09.10.2014 - 9:10 Uhr - 50,1 km / 475 Hm+ / 475 Hm- (Trainingslauf)
Während Ute (geburtstagsbedingten) Streß am Telefon hat, studiere ich die Architektur der Gotteshäuser.
Ute hat Geburtstag und ihr Wunsch zu diesem runden Jubiläum ist eine sog. Kirchen-Tour durch Chemnitz. Dabei geht es ihr aber nicht darum, der Kirche als Organisationsform zu huldigen, sondern den Sakralbauten der "Stadt der Moderne" einen Besuch abzustatten. Die zu laufende Schleife wird dabei auf (runde) 50 Kilometer beschränkt und der Start erfolgt, dem Datum entsprechend um 9:10 Uhr.
Natürlich darf Ute zum "Runden" auch bei ihrer Chefin eine Bitte äußern. Und da sie schon alles hat, außer geregelten Arbeitszeiten, ist "Arbeitsfrei am Ehrentag" ihr größter Wunsch.
Für eine ökonomische Streckenführung von Kirche zu Kirche bin ich verantwortlich. Nur lassen sich nicht alle Chemnitzer Gotteshäuser auf einmal abhaken, zumal wir die 50 Kilometer (aus gegebenem Grund) als Obergrenze gesetzt haben. Also fallen in der Auswahl alle erst vor ein paar Jahren eingemeindeten Orte, sowie der Westen von Chemnitz weg. Diese Bauten kann man sich ja mal zu einem späteren Zeitpunkt bei einer (etwas längeren) Runde um Chemnitz zu Gemüte führen.
Christuskirche Reichenhain Kirche Adelsberg
Von Altchemnitz, über die Gornauer Straße aus, ist nach zwei Kilometern die Christuskirche in Reichenhain erreicht. Diese Saalkirche, ein einschiffiges Kirchengebäude, steht oberhalb des 1922 geweihten Kriegerdenkmals und der am 23. April 1898 gepflanzten König-Albert-Jubiläumseiche am Richterweg.
Über die Jägerschlößchenstraße, wo eine rund 400 Jahre alte Eßkastanie am Wegesrand thront, und einen Feldweg kommen wir nur schleppend in den Stadtteil Adelsberg. Ute muß jetzt vermehrt Geburtstagsglückwünsche am Telefon entgegennehmen - das geschieht zwar meist im Laufschritt, bremst aber trotzdem irgendwie. So wird Ute im Nachhinein auch nicht mehr wissen, wie wir zur Adelsberger Kirche gekommen sind. Die 1569 erbaute Kirche wird gerade saniert und so ist sie nur eingerüstet von uns zu begutachten.
Auf der Adelsbergstraße stadteinwärts laufend, stoßen wir geradewegs auf die St.-Andreas-Kirche von Gablenz. Sie wurde zwischen 1888 bis 1889 erbaut und deren Besonderheit ist der rechteckige (und nicht der sonst übliche quadratische) Grundriß des Turmes. Erst über dem Glockenturm nimmt dieser eine quadratische Form an. Während unseres kurzen Aufenthaltes am neogotischen Bau erklingt aus dem Inneren Orgelmusik - etwa das von mir bestellte Geburtstagsständchen für Ute? Na klar, ich überlasse doch in solchen Situationen nichts dem Zufall!
Kurz darauf muß wegen der sommerlichen "Hitze" ein am Wegesrand zur Lutherkirche liegender Supermarkt angesteuert werden, denn wir reisen heute nur mit Telefon und Fotoapparat bewaffnet durch die Stadt. Ach ja, eine Windjacke für den Notfall haben wir auch noch mit dabei, aber wir werden sie den gesamten Tag über nicht benötigen und so sind die zwei auf Minimalgröße zusammengeknüllten Jacken nur unnötiger Ballast. Da steckt jedoch das "Pflichtausrüstungs-Gen" in uns, erworben bei unseren längeratmigen Geschichten weitab der Zivilisation im Gebirge. Ein Halb-Liter-Gebinde mit Wasser sollte für den weiteren Stadtbummel ausreichend sein, trotzdem zieht sich diese kleine Pause (wegen des Besucheransturms im Geschäft) fast eine Viertelstunde.
