume sind manchmal so tief und breit, daß wir uns fast kriechend durch den Tann bewegen. Kein normaler Mensch käme auf die Idee einen solchen "Weg" zu wählen. Hier lauert noch viel Arbeit für den zuständigen Kreiswegewart, oder ist das ein Amt, welches es nur in Deutschland gibt? Nach einer halben Stunde Kampf gegen Geäst, Gefälle und Nässe erreichen wir Haut Val du Fond (1.645 m), eine Drei- oder Vier-Häuser-Siedlung.
Eine Brücke bringt uns auf die andere Seite des Torrent de Lantaney. Die von mir (als eventuell möglicher Schlafplatz) erwähnte "Biwakhütte" von Promoud, die ich als Verpflegungspunkt vom TDG 2012 in Erinnerung habe, ist geschlossen. So steht es zumindest am Wegweiser an der Bachüberquerung. Also müssen wir uns anderweitig um ein Nachtlager bemühen. Doch weiter oben kommt nichts mehr, erst auf der anderen Talseite die "Baraques du Fond", die halb eingestürzten Steinhäuser am Wegesrand. Doch das ist viel zu weit. Erste Anregungen für eine "gelungene" Nachtruhe gibt es wenig später am Wegesrand: erst ein Zelt und dann ein Biwakschlafsack. Wir zögern noch! Gehen weiter ... zum etwas abgelegenen und geschlossenen "Bivaco Promoud" (2.038 m). Erst Weidezaun, dann ein Schild "Attenzione il cani", ein Esel im Schein unserer Lampen und im Hintergrund die seitlich eingestürzte Hütte der Alm. Hier werden wir wohl doch keinen Erfolg haben! Torsten will trotzdem zum Gebäude. Ich verweise ihn auf das Schild, auf dem vor Hunden gewarnt wird und wir drehen wieder um.
Aufschlagen des Nachtlagers oberhalb Promoud. Col Crosatie, Kilometer 37 des TOR DES GEANTS.
Auf dem "Alta Via 2" nehmen wir den Anstieg zum Crosatie, wir suchen uns nun ein trockenes Stück "Wiese" um unser Nachtlager aufzuschlagen. Die warmen Sachen werden angezogen und zu dritt wird es sich unter Torstens großen Biwakschlafsack bequem gemacht. Es ist jetzt nicht der ganz große Luxus, zum Einschlafen reicht es aber erstmal. So nach und nach wird später jeder von uns mal durch die Kälte wach. Keiner will aber so recht das Kommando zum Aufbruch geben, da die große Müdigkeit die bestehenden Unannehmlichkeiten immer noch locker "überspielt". Doch irgendwann in der Nacht siegt doch die Kälte. Wir brechen bibbernd auf und freuen uns auf den bevorstehenden Anstieg, der uns von innen wieder wärmt.
Die Seilsicherungen unterhalb des Passes waren schon vor zwei Jahren, nur die "Stufen" aus großen Steinen waren damals noch nicht so genial "verlegt". Gegen 3:50 Uhr stehen wir am Steinturm des Col de Crosatie (2.826 m). Auf einer Steinplatte steht der Name des am Paß tödlich verunglückten Chinesen beim vorjährigen TOR DES GEANTS.
Vorbei am Lac du Fond (2.436 m) schlängeln wir uns nun ins Tal Valgrisenche. Den Weg bis Planaval kenne ich vom TDG, da bin ich diesen Abschnitt im Hellen gelaufen und kenne daher dessen Schönheit - der Blick auf den See von oben, die verfallenen Steinhäuser und der Blick ins Tal. Ab Benevy (2.064 m) kündigt sich der neue Tag an und so kommen wir doch noch in den Genuß etwas davon zu sehen. Für Planaval (1.567 m) erhofft sich Torsten einen Bäcker, bei dem es Kaffee und Brötchen gibt. Ich nehme ihm diese Illusion mit der Begründung, das es sich da nur um eine Kleinst-Ortschaft handelt, ohne jegliche Infrastruktur.
Wir kommen 7:30 Uhr in den Ort. Das dort sogar ein "Hotel" ist, war mir 2012 gar nicht aufgefallen, obwohl der damalige Verpflegungspunkt direkt vor dessen Tür positioniert war. Im Inneren der "Gaststätte" empfangen uns Jin Cao und Michael Frenz vom "Club of Insanity". Beide sind schon aus den Rennen ausgeschieden und unternehmen nun noch ein paar Touren rund um den PTL und den UTMB. Wir schlagen uns die Bäuche mit Kaffee und Brot voll, nutzen ein Waschbecken für die Körperhygiene und ich komme sogar zum Studium des Sportteils der regionalen Zeitung. Am Wochenende beginnt die Serie A wieder mit der Balltreterei und diesem Ereignis sind gleich mehrere Seiten gewidmet - "die Jagd auf Juventus" ist der große Aufmacher.
