28.04.2019 | 11 Uhr | 31,1 km | 568 Hm+ | 774 Hm- |
Ob nun "Romanes eunt domus!" ("Menschen, genannt Romanes, gehen das Haus!") oder unter Mithilfe eines Sprachkundigen korrigiert in "Romani ite domum!" ("Römer, geht nach hause!") - Brian von Nazareth war mit seiner Forderung an die römischen Besatzer, eilig des Nachts von ihm hundertfach an die Palastmauern seiner Heimatstadt Judäa gepinselt, im Jahre 33 mit seinem Latein sichtlich am Ende. Dieser Vorschlag zur vorzeitigen Heimreise frequentierte die Jungs um Statthalter Pilatus wenig und gerademal ein Film ("Das Leben des Brian") und vielleicht ein paar mit diesem Spruch bedruckte T-Shirts haben diese heroische Tat von Brians Freiheitsdrang für die Nachwelt festgehalten. Ihm wäre sicherlich auch ein Denkmal gesetzt worden, wenn er, wie von Hermann dem Cherusker ein paar Jahre zuvor im Teutoburger Wald praktiziert, kein großes Federlesen mit den Römern gemacht hätte ...
Heute, 2.010 Jahre später, jagt der "Hermann" (anstatt römischer Legionen) nur noch ein paar Tausend Freiwillige durch den Wald. Die Spielregeln sind dabei wesentlich moderater, aber unterschätzen sollte man die 31,1 Kilometer zwischen Grotenburg und Sparrenberg nicht. Der "Hermannslauf" ist der größte Volkslauf in Ostwestfalen-Lippe. Dem auf 7.000 Teilnehmer limitierten Starterfeld stehen zur 48. Auflage rund 800 Helfer "entgegen". Es gibt weder Antrittsgelder, noch Siegprämien - es geht einzig und allein um "Ruhm und Ehre", welche immerhin 5.580 Läufern am Ende des Tages zuteil wird. Laut Ausschreibung "erfordert die Strecke eine hohe Konzentration und gute körperliche Fitness", ist aber auch mit einem luxuriösen Zeitlimit von 5:30 Stunden ausgestattet. Der Anmeldezeitraum für diesen Klassiker umfaßt satte 104 Tage, ist aber meist schon wenige Minuten nach dessen Eröffnung ausgeschöpft. Die Nachfrage ist riesig, aber die örtlichen Begebenheiten im Start- und Zielbereich lassen eben ein größeres Starterfeld nicht zu.
Damit unterhalb des Hermannsdenkmals ein relativ geordneter Abzug der Läufer Richtung Bielefeld möglich ist, sind Startblöcke für die jeweiligen Leistungsgruppen eingerichtet. Die Zutrittsberechtigung für die Blöcke ergibt sich aus den Zielzeiten der letzten Hermannsläufe. Für "A" bedeutet dies: Männer bis 2:29:59 Stunden und Frauen bis 2:59:59 Stunden. Um in Block B zu gelangen, muß der Mann mindestens eine 3:09:59er Zeit und die Frau eine maximale Zielzeit von 3:29:59 Stunden vorweisen. Für den Rest und für die Hermannslauf-Neulinge ist der Startblock C gedacht. Diese drei Blöcke starten dann zeitlich versetzt in das Rennen. Während "A" um Punkt 11 Uhr auf die Reise geschickt wird, kommt "B" fünf Minuten später zum Zuge und "C" wird 11:15 Uhr losgelassen.
Unsere Anmeldung ist an jenem 13. Januar sieben Minuten nach Mitternacht getätigt und mit dem späteren Erhalt der Startunterlagen offenbart sich der sportliche Unterschied des Hauses Delling/Herfurt: Ute hat 'ne Einladung für Startblock A und mir bleibt wieder die vom Vorjahr in guter Erinnerung gebliebene "C". Mit einer Zeit von 2:45:12 aus meinem Premierenjahr 2018 wäre ich ja ein Kandidat für Block B gewesen - vielleicht ist es aber auch der aufgedruckte Jahrgang 1917, der mich in den Augen des Veranstalters keine realistische Zeit mehr unter 3:10 Stunden laufen läßt und daher zwangsläufig eine "Rückstufung" in Block C vorgenommen wurde. Egal wie die Auswahlkriterien auch immer zustande kamen, so bleibt wenigstens ein sportlicher Anreiz: adäquat dem historischen "Römer jagen" wird mir nun die Aufgabe zuteil, Ute durch den Teutoburger Wald zu treiben. Während Roms Statthalter von Germanien, Publius Quinctilius Varus und sein Gefolge im Jahre 9 völlig überraschend "aus den Sandalen gehauen wurden", hat Ute die Gewißheit einer Viertelstunde Vorsprung auf ihren ärgsten Verfolger.