St.-Andreas-Kirche in Gablenz Lutherkirche
Der monumentale Zentralbau der Lutherkirche an der Zschopauer Straße ist nach 12 Kilometern erreicht. Zwischen 1905 und 1908 wurde der markante Vierungsturm mit vier kleineren Ecktürmen errichtet und mit hellem Muschelkalk verblendet. Zudem befindet sich im 64 Meter hohen Turm die größte historische Turmuhr der Stadt.
Auf der Zschopauer Straße stadteinwärts queren wir an deren Ende rechterhand den ehemaligen Johannisfriedhof, der heute parkähnlichen Charakter besitzt. Bis auf die sog. "Franzosengräber" (von deutschen und französischen Soldaten des Krieges 1870/71) und zwei Ehrengräber wurden alle anderen Ruhestätten eingeebnet.
Am unteren (nördlichen) Ende des Parks steht die Johanniskirche. Sie ist eine der ältesten erhaltenen Kirchen Chemnitz', die jedoch viele Umbauten erfuhr. Bereits 1566 wurde die romanische Kirche in eine gotische Saalkirche umgebaut, 1876/77 erfolgte eine neugotische Umgestaltung und 1913 ein Umbau mit Jugendstil-Elementen. Zudem wurde 1971 der Kirchturm stark zurückgebaut.
Unser weiterer Weg führt uns auf der Augustusburger Straße zum Sonnenberg. Am Ende der Martinstraße, gegenüber des Theodor-Körner-Platzes steht dort die Markuskirche, erbaut von 1893 bis 1895 im Stile der norddeutschen Backsteingotik mit einem Doppelhelmturm. Und nur einige hundert Meter weiter auf der anderen (Fürstenstraßen-)Seite des Sonnenberges ist mit der St.-Joseph-Kirche das nächste Gotteshaus unserer Tour erreicht. Diese neoromanische Basilika an der Gießerstraße entstand zwischen 1907 und 1909.
St.-Johannis-Kirche St.-Markus-Kirche St.-Joseph-Kirche
Für uns geht es nun weiter Richtung Hauptbahnhof, der nach der Überquerung der Dresdner Straße in der berühmt-berüchtigten "Bazillenröhre", einem 217 Meter langen (von 1887 bis 1889 gebauten) Tunnel, passiert wird. Kurz darauf stehen wir am Theaterplatz. Neben Opernhaus, Hotel "Chemnitzer Hof" und dem ehem. König-Albert-Museum ist dort die Petrikirche plaziert. Die 82 Meter hohe neugotische Hallenkirche wurde zwischen 1885 und 1888 errichtet.
Da "Kirchen-Tour" nun nicht unbedingt schnellstmögliches Herunterhetzen der Strecke bedeutet, bleiben wir auch hier eine Weile und schauen uns die architektonischen Details des Gotteshauses an, bevor wir zur nächsten Kirche aufbrechen. Entlang der Straße der Nationen und am Einkaufszentrum Sachsenallee vorbei erreichen wir den Stadtteil Hilbersdorf. Dort wird jedoch zuerst an einem Supermarkt Getränkenachschub geholt. Eine Prozedur, welche fast eine halbe Stunde in Anspruch nimmt, denn der Laden ist voll mit Kunden, nur eine Kasse ist besetzt und dort geht es (wegen technischer Probleme) auch nicht voran.
St.-Petri-Kirche an der Oper Trinitatiskirche Hilbersdorf
Parallel zur B169 (Frankenberger Straße) laufen wir auf Nebenstraßen zum Friedhof, der oberhalb der Trinitatiskirche liegt. Dort steht das Denkmal für die im ersten Weltkrieg gefallenen Hilbersdorfer. Die 1866 erbaute und 1930 erweiterte Kirche liegt direkt an der Frankenberger Straße, welche zwischen 1914 und 1922 entstand. Eine in den 1920er Jahren errichtete Betonstützmauer sicherte daraufhin den Kirchenbau zur tieferliegenden Straße ab.