Das Hotel Restaurant "Paramont" in Planaval. Partnerhütte Rifugio degli Angeli.
Mit der französischen Equipe "PiM'S" brechen wir bei bestem Wetter Richtung Orfeuille (1.985 m) auf. Die Wege sind angenehm zu den Füßen und mit der Stärkung von Planaval kommen wir zügig voran. Wir erreichen die etwas tiefer gelegenen zwei Steinhäuser von Miolett (1.895 m) und beginnen nun mit dem Anstieg zur Berghütte. Unmengen von Heidelbeersträuchern säumen dabei den Pfad. Die Franzosen loben uns gegenüber die Vitamine der Früchte und ernten deshalb die ersten Büsche leer - dem wollen wir nicht nachstehen und schieben uns ebenfalls die leckeren Beeren in den Mund, bis die Zähne blau aussehen.
Die Sicht ist gut, daher kann ich Ute auf der gegenüberliegenden Talseite den Verlauf des TDG erklären. Den Weg von Valgrisenche hoch zum Col Fenetre müßte sie wiedererkennen, da sie ihn ja selbst in beiden Richtungen schon abgelaufen ist. Ihr Zweifeln im Gesicht sagt mir jedoch das Gegenteil. Sei's drum, da kann ich ihr nun wenigstens auch den auf dem Bec de l'Aouille aufgestellten Satelliten als Basketballkorb verkaufen. Und wieder treten Zweifel bei Ute auf.
Der Weg zur Hütte zieht sich, obwohl er uns von Jin und Michael mit nur rund vier Stunden (ohne Hast) vorgegeben wurde. Erst kurz vor 13 Uhr sind wir dann endlich am Rifugio degli Angeli (2.916 m) angelangt. Vor dem Mittagsschlaf sorgen ein Bier und etwas zu Essen für die nötige Bettschwere, wobei ich mich gleich im Gastraum lang mache. Da auf den Berghütten stets die Schuhe im Vorraum auszuziehen sind und meine nun hochgelagerten Füße den Duft des Schuhinnenlebens noch besser in den Raum transportieren, werden (während meines sanften Dahinschlummerns) die Fenster geöffnet. Das hat zur Folge, daß sofort frische, aber auch wesentlich kältere Luft in die Gaststube strömt. Ich fange an zu frieren und wecke auf, nach vielleicht 20 Minuten "Schlaf" - klassisches Eigentor!
Wir verlassen die Berghütte gegen 16:40 Uhr. Wir liegen gut im Zeitplan, denn die letzten Läufer erreichen (laut der mitgeführten Tabelle mit den Durchlaufzeiten) diesen Punkt erst gegen 21:20 Uhr. Das mag ja sein, aber wo steht, daß sie mit dieser Zeit auch die festgelegten "Barrieres horaires", die Zeitlimits schaffen? Viel zu lang haben uns diese Zahlen in Sicherheit gewogen und auch jetzt merken wir noch nichts von diesem "Etikettenschwindel". Denn es folgen Zeitangaben (für die Nachtstunden), die für die letzten, also die langsamsten Teilnehmer nie und nimmer machbar sind.
Wir beschäftigen uns aber erstmal mit anderen Problemen: die Streckenführung ist mal wieder unklar! Das GPS leitet uns weglos über mehrere Bäche, die Karte würde uns sogar durch einen Bergsee (2.427 m) lotsen und die Beschreibung meint: "Verlassen sie den Pfad No. 16, überqueren sie, rechts gehend, den Talgrund auf 2.400 Meter Höhe und nehmen sie den Weg No. 14B in der Nähe von Ricovero Capitano Crova (Reste einer Befestigung aus dem zweiten Weltkrieg, die leicht vom Weg No. 16 aus erkennbar sind). Gehen sie bergauf in Richtung des Passes mit der Höhenquote von 2.668 m." So wie die Talüberquerung hier beschrieben ist, ist sie definitiv nicht auf der Karte eingemalt. Nach einigem Hin und Her entscheiden wir uns schließlich für die GPS-Vorgabe und "fahren" damit ganz gut.