Der Verlauf unseres Sonntagmorgens kann jetzt nicht als ganz optimal bezeichnet werden. Eine Verkettung von kleineren und größeren Alltagsverfehlungen (wie z.B. Startunterlagen vergessen, Verkehrsdelikt mit Zuhilfenahme der Polizei) lassen den Adrenalinspiegel unnütz in die Höhe schnellen, bevor dies normalerweise erwünscht ist. Auf der Busfahrt vom Zielort Bielefeld nach Detmold ist jedoch (so gut wie) alles wieder im Lot. Dort angekommen, haben wir allerdings nicht mehr allzu viel Zeit, da ab 10:30 Uhr die Startblöcke "geflutet" werden. Bei über 1.300 Läufern in Block A und mehr als 3.000 in "C" ist aufgrund der seitlichen Begrenzung ein möglichst vorderer Standplatz von Vorteil.
Pünktlich 11 Uhr geht dann die erste Welle durch den Startbogen, dem schließt sich fünf Minuten später Teil 2 an. Block C wird danach, aufgrund der längsten Wartezeit, mit Komplimenten vom Sprecher überschüttet. Während zuvor, nach seiner Einschätzung, noch Block B die allerschönsten Teilnehmer des Hermannslaufes stellte (allerdings erst nachdem "A" im Wald verschwunden war), kommt er nun beim Aufrücken des letzten Startblocks zur Erkenntnis, daß wir doch nun die wirklich Allerschönsten seien. Um diesen kurzfristigen Sinneswandel auch glaubhaft zu vermitteln, wiederholt er gern seine Aussage noch einmal. Vielleicht war dieses Getätschel auch zu viel Balsam für mein Selbstbewußtsein, denn so richtig komme ich danach nicht in Fahrt. Da nützt es wenig, wenn man zwar als einer der Schönsten einen Laufwettbewerb bestreitet, die Beine aber nicht dessen Anforderungen entsprechen.
Der halben Umrundung des Hermannsdenkmals folgen rund fünf Kilometer fast ausschließlich bergab. Den Anfang macht dabei eine 20%ige Straßenabfahrt, welche später in einen etwas flacheren Waldweg mündet. Nach rund anderthalb Kilometern überhole ich den ersten Kontrahenten aus Block B und einen weiteren Kilometer später ist die Führungsgruppe der C mitten im Block B angelangt. Nun werden die Prioritäten anders gelegt: schnellstmögliches Erfassen einer Ideallinie durch den Pulk, kein Zögern beim Überholen und alles stets mit Schulterblick beim Spurwechsel. Das kostet Kraft, wie auch das Ausweichen in den Brombeer- und Brennesselbewuchs am Seitenstreifen. Es macht aber auch Spaß!
Der erste Verpflegungspunkt am Fuße des Ehberges wird von mir ausgelassen, um den Schwung und die eben eroberten Plätze nicht wieder herzugeben. Auch die zweite Getränkestelle an der breiten Panzerstraße in Augustdorf bleibt ohne Entnahme meinerseits. Natürlich spielt mir auch das kühle Äußere in die Karten, welches definitiv zu einer besseren Zielzeit als im Vorjahr beitragen muß. Und es kommt sogar noch besser: zwischen Tönsberg und Oerlinghausen setzt Nieselregen ein, der sich bis zur Ortslage in einen heftigen Hagelschauer verwandelt. Auf der abschüssigen Pflasterstraße spült das Wasser die weißen Perlen en masse mit uns zum Ortskern hinab. Zwei an der Strecke in Oerlinghausen abgestellte Fahrzeuge sind komplett weiß überzogen - der grandiosen Stimmung der zahlreichen Zuschauer tut dieses ungewöhnliche Frühlingswetter jedoch keinen Abbruch. Die breite Straße ist dort nur noch eine enge Gasse durch die die Läufer mit lautstarker Unterstützung getrieben werden. Dies macht die schon langsam müde werdenden Beine schneller, die Euphorie ebbt jedoch im folgenden Schopketal recht schnell wieder ab.
