18.05.2019 | 6:00 Uhr | 73,9 km | 1.867 Hm+ | 1.382 Hm- |
Klitzekleines persönliches Jubiläum beim diesjährigen GutsMuths-Rennsteiglauf: der zehnte Ritt von Eisenach nach Schmiedefeld steht für mich auf dem Wochenendplan. Fast hätte ich dies übersehen, da ja nur große Festtage ihre Schatten vorauswerfen und dementsprechend einer wesentlich intensiveren Vorbereitung bedürfen, als die alltäglichen Geschehnisse.
Meine Rennsteiglauf-Vita beginnt vor so ziemlich genau zehn Jahren am 16. Mai 2009. Nun würde dies laut Adam Ries bedeuten, ich nähme in diesem Jahr schon meinen elften Rennsteiglauf in Angriff. Doch so einfach ist diese Rechnung nicht! Damals gab es noch den Salomon-Trailrunning-Cup, eine Pokalwertung mehrerer Berg- und Landschaftsläufe, welche eben auch im Thüringischen Halt machte. Dabei galt es einen Halbmarathon von Oberhof nach Schmiedefeld im Rahmen dieser Serie zu bewältigen. Mein damaliger Lehrmeister Jens suchte noch einen Sparringspartner, den er dort mal so eben schnell versägen kann und so kam es, daß wir uns beide für diesen Halbmarathon anmeldeten.
Wir hatten einen Bungalow in der Nähe Oberhofs für die Übernachtung zum Wettkampftag gebucht. Nach Abholung der Startunterlagen machten wir es uns dort gemütlich. Draußen ging ein ordentlicher Regenguß nieder und beim vierten Bier am Kaminfeuer wurde Jens dann etwas redseliger. Er erzählte mir vom Mythos Rennsteiglauf. Das wäre die gleiche Veranstaltung, auf der wir tags darauf die 21 Kilometer unter die Füße nehmen würden. Diese Laufveranstaltung gäbe es auch schon ziemlich lange und sie hätte auch noch einen Marathonlauf zu bieten - der richtige Rennsteiglauf ist allerdings noch ein paar Kilometer länger. Wenn man diese 72,7 Kilometer hinter sich gebracht hätte, wäre man auch ein richtiger Rennsteigläufer. Man müsse allerdings auch verhältnismäßig zeitig aufstehen, um dessen Start nicht zu verpriemen. Daher ist er ihn auch nur einmal gelaufen und hat dann, wenn ich es damals richtig verstanden habe, als erster Mensch im Ziel die magische Sieben-Stunden-Barriere geknackt. Ich war überwältigt von dieser Geschichte.
Am nächsten Tag war der Halbe schnell abgehakt (1:31:00 h) - es war also genug Zeit, auf die Zielankunft der richtigen Rennsteigläufer zu warten. Kurz nach fünf Stunden Wettkampfzeit kam dann schon der damalige Dauersieger auf dem Schmiedefelder Sportplatz an. Ich war verwirrt und Jens mußte jetzt natürlich Eingeständnisse in seinen Rennsteiglauf-Ausführungen machen. Ich hätte das alles falsch interpretiert und ein bißchen mußte ich ihm auch rechtgeben, denn niemand aus unserem Bekanntenkreis oder gar aus unserem Laufverein kam in diesem Zeitraum ins Ziel. Lange Rede, kurzer Sinn: man müsse es dort erstmal schaffen, unter sieben Stunden zu bleiben, so seine letzte Ansage, ehe wir uns auf eine wortkarge Heimfahrt machten.