Nur muß ich, wegen dieser blöden "Hanghuhn-Latscherei", an meine Füße. Es drückt und zieht ohne Ende. Ich muß eine Not-OP an den Blasen mit Schere und jeder Menge Kinesiotape durchführen, sonst ist ein Weiterlaufen undenkbar. Kurze Zeit später erwischt uns dann das Schlechtwetter, welches im benachbarten Tal schon einige Zeit auf uns lauerte. Starkregen und Wind - Ute und Torsten teilen sich den Biwakschlafsack als Regenschutz, während ich mit drei Franzosen hinter einem großen Felsbrocken Schutz suche. Nach einer halben Stunde brechen die Franzosen auf, wir folgen ihnen eine viertel Stunde später. Am Lac de Saint Grat (2.466 m) treffen wir wieder auf sie. Es folgt ein wegloser Abschnitt und die Navigationskünste von Torsten sind wieder gefragt. Oder laufen wir am einfachsten den Franzmännern hinterher? Das scheint denen nicht so recht zu passen, daher bringt sich Torsten immer wieder bei der GPS-Wegfindung mit ein.
Dann stehen wir vor dem Glacier de Sassiere, der stellenweise mit Geröll bedeckt ist. Der Regen hat die obere Schicht des "Gletschers" aufgeweicht und so lassen sich die Tritte gut in den weißen Untergrund "hauen". Im oberen Teil erleichtert ein vom Paß herunterhängendes Seil den Anstieg. Mit dem Col de la Sassiere (2.841 m) ist der Grenzübergang nach Frankreich geschafft. Es folgt ein zäher Abstieg über Blockgelände, der höchste Konzentration fordert.
Der Regen hat den Glacier de la Sassiere "aufgeweicht" und so besser passierbar gemacht.
Die Wegfindung im unteren Teil des Abstieges gestaltet sich wieder schwieriger. Wir orientieren uns grob an einem größeren Bergbach, den wir dann auch immer wieder zur "Kurskorrektur" queren müssen. Auf einer größeren Wiesenfläche passieren wir ein großes Steinmännchen, an dem ein Holzkreuz angebracht ist. Torsten weist auf das recht neue Kreuz hin, was ich jedoch für nicht so erwähnenswert halte. Todesfälle gibt es nun mal. Auch den Initialen "J.C." messe ich keine weitere Bedeutung bei. Erst viele Stunden später fällt bei mir zu dieser Geschichte der Groschen: J.C. steht natürlich für Jean-Claude und der gelbe Punkt just an dieser Stelle auf der Landkarte ist der Sterbeort von Jean-Claude Marmier.
Dieser Abschnitt vom Col nach La Sassiere (2.032 m) hat uns jede Menge Zeit gekostet, er war für die Langsamsten mit 64 Minuten angegeben. Wir haben hier locker das Doppelte an Zeit gebraucht. Urplötzlich wecken wir aus unserer bisherigen Glückseligkeit auf. Wenn wir uns jetzt nicht straffen, vergeigen wir den PTL des Zeitlimits wegen. Ich rechne meinen Mitstreitern die anderen "Ungereimtheiten" aus der Zeitentabelle vor und wir sehen uns plötzlich im Zugzwang. Am Refuge du Ruitor im Weiler La Sassiere herrscht deshalb schon etwas Ungemach in unserer Mannschaft. Nur rein in die Hütte um sich registrieren zu lassen oder sich vielleicht doch noch eine kleine Stärkung genehmigen? Wir entscheiden uns für Letzteres: ein Bier, etwas Wurst und Käse, eine Suppe und dazu ein Apfel. Dann geht es wieder raus in die (im Vorraum abgestellten) nassen Schuhe und weiter zur "Zeitschranke" von 8 Uhr am Kleinen Bernhard-Paß.
Allein machen wir uns gegen 22:30 Uhr die "Straße" hinab zur Chapelle Saint Pierre aux Liens auf den weiteren Weg. Dieser "verläuft" sich ab da in Wiesen und Weiden. Die Dunkelheit vereinfacht die Wegsuche nicht unbedingt und wir haben nur das GPS zur Hilfe, da das Begleitbuch keine brauchbaren Lösungen anbietet. Irgendwann ist unser Kurs auch über Wegweiser ausgeschildert, der Weg wird aber dadurch nicht besser: überall Nässe und wenn das noch nicht reicht, kommt zusätzlich ein Bach der Quere. Die Füße schwimmen schon wieder in den völlig durchnässten Schuhen, aber Zeit zum Jammern ist jetzt nicht.