Auf der Frankenberger, Ebersdorfer, Lichtenauer und Mittweidaer Straße gelangen wir zur "Kirche des Stifts Unserer lieben Frauen Ebersdorf" im ländlich geprägten Stadtteil Ebersdorf. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstand hier ein erster romanischer Kirchenbau, der zwischen 1400 und 1470 zur (spätgotischen) Stiftskirche umgebaut wurde. Zum Kirchengelände gehört auch der im Landschaftsschutzgebiet liegende Stiftsfriedhof, dort entdeckt Ute eine Ringelnatter, die sich vor ins in den nahegelegenen Teich "rettet". Zahlreiche Denkmäler und Gräber beider Weltkriege sind hier stumme Zeugen der Geschichte, u.a. das 1925 geweihte Ehrenmal für die 113 gefallenen Ebersdorfer und Ruhestätten für die 600 an einer Epidemie gestorbenen Kriegsgefangenen. Markant ist auch das 1916 von einem kriegsgefangenen Bildhauer geschaffene Sandsteindenkmal für die in Gefangenschaft gestorbenen Franzosen, Russen, Engländer und Italiener.
Auf dem Stiftsweg durch die "Ebersdorfer Gründe" laufen wir weiter Richtung Glösa. Der Weg ist in Wirklichkeit eine Straße, die allerdings so eng ist, daß sie eben nur ein "Weg" ist. Einige mächtige Graupappeln säumen hier noch den Straßenrand. Sie wurden 1890 gepflanzt und haben ihren Zenit bereits erreicht, denn der Totholzanteil in den Kronen wird von Jahr zu Jahr (trotz Schnittmaßnahmen) größer.
Auf der durch Glösa führenden Slevogtstraße biegen wir für einen kleinen Umweg an der Bahnstrecke in den Wald. Die Adresse heißt "Rennsteig" und ist ca. einen Kilometer lang. Diesen Namensvetter des rund 100 Meilen langen Wanderweges dürfen wir natürlich nicht auslassen, zumal wir beide auch noch den Finisher-Zwirn des Rennsteiglaufs von 2011 tragen. Danach gibt es wieder reichlich Asphalt hinab ins Chemnitztal. Oberhalb der B107 steht dort die St.-Jodokus-Kirche.
Stiftskirche Ebersdorf St.-Jodokus-Kirche Glösa
Aus einem (höchstwahrscheinlich) romanischen Kirchenbau ist diese Kirche hervorgegangen. Vom 14. bis zum 18. Jahrhundert bot eine Ummauerung mit drei Türmen (als Wehranlage) Sicherheit im Kirchenhof. Das Gebäude wurde in den Jahren 1688 und 1715 umgebaut und renoviert, ehe es 1886 grundlegend erneuert wurde. Die 1945 von Bomben zerstörte Kirche wurde 1952/53 wieder aufgebaut und 1959 fertiggestellt.
Eine 30 Meter hohe und rund 180 Jahre alte Winterlinde* am Friedhof prägt mit ihrer ausladenden Krone das Bild des Gottesackers mit Pfarrhaus und Kirche. Zwischen Kirche und Chemnitztalstraße stehen zwei Ehrenmale der Kriege 1870/71 und 1914/18, welche jedoch stark dem Verfall preisgegeben sind.
Auf dem Chemnitztalradweg stadtauswärts laufend, steuern wir den Netto-Markt am Kreisverkehr der Bornaer Straße an - Mittagspause! Mit Tomatensaft, Apfelschorle, Wasser; einer Banane und zwei Pfirsichen fällt das Mahl dabei recht üppig aus, bevor es auf der Blankenburgstraße und der Salzstraße zum Schloßberg geht.
Dort thront hoch über dem Schloßteich "Chemnitz' wertvollstes Baudenkmal" - die Schloßkirche. Aus dem 1136 gegründeten Benediktinerkloster hervorgegangen und später als Marienkirche geweiht, wurde sie danach mehrfach umgebaut. Der neugotische Turmhelm wurde bei der Bombardierung 1945 stark beschädigt und zwischen 1946 und 1949 durch einen vereinfachten Turmabschluß ersetzt.
Eine große Runde um den Schloßteich bringt uns direkt ins Zentrum der Stadt. Dort steht "vereint" mit dem Rathaus die Stadtkirche St. Jakobi, welche zwischen 1230 und 1250 erbaut wurde und so zu den ältesten erhaltenen Bauten von Chemnitz gehört. Sie hat ihren Ursprung in einem romanischen Kirchenbau, der im Laufe der Zeit mehrfach umgebaut und nach der Zerstörung 1945, von 1949 bis 1974 wieder aufgebaut wurde. Der "Hohe Turm", der Glockenturm der St. Jakobi beherbergt seit jeher in seinen unteren Etagen Räume des Alten Rathauses und ist diesem baulich eher angepasst, als dem Schiff der Kirche.