Im Jahr darauf standen wir beide früh in Eisenach unter dem Startbogen. Ich wollte unbedingt auch Rennsteigläufer werden ... und war es 6 Stunden und 32 Minuten und 55 Sekunden später dann auch. Das Ego war bedient und auch der Haken am Rennsteiglauf war gesetzt. Letztendlich fiel mir die ganze Sache aber gewaltig auf die Füße, schließlich besagen alte Leitsätze dieser Veranstaltung: "Einmal Rennsteig - immer Rennsteig!" oder "Dem Rennsteig die Treue!". So eine Art Knebelvertrag - allerdings steht diese Vereinbarung (besser gesagt: Verpflichtung) nicht wie gewohnt im Kleingedruckten, sondern wird ganz unverhohlen ausposaunt. Damit war klar, hier jährlich auch antreten zu müssen und zwar weder in Oberhof (zum Halbmarathon) oder Neuhaus (zum Marathonlauf) - nein, in Eisenach! Das klassische Eigentor, welches viele Rennsteigläufer Jahr für Jahr ausbaden müssen. Wie anders ist es zu erklären, daß es mittlerweile 1.105 Traditionsläufer gibt, die 25 und mehr Teilnahmen vorzuweisen haben? Ein Teufelskreis! Wie Jens allerdings aus dieser Nummer 'rausgekommen ist, ist nicht überliefert. Jedenfalls wurde er seit 2010 nie wieder auf dem Höhenweg des Thüringer Waldes gesichtet.
Die Pflicht ruft also, nun zum zehnten Mal! Ich werde deshalb wieder eine Aufstiegsfeier im städtischen Fußball verpassen - wie 2011, als die sächsische RedBull-Filiale und der damit haushohe Staffelfavorit Rasenball Leipzig mit einer 0:1-Niederlage in Chemnitz seine sportlichen Grenzen aufgezeigt bekam und so dem Kontrahenten den Vortritt Richtung Liga 3 lassen mußte. Geld schießt eben keine Tore! Und weil das so ist, bewegt man sich nun in Chemnitz stets an der unteren Grenze der finanziellen Möglichkeiten und hat wieder Erfolg. Die Meisterschaft in der Regionalliga Nordost wurde schon vor zwei Wochen (fast) unter Ausschluß der Öffentlichkeit eingetütet. Nun kommt Fortschritt Bischofswerda auf die Fischerwiese und wird (auch für die 1:2-Hinspielniederlage) mit 7:0 zerlegt. Und weil im Chemnitzer Fußball jetzt immer alles regelkonform ablaufen muß, gibt es keinen üblichen, emotionalen Platzsturm. Die Feierlichkeiten finden außerhalb des Sportplatzes statt - dort, wo die Gralshüter der modernen Fußballkultur keinen Zugriff auf eventuelle Fehltritte haben. Ob es nun für den Regionalligameister auch eine Klasse höher geht, entscheiden die feinen Herren dann doch. Man feiert in Chemnitz also etwas ins Ungewisse ...
Beim Rennsteiglauf gibt es zwar auch jede Menge Ungewißheiten, wie sich z.B. die körperlichen Verschleißerscheinungen mit der zunehmenden Dauer der Unternehmung arrangieren werden oder für welche Variante sich letztendlich das Wetter während der Reise von Eisenach nach Schmiedefeld entscheidet - gefeiert wird am Ende trotzdem, abends im Schmiedefelder Festzelt. Da wird das Tanzbein geschwungen und fleißig mitgegrölt, auch wenn es tagsüber nicht annähernd so flott und lustig von statten ging. Doch noch ist es nicht so weit.
Nun scheint es ja auch Rennsteigläufer zu geben, die die ganze Vorfreude auf die Veranstaltung gar nicht geregelt bekommen, denen sonst daheim die Decke auf den Kopf fällt und daher einfach nicht schnell genug zu ihrem Lieblingsereignis kommen können. Wie sonst ist es zu erklären, daß ich während eines beruflichen Ausflugs nach Kassel am Donnerstagmorgen schon die ersten Wohnwagen-Gespanne (stilecht mit Rennsteiglauf-Startnummer im Ausguck) auf den Autobahnen 4 und 7 ausmachen konnte. Logisch, daß man dann freitags ab dem frühem Nachmittag Probleme bekommt, einen Kleinst-Pkw auf dem Schmiedefelder "Campingplatz" zu plazieren. Da bleiben dann nur die Standplätze am Waldesrand, welche zwar dem ganzen Trubel etwas aus dem Weg gehen und wesentlich mehr Ruhe ausstrahlen, allerdings vom Wildwechsel der Waldpinkler stärker betroffen sind. Diesen Kompromiß muß man aber schlucken, da nur wenige Stunden später die Zufahrt zur großen Wiese oberhalb des Zielbogens nicht mehr gestattet wird.