Wir laufen und laufen, aber der Pas de la Louis Blanche (2.526 m) will einfach nicht kommen. Noch eine Ecke und ... wieder nichts! So geht das nun schon eine ganze Weile. Und als wir uns schon "oben" wähnen und die Zwischenzeiten schönrechnen, sind es immer noch drei Ecken bis zum richtigen Paß, den wir Mitternacht erreichen. Einziger Höhepunkt dieses Abschnittes waren die zig Stirnlampen am Berg, die sich als (lichtreflektierende) Augen einer Kuhherde herausstellten.
Einem steilen Bergab ins Combe des Moulins (2.195 m) folgen Flußquerungen und gerade Wegabschnitte. Wir sind sehr gut unterwegs und schaffen die angeschriebenen Zeiten auf den Wegweisern mit nur minimalem Vorsprung. Das demotiviert zusätzlich zum Zeitdruck und dem Druck in den Schuhen. Dann wird der Col de la Traversette (2.383 m) plötzlich mit nur noch 280 Metern (horizontalem Weg, keine Höhenmeter) angegeben. Die Wirklichkeit ist jedoch viiiel länger und zehrt am Nervenkostüm. Jetzt aber nur noch eine Skipiste 'runter und ... wir sind noch lange nicht da. Und als dann unser Zwischenziel, das Hospice du Petit St-Bernard (2.151 m), zu sehen ist, macht der Weg auch noch eine Ehrenrunde um das Objekt.
Es ist 2 Uhr, als wir das Gebäude betreten. Die Läufersäcke werden im 4. Stock ausgehändigt, der Schlafraum und der Speisesaal befinden sich in der 3. Etage. Hier gibt es also noch ein paar Höhenmeter gratis obendrauf. Klasse! Um unsere Stimmung ist es nicht gerade bestens bestellt, da fehlt auch schon wieder (wie in Morgex) mein Beutel mit den Wechselsachen. Alle Säcke sind nach Nummern und Mannschaften chronologisch geordnet, nur hat die "106" wieder nur zwei Tüten dastehen, die dritte tummelt sich irgendwo inmitten der rund einhundert bereitstehenden Beutel.
Einen entsprechenden Platz zum umziehen gibt es auch nicht. Da Schlaf- und Speiseraum dafür tabu sind, bleibt nur der Treppenaufgang für das Neubefüllen des Rucksacks und den Kleiderwechsel. Die Blasenbehandlung an den aufgeweichten Füßen kann ich mir bei dem schlechten Licht im Gang sowieso schenken. So wird erstmal mit knapp zwei Stunden Schlaf die gröbste Müdigkeit bekämpft. Durch diese Ruhepause hat sich das "Wellfleisch" an den Füßen auch wieder gestrafft. Eine besonders dicke Schicht Hirschtalk ersetzt nun den chirurgischen Eingriff an den Fußsohlen. Das Ganze wird mit trockenen Socken abgedeckt, nur in die nassen Schuhe will ich nicht wieder. Zum Glück habe ich noch ein trockenes Paar in meinem Kleiderbeutel, aber nur weil Ute mich im Vorfeld dazu nötigte, denn ich könne ja so eine lange Strecke nicht in einem Paar Schuhe laufen. Also verschwindet der völlig durchnässte Hoka im Beutel und der trockene (aber ungedämpfte) Inov8 kommt über die Socken. Ein "Frühstück" verkneife ich mir und so brechen wir gegen 5:30 Uhr auf.
Entlang der Straße zum Col du Petit St-Bernard (2.188 m) führt ein breiter Weg. Hinter dem Paß und seiner Bebauung sind wir wieder in Italien. Ein Schild an einem der Gebäude weist auf den Verpflegungspunkt des TDS (Sur les Traces des Ducs de Savoie) hin, der am Mittwoch in Courmayeur gestartet wurde. Heute ist allerdings schon Sonnabend und der TDS längst zu Ende. Wir treffen später noch zweimal auf die Streckenführung des TDS. Den ersten Schnittpunkt müssen wir heute noch bis 24 Uhr erreichen - den Col du Joly. Dort wartet das letzte Zeitlimit auf der Strecke.