Schloßkirche auf dem Schloßberg St.-Jakobi-Kirche im Stadtzentrum
Bevor wir den Kirchen auf dem Kaßberg einen Besuch abstatten, genehmigen wir uns im Eisgarten an der Kaßbergauffahrt jeder ein Softeis, denn das Wetter hat heute, statt Oktobergrau eher etwas Sommerliches an sich. An der Henriettenstraße, Kreuzung Kaßbergstraße steht die 1893 erbaute Friedenskirche und nur ein paar hundert Meter weiter am Andrepark die Kreuzkirche St. Pauli, welche 1935/36 entstand. Mit ihrer 40 Meter hohen Campanile, einem freistehenden Glockenturm, orientiert sie sich stark an italienischen oder litauischen Vorbildern. Auch sie wurde im Krieg stark zerstört und zwischen 1951 und 1954 neu aufgebaut.
Friedenskirche auf dem Kaßberg Kreuzkirche St. Pauli auf dem Kaßberg
Quer über den Kaßberg laufen wir weiter zur Waldenburger Straße. Dort steht neben einem kleinen Park mit zwei Kriegsehrenmalen die 1884/85 errichtete Matthäuskirche. Auf dem Harthweg und der Popowstraße gelangen wir zur Endhaltestelle der Straßenbahn in Schönau. Im nahegelegenen Getränkemarkt wird noch einmal Flüssiges für den Rest der Strecke geholt und auf der gegenüberliegenden Seite der Zwickauer Straße ist auch schon die nächste Kirche erreicht.
Die im neugotischen Stil gebaute Lutherkirche von Schönau, auf deren Grundstück man zuerst am 11. November 1883 eine Luthereiche pflanzte, bevor am 12. Mai 1885 der erste Spatenstich des Kirchenneubaus getätigt wurde. Die Kirchweihe erfolgte am 9. Januar 1887 und am 5. Mai 1936 wurde ihr der Name Luthers verliehen.
Der weitere Weg führt uns nun nach Stelzendorf, wo wir auf den Radweg am Südring abbiegen und durch das Heckert-Wohngebiet den Stadtpark erreichen. Dort laufen wir auf kleinen Umwegen zur letzten Station unserer heutigen Runde - der St.-Michaelis-Kirche an der Annaberger Straße.
St.-Matthäus-Kirche Altendorf Lutherkirche Schönau St.-Michaelis-Kirche Altchemnitz
Als "Ersatz" für die 1888 einem Feuer zum Opfer gefallene "St. Peter und Paul"-Kirche, wurde der im frühgotischen Stil gehaltene Klinkerbau von 1889 bis 1891 errichtet. Nach der Eingemeindung von Altchemnitz im Jahr 1894 mußte (um Namensdopplungen zu umgehen) die Kirche einen neuen Namen erhalten und wurde in St. Michaelis umbenannt. Am Eingang zum angrenzenden Friedhof befindet sich ein 1917 aufgestellter Gedenkstein zum 400-jährigen Jubiläum des Thesenanschlags von Luther und ein Denkmal für die fünf gefallenen Altchemnitzer im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71.
Um die 50 Kilometer noch voll zu machen wählen wir für unseren Heimweg den Abstecher über das Sportforum. Gegen 17:30 Uhr ist die Runde beendet und die Uhr zeigt dabei eine Netto-Laufzeit von 5 Stunden und 15 Minuten an. Doch mit der sportlichen Betätigung an Ute's Ehrentag ist damit noch nicht Schluß. Auf dem Rad werden jetzt nochmal satte fünf Kilometer zurückgelegt; unterbrochen nur durch einen Zwischenstopp an einem VP an der Schulstraße, wo hauptsächlich mediterrane Kost gereicht wird. Von 19 bis 23 Uhr verweilen wir mit einem ehemaligen Laufexperten (zur Trainingsauswertung) in der Gastwirtschaft.
Passend zum "weißen Hemd" ... ... passend zum Namen. *Glösaer Friedhofslinde
*Nachtrag: Leider mußte am 20.10.2014 die markante Winterlinde auf dem Glösaer Friedhof gefällt werden. Sie wies Pilzbefall und Stammhöhlungen auf und stellte somit eine Gefahr für die Friedhofsbesucher dar.