Bei Kilometer 23 muß ich dann (wie 2018) zwangsläufig erstmals in den Wanderschritt verfallen. Die enge Streckenführung läßt ein Überholen nicht zu und da sich alle im Gehschritt die Stufen des Hanges hinaufquälen, bleibt auch mir keine andere Wahl. Erst im zweiten Abschnitt der Treppe von Lämershagen kann ich mich nochmal austoben. Der Weg teilt sich dort in die Möglichkeiten "Hermänner" und "Weicheier" - kurzer knackiger Anstieg oder "einen Bogen drumherum" (ohne Steigung). Natürlich gebe ich bei der männlicheren Variante alles. Im zügigen Laufschritt geht es für mich auf einem Trampelpfad neben dem stark frequentierten Stufenabschnitt hinauf, um oben auf dem Plateau die ganze Bandbreite dieser Kraftmeierei auszukosten: fast Stillstand, wenigstens gelingt ein Gehschritt bergab - alles in allem eine gefühlte Tagestour in den Alpen. Danach ordne ich mich in den Strom der "Weicheier", locker 20 bis 25 Plätze weiter hinten im Klassement wieder ein. Diesen "Spaß" war es allerdings wert!
So langsam habe ich aber auch den Glauben verloren, meine Mission erfolgreich zu erfüllen und Ute noch vor der Ziellinie abfangen zu können. Vielleicht habe ich sie auch im Heer der von mir Überholten schlichtweg übersehen? Diese Gedanken sind jedoch nur von kurzer Natur, schließlich führe ich ja noch den persönlichen Kampf gegen die Uhr, sprich gegen die Vorjahreszeit. Die Promenade Richtung Sparrenburg wird dabei wieder zum Ausbremser. Das Spalier der Zuschauer läßt ein seitliches Überholen nicht zu und so wird der langgezogene Zieleinlauf für mich zum Slalomlauf. Zeitlich etwas besser als 2018 überquere ich die Ziellinie und erhalte meine Finishermedaille. Ute wartet dabei schon leicht fröstelnd hinter dem Zielbereich. Ihre Zeit etwas langsamer als meine! Das sagt ja nun einiges über meinen Trainingszustand aus - wobei ich für den minimalen Aufwand, den ich zur Zeit betreibe, nichts anderes erwarten kann. Saustarke Leistung von Ute, die am Vorabend noch zehn Trainingsrunden a 1.102 Meter um den Dedinger Heide-See drehte, während ich auf dem Sofa der Regeneration frönte. Faulheit wird eben bestraft!
... und Fleiß gewürdigt! Platz 2 in der Altersklasse ist für Ute der Lohn ihrer sportlichen Entwicklung - dafür unterbricht sogar ehrfurchtsvoll der Regen seine Tätigkeit für den Rest des Sonntages.
Ute Herfurt | Thomas Delling | |
Nettozeit | 2:45:55 h | 2:43:03 h |
Bruttozeit | 2:46:02 h | 2:58:09 h |
Gesamt | 1.260. von 5.580 | 1.078. von 5.580 |
Weiblich | 163. von 1.384 | |
Männlich | 990. von 4.196 | |
Altersklasse | 2. von 121 (W55) | 163. von 617 (M45) |
Zwischenzeit km 18 | 1:36:09 h | 1:32:54 h |
Statt Auslaufen nach dem Wettkampf ist für den nächsten Tag eine Wanderung zur Lockerung der Beinmuskulatur angesetzt. Neben ein paar Baumriesen hält die Gegend um Detmold, Paderborn und Bielefeld noch jede Menge andere Sehenswürdigkeiten parat. Ein Ablaufen von knapp 30 Kilometern Hermanns- und Niedersachsenweg zwischen Externsteinen und Hermannsdenkmal ist zwar für die Tätigkeit der Augen ein Genuß, wohl aber nicht für den Bewegungsapparat.
So bleibt der Hermannslauf 2019, zumindest für mich, als recht schmerzhafte Niederlage gegen die Begebenheiten des Teutoburger Waldes in Erinnerung. Vielleicht sollte ich mich aber auch besser auf solche Unternehmungen vorbereiten oder ich muß zwangsläufig gleich daheim bleiben! "Thomam manere domi!"