Wir biegen hinter den Grenzübergangsanlagen am Skilift von La Thuille ins Gelände ab. Die Füße empfangen die erste Feuchtigkeit bei einer Wiesenquerung, aber ich sehe die Situation gelassen. Da sich schönes Wetter ankündigt, werden diese auch wieder trocken und der Blasenbildungsprozess hält sich in Grenzen. Am Lac Verney (2.088 m) vorbei nimmt der Pfad wieder Steigung auf und wir erreichen den Col de la Rousse (2.551 m) gegen 7:30 Uhr. Ein Rudel Steinböcke quert unseren Weg beim Abstieg vom Sattel.
Danach kommt wieder einer der Anstiege, bei dem eben gut gemachte Zeit wieder gnadenlos verbraten wird. Steinmännchen sind in der Geröllhalde am Hang des Col de Argueray (2.853 m) die einzige Orientierungshilfe, gelegentliche Steigspuren (u.a. im Schnee) helfen nur bedingt. Dann stehe ich als erster von uns oben an der Felskante und blicke auf den Gletscher, der ca. 50 Meter unter mir liegt. "Ihr wollt nicht wissen, wie es hier aussieht! Die Zielankunft können wir vergessen! Mal sehen, ob wir hier überhaupt wieder heil weg kommen.", rufe ich Ute und Torsten zu, da ich einen Abstieg auf den Gletscher just an der Stelle vermute, an der ich mich gerade befinde. Dem überhasteten Entsetzen folgt der "richtige" Übergang auf den Glacier d'Arguerey - alles gaaanz entspannt, nur die "Steigeisen" sollten jetzt an die Schuhe, damit hier nicht noch jemand von uns abschmiert. In der Zwischenzeit sind "Einheimische" zu uns aufgelaufen und präsentieren uns prompt den Gletscherübergang ohne Hilfsmittel an den Füßen. Großes Kino! Und ganz nebenbei sind wir auch wieder in Frankreich angelangt.
Glacier d'Arguerey ... weitere Schnee- und Eisfelder folgen!
Trotz des Zeitverlusts sind wir weiterhin guter Dinge, was eine Ankunft innerhalb des vorgegebenen Zeitlimits von 142 Stunden in Chamonix betrifft. Auch die folgenden Schwierigkeiten den Idealweg zwischen den Felsblöcken hindurch ins Tal zu finden, nehmen uns nicht diesen Glauben. Denn um uns herum befinden sich Mannschaften, bei denen ich mir 100%ig sicher bin, das sie es auf alle Fälle schaffen werden - alles zähe Franzosen, Portugiesen, Norweger, Belgier und Spanier. Mehrere großflächige Schneefelder gibt es noch zum Hinunterrutschen, dann folgt wieder wegloses Terrain.
An den Almhütten Plan des Veis (2.062 m) beginnt der Aufstieg zum Col de l'Ouillon, dabei verengt sich der Weg immer mehr, ehe er sich in den Wiesen und Bergbächen der Alm verläuft. Das Tal hoch zum Plan de Forclaz (2.520 m) ist sehr langgezogen und breit. Jede Mannschaft interprediert hier die bestmögliche Route anders und so sind die Teilnehmer breit über das Tal verstreut. Am Col de l'Ouillon (2.612 m) finden sie jedoch alle wieder zusammen. Es folgt ein kurzer, steiler Abstieg. Danach sind die Pfade wieder laufbar und ich schicke Ute und Torsten schon mal vorweg, denn ich will noch Fotos machen und mir den weiteren Streckenverlauf auf der gegenüberliegenden Talseite mal genauer ansehen. Danach renne auch ich ins Tal hinab und habe die beiden an einem Gegenanstieg wieder ein.
Wir treffen auf die Strecke des UTMB, der leider schon heute Vormittag hier durch ist. An der Refuge des Mottets (1.870 m) treffen wir gegen 14 Uhr ein. Torsten bestellt ohne Vorankündigung für alle drei das große Gedeck. Ich hatte zwar nur Hunger auf ein Bier (das natürlich auch in der Bestellung inbegriffen ist), nun muß ich zusätzlich eine Vorsuppe, ein Hauptgericht und einen Nachtisch verspulen. Das macht natürlich träge und so wird der nächste Anstieg eine ganz schöne Qual für mich.