Zwischen 18 und 19:45 Uhr bringt uns ein Bus nach Eisenach. Dort ist in einem Festzelt auf dem Marktplatz bereits das Abendessen angerichtet. Es gibt Thüringer Klöße mit Rotkraut und Gulasch. Das Zeug esse ich mittlerweile das ganze Jahr über nicht, weil ich mir mit Duplikaten die traditionelle Zeremonie dieser besonderen Pastaparty nicht versauen will. Da das Gros der Teilnehmer zu diesem späten Zeitpunkt schon abgefüttert ist, findet sich auch ein Plätzchen neben dem Bierstand im Freien. Man trifft auf Hinz und Kunz und der Tenor auf die entscheidende Frage "Unn, bisste fit?" wird unisono mit Skepsis und irgendwelchen Horrorszenarien beantwortet. Im Umkehrschluß bedeutet dies: für die Bewältigung der Supermarathon-Strecke bedarf es im Großen und Ganzen keiner allzugroßen Fitness und Training schon gleich gar nicht! Da muß man ja regelrecht aufpassen, bei dieser Taschenfüllerei nicht noch zwangsläufig die Favoritenrolle für den Gesamtsieg auf's Auge gedrückt zu bekommen.
Danach zerstreut sich die Märchenerzählrunde in die jeweiligen Quartiere. Normalerweise ist Eisenach in dieser und der nächsten Nacht ausgebucht, doch in unserer Fünf-Personen-WG bleiben zwei Plätze vom Vorjahr leer. Verletzungen wären der Grund des Fernbleibens. Unvorstellbar diese Ausreden! Nachdem, was ich jetzt alles beim Kloßessen für Wehwehchen gehört habe, muß es doch möglich sein, auch mal verletzt an den Start zu gehen - das machen andere schließlich auch ...
Die Nacht ist kurz, da die Bewohner der Vogelvoliere unterm Zimmerfenster schon recht zeitig und sehr vielstimmig den neuen Tag ankünden. Die Sachen für die heutige Aufgabe liegen geordnet bereit, jede verbleibende Minute ist verplant. Für den Weg zum Marktplatz gibt es noch eine Banane und ein trockenes Brötchen in die Hand, dazu den Plastebecher Kaffee aus Togo (??). Die Laufkleidung ist minimal gewählt, auch wenn erst die 5°C-Markierung auf dem Thermometer erreicht ist. Es soll warm werden und eventuell nachmittags etwas regnen.
Punkt 6 Uhr werden wir auf die Reise geschickt - insgesamt 2.026 Läufer. Natürlich stehen Ute und ich viel zu weit hinten und so ist auch noch nach dem Startbogen nur Wandern angesagt. Es dauert etwas, ehe sich die ganze Sache entzerrt und man in den Laufschritt übergehen kann. Man trifft Bekannte und hält daher hoch zum Burschenschaftsdenkmal noch den ein oder anderen Plausch. Danach verschwindet der Tross im Wald. Ab und zu bieten Sichtschneisen herrliche Ausblicke, so auch den zurück zur Wartburg. Klar, daß ein Telefon oder eine Kompaktkamera die Schönheit dieses Augenblicks nur erahnen läßt und manch' Läufer hier gern seine Spiegelreflexkamera dabei hätte, wie ich aus den Gesprächen der Fotografen heraushöre. Aber vielleicht haben ja andere ihr komplettes Fotoequipment dabei? Die Vielzahl der mitgeführten Laufrucksäcke läßt diese Vermutung zu. Kaum vorstellbar für mich, bei der exorbitanten Rundum-Versorgung auf dem Rennsteig eigene Nahrungsmittel im Rucksack zu bunkern und diese als Zusatzgewicht über den Höhenweg zu schleppen.