Unsere spanischen Begleiter von "Bikeaventura Brunete" haben es sich am Nachbartisch bequem gemacht. Die Blasenbildung hat bei einem der Iberer ganz andere Dimensionen erreicht, wie bei mir. Ganz klar, daß da die mitgeführten Verbandsmittel einem viel größeren Verschleiß unterliegen, wie bei Otto Normalbürger. Also helfe ich dem Leidensgenossen gern mit ein "paar Metern" Tape aus. Und neulich haben wir erst verwundert im Refuge du Ruitor einem Franzosen beim Eincremen seiner Füße zugesehen, die ohne jegliche Gebrauchsspuren und höchstwahrscheinlich aus Babyhaut waren. Wie ist das nur möglich? Das sind solche Fragen, mit denen man versucht, sich von den eigenen Problemen abzulenken.
Kurz nach 15 Uhr geht es weiter. Laut Beschreibung dürfen wir die Serpentinen hoch zu den Häusern von Bellaval (2.110 m) sogar abkürzen. Unterhalb des Lac d'Enclave (2.400 m) kommen uns zwei PTL-Verantwortliche entgegen. Es folgt eine Art Belehrung über das Verhalten beim Abstieg vom Col d'Enclave. Als Beweissicherung wird diese ganze Angelegenheit von der zweiten Person gefilmt. Wir haben glücklicherweise am Paß (2.627 m) genügend Sicht zur groben Orientierung. Auf einem "sehr markanten Felssporn" (wie es in der Beschreibung heißt) geht es dann bergab. Durch die sehr hohe Steinschlaggefahr sollen wir nur in Gruppen absteigen, daher "verbünden" wir uns mit den Spaniern zur Seilschaft. Wir gehen voran, sie folgen. Dieser Abstieg kostet wieder viel Zeit, aber Sicherheit geht vor!
Ab den Lacs Jovet (2.174 m) wird wieder gelaufen, weiter zur UTMB-Strecke oberhalb von La Balme (1.850 m). Danach folgt der Anstieg zum Col de la Fenetre (2.245 m). Wir liegen gut in der Zeit, alles was wir vor Mitternacht eher am Col du Joly sind, wird Pause gemacht, so die Parole. Von da an kennen wir fast die komplette Strecke, da ich sie mit Ute in der Vorwoche schon mal abgelaufen bin. Mit dem Einbruch der Dunkelheit passieren wir die Gipsablagerungen am Col du Joly (1.989 m) und betreten 20:55 Uhr das Verpflegungszelt auf dem Parkplatz. Es ist kalt, denn eine Heizung gibt es hier nicht. Trotzdem lege ich mich auf den Holzfußboden im hinteren Teil der "Base Vie", da alle Liegen belegt sind. Ich bin hundemüde, zum Glück haben wir uns genügend Zeit zum Schlafen herausgelaufen. Am Vormittag hatte ich Schlafversuche meiner Mitstreiter noch großkotzig mit "geschlafen wird ab Sonntag, 15:30 Uhr" (da ist Zielschluß in Chamonix), abgeblockt und nun bin ich froh, daß sich hier nochmal die Gelegenheit zum Ruhen bietet.
Große Rast an der Refuge des Mottets. Col de la Fenetre (2.245 m)
Es ist wirklich ungemütlich kalt und hart auf dem Boden des Zeltes, aber ich finde immer wieder in den Schlaf zurück. Und jedesmal der Blick auf die Uhr und immer ist noch Zeit - das beruhigt. Ute hat sich allerdings beim Schlafen um eine Stunde vertan und ist schon 22:30 Uhr wieder wach. Ihre Liege ist im Nu neu belegt und so kümmert sie sich um die Verpflegung und den Weckdienst um 23:30 Uhr. Ich ziehe mir noch eine heiße Suppe rein und esse einen Apfel. Noch ein kurzer Plausch mit Michaela und Alex vom "Team Fuchseck" und drei Minuten vor dem Zeitlimit verlassen wir die Raststätte.
Obwohl wir den Weg kennen, finden wir den (im Hellen) leichten Einstieg zur Aiguille Croche (2.500 m) nicht gleich. Wir kennen aber die grobe Richtung und sind nach einer kurzen Wiesenpassage auf dem Pfad zur "Bergstation" des Skilifts (2.370 m). Dort biegen wir rechts auf den Grat ab, müssen nicht hoch zum Berggipfel. Immer auf dem Bergrücken entlang, führt nun der Weg zum Mont Joly. Aus dem Tal von Megeve dröhnt Stimmungsmusik herauf, ich wähne diese auch aus dem anderen Tal (von Les Contamines-Montjoie) zu vernehmen. Was natürlich nicht so ist.