Dieses Gewicht für den maximalen Anpreßdruck des Schuhwerks im Gelände ist bei mir mal wieder von Haus aus viel zu hoch. Daher halte ich heute Diät! Das fällt bei dem Überangebot an Speisen naturgemäß nicht leicht, aber selbst der Magen rebelliert und signalisiert mir einen Zuführungsstop. So wird der erste VP am Waldsportplatz (km 6,9) von Ute und mir komplett ausgelassen. An den folgenden Verpflegungen gibt es für mich wenigstens Cola, Tee oder Schleim als Grundversorgung.
Auch wenn wir heute anfangs zu viel Zeit in der Innenstadt von Eisenach verbummelt haben, ist auf dem Großen Inselsberg (km 25,5) ein Zeitvorsprung von elf Minuten (2:48:13 h) zum Vorjahr feststellbar. Dabei haben wir uns gar nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt und die Bewegungsabläufe nicht überstrapaziert. Es läuft den Umständen entsprechend recht gut. Mal sehen, wie lange dies anhält. Der steile Abstieg vom Inselsberg ist wie eh und je beschwerlich und wenn man etwas weiter unterhalb wieder Fuß gefaßt hat, bremst einen die nächste Verpflegungsstation (Grenzwiese bei km 26,8) aus.
Aufgrund meines Diätplanes gibt es heute für mich an der Ebertswiese (km 37,5) erstmals auch keine Wiener Würstchen zum zweiten Frühstück. Ein ganz klarer Bruch mit der Tradition! Doch das Wohl des Magens geht vor - schließlich läßt er mich permanent seine heutige Sonderstellung wissen und erst die Hälfte des Rennsteiges ist geschafft. Genau fünf Minuten verweilen wir und haben beim Verlassen des VP einen Bonus von 18 Minuten (4:12 h) auf unseren Vorjahreswert. Das läßt die Zahlen im Kopf rattern. Achteinhalb Stunden wären durchaus möglich, da der Schlußakkord, aufgrund des abfallenden Höhenprofiles nochmal einen Zeitnachlaß gewährt. Ist dies aber auch so einfach (wie sonst immer) umsetzbar? Die Marathondistanz ist nach handgestoppten 4:43:41 Stunden im Kasten. Das ist jetzt kein Grund sich zufrieden zurückzulehnen, denn ich war auch schon einmal (vor langer, langer Zeit) nach 4 Stunden und 44 Minuten am Grenzadler (km 54,7).
Ein sehr beliebtes Fotomotiv auf der Rennsteigstrecke ist dieser aus Holz am Wegesrand stehende ehemalige Waldarbeiter. So zumindest habe ich ihn von meinem ersten Lauf noch in Erinnerung. Damals hatte er nur eine grüne Schnittschutzhose an und einen Helm auf dem Kopf. Nun trägt er einen Vokuhila-Schnitt und Rouge ziert seine Wangen. Goldener und roter Ohrschmuck harmoniert mit seinen übermäßig rot geschminkten Lippen, seinen Blick verfinstert eine Sonnenbrille und eine Stola schützt ihn nun vor der Kälte auf dem Kammweg. Seine braune Lederjacke ist mit allerlei silbernen Schmuckelementen (u.a. einer Bremsscheibe) verziert und ein Umhängebeutel mit leeren Schnapsflaschen gefüllt und einem kleinen Teddy dekoriert. Er hat Handschuhe und eine Laterne dabei, dazu einen Besen und jede Menge Knochen umhängen. Sein Ledergürtel, der die verwitterte Schnittschutzhose von anno dazumal an der Hüfte hält (oder zumindest die Überbleibsel davon), besticht durch ein Koppelschloß mit der Aufschrift "Juchu - der Holzmichl lebt noch! Hurra!" und ein "Denkmal"-Schild schützt dieses weitere Leben in Zukunft. Was sich jedoch bei allen ins Gedächtnis frißt, ist seit jeher dieser überdimensionierte Familienplaner zwischen seinen Beinen. Themenwechsel!
Entlang des Rennsteiges stehen unzählige Grenz-, Forst- und Gedenksteine, Steinkreuze mit dazugehörigen Schrifttafeln, aber auch Hinweistafeln, von denen eine, eine besonders unheimliche Ausstrahlung auf den Vorbeikommenden ausübt. "Einen Baum für jeden Nordic Walker" verkündet die Überschrift in dieser Schautafel ganz unverblümt. Sicherlich ist diese Spezies Sportler nicht jedermanns Freund, schon gar nicht in Läuferkreisen, wenn sie nebeneinander daherquatschend die Wege verstopfen. Doch diese rauen Sitten auf diese Art gesellschaftsfähig zu machen, ist schon gewöhnungsbedürftig. Das Kleingedruckte darunter konnte ich aufgrund des Zeitdrucks, der einen Wettkampf nun mal beherrscht, nicht auch noch studieren. "Annähernd 600 Teilnehmer zählte die Thüringer ..." - mehr konnte ich in der Eile nicht aufschnappen. Vielleicht setzte sich der Text mit "... Nordic-Walking-Szene einst. ..." fort und ging dann ins Detail? Ich will es gar nicht wissen!
Neben dem Rennsteiglauf kann ich auch noch über eine Handvoll anderer Marathon-oder Ultraläufe verweisen. Dabei sammelt man natürlich jede Menge Erfahrungen mit denen man seinen nächsten Wettkampf besser gestalten kann. Man kann aber auch mal ganz neue Dinge auf solch' längeren Distanzen ausprobieren. Der Hoka Clifton hatte die interne Schuhwahl für den Rennsteig gewonnen. Leider waren bei der feucht-kalten Chemnitz-Umrundung vor zwei Wochen die minimalistischen Einlagen der Schuhe so stark in Mitleidenschaft gezogen worden, daß ich sie schon während dieses Laufes entsorgte und ohne Einlagen weiterlief. Bei der generell guten Dämpfung der Sohle ist dies offensichtlich kein Problem. Für heute wollte ich jedoch nichts riskieren und nahm ein paar alte Einlagen von irgendeinem Salomon-Schuh. Diese paßten fast perfekt, aber eben nur fast. Schon nach fünf Kilometern bemerkte ich den Druck an den Fußsohlen - am Ende gab es eine Blutblase in Größe einer Zwei-Euro-Münze rechts und eine etwas kleinere normale Wasserfüllung am anderen Fuß. Anfang der zweiten Hälfte dachte ich noch, dieser Schmerz der drückenden Blasen würde die langsam aufkommenden Beschwerden in den Beinen übertünchen - tat er aber nicht. Es war eher umgekehrt und das Elend nahm seinen Lauf.
Nun ist ja der Rennsteig überregional auch durch seine hervorragenden Schleimgerichte an den Verpflegungspunkten bekannt, ebenso schmeckt das Bier unterwegs ganz gut. Diese Getränkeart wird allerdings erst gegen Ende der Streckenführung auf den reichgedeckten Verpflegungstischen zu finden sein. Oder: Man schaut schon mal eher hinter die Kulissen so eines Versorgungspunktes. So geschehen an einem (der ersten) Stände, dessen Name hier (aus Regreßgründen) nicht genannt werden kann/darf: Startnummer xy: "Ist das das, was ich gerade denke?", Helfer vom Stand: "Ja, aber das ist nicht offiziell!", Startnummer 44: "Mir egal, ich nehme auch ein inoffizielles Bier. Bitte!" So einfach geht das! Es gibt für uns Bier, welches die Helfer bei Laune halten soll, aber sie schenken es trotzdem gern für uns aus. Dafür ein großes Dankeschön!