Gegen 2:15 Uhr stehen wir auf dem Mont Joly (2.525 m). Außer den Lichtern unten im Tal gibt es nichts zu sehen, also nehmen wir sofort den steilen Nordgrat hinab zum Pavillon du Mont Joly (2.001 m). Durch den sich anschließenden Wald geht es im Zickzack hinab ins Val Montjoie. Zweimal gönnen wir uns eine Schlafpause am Wegesrand, aufgrund der nächtlichen Kälte allerdings keine ganz große Erholung. Die gibt es dann im Talort Tresse (1.016 m), in einem Buswartehäuschen. Dieses hält drei Holzpritschen für uns bereit und so nutzen wir diese Gelegenheit zum Schlafen bis zum Morgengrauen.
Mit neuem Elan nehmen wir nun die Forstwege und -straßen zur Bergsiedlung Chalets du Miage (1.559 m). Dort gibt es für jeden von uns eine extra große Tasse (fast eine Schale) Kaffee mit Milch und reichlich Zucker. Unter den ungläubigen Blicken einiger Wanderer brechen wir 8 Uhr zu unserem letzten nennenswerten Anstieg auf. Es geht in Serpentinen hinauf zum Col de Tricot (2.120 m). Unsere dabei in der Vorwoche aufgestellte Zeit von 45 Minuten schaffen wir nicht ganz, sind aber immer noch deutlich unter einer Stunde, als wir den Paß erreichen.
VP Col du Joly: Er tut nichts, er will nur schlafen! Col de Tricot, der letzte nennenswerte Anstieg.
Durch Heidelbeersträucher und Gesteinsbrocken geht es nun hinab zur Hängebrücke über den Bionassay. Wir ziehen die zwei (männlichen) Chinesen vom Mixedteam "NSFOCUS" bis zur Seilbahn-Bergstation Bellevue (1.801 m) hinter uns her. Danach kommt noch ein nicht eingeplanter Anstieg (1.977 m) und sie ziehen an dessen Ende an uns vorbei. Es folgt ein Abstieg mit endlos vielen Kehren ins Tal nach Les Houches. Auf der Karte und im GPS eine gerade Linie, in der Natur ein Zickzack-Pfad mit 50 bis 60 Metern Weglänge zwischen den Wendepunkten. Wir laufen also wieder einmal ein paar Zusatz-Kilometer, die der Veranstalter für uns gar nicht "ausgemessen" hatte. So zeigt die GPS-Aufzeichnung rund 7 Kilometer vor dem Ziel schon 340 zurückgelegte Kilometer an, bei 294 offiziell ausgeschriebenen!
In Les Houches (1.010 m) empfängt uns Dieter Ladegast ("Franken Furt Fifties"). Er mußte wegen Fußproblemen den Wettbewerb frühzeitig beenden. Nun wartet er hier auf seinen übrig gebliebenen Mannschaftskameraden Michael Mewes. Wir quatschen eine Weile mit ihm, denn eilig haben wir es jetzt nicht mehr, da der rechtzeitige Zieleinlauf sicher scheint. Wir hatten uns im Frühjahr beim JUNUT mit ihm über den PTL unterhalten und bekamen danach brauchbare Tipps zu dieser Unternehmung und nun treffen wir uns unter diesen ungünstigen Umständen wieder.
Der Rest der Strecke ist leicht wellig und verläuft auf dem Kurs des UTMB (entgegengesetzt) und des TDS. Jetzt sind sogar noch einige Markierungen des TDS zu unserer Hilfe auf dem Weg aufgebracht. Doch diese "Hilfe" benötigen wir auf dem Schlußstück nicht mehr, da es auf bekannter Forststraße oberhalb des l'Arve durch den Wald geht. Wir haben uns vorgenommen, den Rest zu wandern. Dabei lassen wir das Erlebte noch einmal Revue passieren und das übliche "Was wäre wenn?" kommt auch nicht zu kurz.
Am frühen Sonntag Nachmittag biegen wir dann endgültig wieder in die Zivilisation ein, als wir den Ortseingang von Chamonix erreichen. Von einer Liegewiese an einem Kletterfelsen gibt es ersten zaghaften Applaus für uns. Der sich immer mehr verstärkt, je näher wir dem Ziel kommen. Einen abgesperrten Zieleinlauf (wie beim UTMB, der zeitgleich von der anderen Seite in den Ort kommt) gibt es für uns nicht. Und so müssen wir uns den Weg durch die Fußgängerzone von Chamonix selbst bahnen. Immer mehr Passanten bleiben stehen, ziehen (symbolisch) den Hut und feuern uns an. Den größten Respekt zollen sie dabei Ute. Ganz besonders Fabio, der schon mit PTL-Finisher-Weste in einem Cafe am Straßenrand sitzt. Er kommt auf uns zu und umarmt uns, ganz besonders Ute. Mittlerweile bekommen wir feuchte Augen von dieser ganzen Anteilnahme.
Rund 200 Meter vor dem Ziel stoßen wir auf den mit Menschenmassen gesäumten Zieleinlauf des UTMB. Es ist nicht einfach, sich den Weg durch die Zuschauer freizumachen. Hand in Hand und Ute in der Mitte nehmen wir nun die letzten Meter bis zum Zielbogen. Was aus den Lautsprechern dröhnt - keine Ahnung! Wir sind überglücklich, als wir unter dem Bogen stehen. Wir umarmen uns und fühlen schon etwas Stolz über unser Ankommen. Danach müssen wir uns noch für zwei, drei Fotos postieren und der Haken ist dran! Die "heißersehnte" Weste gibt es dann beim Verlassen des Zielgeländes, nachdem die Startnummer gelocht wurde. Kurz darauf steht das Telefon nicht mehr still. Immer mehr "Glückwunschschreiben" treffen via WhatsApp oder SMS ein. Viele haben uns während der Woche auf dem Ticker von LiveTrail oder in unserer "PTL-Mont Blanc"-Gruppe verfolgt, in der wir ab und zu Bilder einstellten oder kurze Schilderungen zur Situation abgaben. Danke für eure Unterstützung!
Unterhalb des Glacier de Bionnassay. Hinter der Ziellinie in Chamonix.
Fazit:
"Was wäre wenn" der PTL 2014 in seiner "Urform" stattgefunden hätte? Hätten wir es dann auch geschafft? Hätten wir uns zu weniger Ruhepausen zwingen können? Wären wir dann noch willensstark genug gewesen, um die Sache erfolgreich zu beenden? Diese Fragen kann man jetzt schlecht beantworten. Fakt ist, daß wir das anfängliche, beruhigende Zeitpolster gern angenommen haben und uns so wesentlich besser "erholten". Später aufgekommene Zweifel wurden nur "laut gedacht", um auf den Ernst der Situation energischer hinzuweisen. Außerdem wollen wir uns so etwas kein zweites Mal antun, daher mußte es klappen - so die einhellige Meinung im letzten Drittel des PTL (aber das hat mancher sicherlich auch bei seinem ersten Marathon gedacht und ist dieser Distanz dann treu geblieben).
Viel Gelegenheit dem Laufsport zu frönen, bietet der PTL nicht. Vielleicht haben wir 10% der Strecke im Laufschritt absolviert, der Rest war geländebedingt dafür nicht geeignet. Die größte Herausforderung ist der zu geringe Schlaf während der Unternehmung - übermüdet heikle Stellen zu meistern, ist sicher nicht jedermanns Sache. Stellenweise gingen so die Eindrücke von der Schönheit der Berge "verloren", trotzdem ist der PTL eine Erfahrung, die ich nicht missen will.
Vom Schwierigkeitsgrad ist der "kleine Spaziergang des Leon" ganz oben angesiedelt. Da verblasst selbst der TOR DES GEANTS zum "Erholungsurlaub all inclusive" und eine sportliche Steigerung scheint kaum möglich. Sicherlich gibt es noch längere Distanzen bei Laufveranstaltungen, die werden jedoch meist im Kopf entschieden. Beim PTL ist zur Streckenbewältigung auch noch eine funktionierende Mannschaft gefragt und die hatten wir. Danke Ute! Danke Torsten!
Nach 140:37:33 Stunden wieder auf dem Place du Triangle de l'Amitie - als FINISHER des PTL!
Statistik:
Von 102 gestarteten Mannschaften kamen 66 im Ziel an, davon nur 41 in Komplettbesetzung. In der Mixed-Wertung waren dies folgende 5 Mannschaften: "Footless Crows" aus Großbritannien, die Italiener "Gli Elli", "Trottons Gaiement" aus Frankreich sowie die Deutschen "Team Fuchseck" und "Wald- und Wiesensportler".
"Team Fuchseck" und 2/3 "Wald- u. Wiesensportler" Ende der Veranstaltung.
Ein Dankeschön geht noch an Michaela und Alex vom "Team Fuchseck", die uns nach dem Lauf eine Übernachtung im Fahrzeug ersparten und uns in ihrer Ferienwohnung mit einquartierten.
Bilder vom PTL.