Nach 6 Stunden und 20 Minuten nehmen wir die Einfahrt zum Grenzadler. Hier kann man mit einer Wertung auch aussteigen - muß man aber nicht. Es sind keine 20 Kilometer mehr bis Schmiedefeld. Die achteinhalb Stunden Zielzeit sind immer noch realistisch. Doch so langsam geht es ans Eingemachte! Ich hege erste Zweifel.
Am Großen Beerberg, dem mit 980 Metern höchsten Punkt der Strecke, ist der Rennsteig nach 61,6 Kilometern normalerweise geschafft. Nun kommt das Dessert, es geht tendenziell bergab und der Geruch von Finishermedaille und Zielbogen liegt förmlich in der Luft. Doch der Saft ist nun endgültig raus. Zwar wird uns von Betreuern oder Zuschauern stets ein generell gutes, sprich sportliches Aussehen attestiert - der Wahrheit dürfte dies jedoch nicht entsprechen. Bei einem Zehner oder Marathon kann man sich immer noch irgendwie durchmogeln. Hier gelingt das nur bedingt. Hatten die anderen etwa doch trainiert? Beim gestrigen Abendessen klang das doch noch ganz anders! Jedenfalls sehe ich mich nun als Bremsklotz für Ute's Zielsprint. Traurig, wie einen hier der eigene Körper im Stich läßt! Und dann finde ich ihn doch noch, den Läufer, der mit seinem Schicksal noch mehr hadert als ich. Er sitzt an der Schmücke auf einer Bank und fragt mich, wie weit es noch ist und baut in seine Frage den Hoffnungsschimmer "... noch sieben Kilometer?" ein. Da es ihm jedoch nicht besser als mir gehen soll, bin ich ehrlich und antworte: "Noch neun!". Für ihn bricht daraufhin eine Welt zusammen. Das will ich nun auch wieder nicht und relativiere meine Aussage in "Naja, nur noch 8,9 Kilometer. Das 65er Schild steht gleich da vorn. Du hast auch noch über vier Stunden Zeit."
Gefühlte vier Stunden sind wir dann auch noch unterwegs. Bergab: ein Graus, geradehin: nicht viel besser und die leichten Gegenanstiege: der Genickbruch. Noch eine Verpflegung (bei km 69,3), noch ein Bier. Obwohl ich schon lange gar nichts mehr trinken will - zu sehr habe ich mit meinem Mageninhalt zu kämpfen, aber so ein Becher Bier ist ein Ritual beim Rennsteiglauf. Er ist vielleicht sogar der Garant der ersehnten Zielankunft!? Wir biegen nach einer Ewigkeit auf die Zielgerade, gleich ist es geschafft! Nochmal gilt es für die zahlreichen Zuschauer die Beinbewegung etwas zu intensivieren - geschlichen sind wir zuletzt genug. Die Erinnerungsmedaille, die jeder Zielankömmling bekommt, wandert sofort in die Arschtasche. Der Stachel sitzt tief; die Zielzeit egal, weil voraussehbar - aber das Wie ist erschreckend. Noch nie habe ich mich nach einem Rennsteiglauf so ausgelaugt gefühlt.
Achtdreiviertel Stunden! Hauptsache, Jens erfährt nichts von diesem Debakel. Da kann ich mir für die nächste Audienz bei ihm gleich die Ohren abdichten und noch schnell ein zustimmendes Dauernicken antrainieren. Unter sieben Stunden! Was dieser Mensch geleistet hat, macht wirklich sprachlos. Zum Glück nimmt er von soetwas keine Notiz mehr und noch viel wichtiger: zum Glück ist er heute nicht vor Ort und säuft mir mein wohltemperiertes Flaschen- bzw. Faßbier weg, welches im vom Wald beschatteten Wagen auf mich wartet. Auch wenn der Magen nichts mehr aufsaugen will, er muß! Der Frust ist zu groß, als daß ich hier gleich zur Tagesordnung übergehen könnte. Diese besteht zwar auch nur aus Biertrinken - abwechslungsweise "außer Haus", denn die Marathon-Gruppenläufer vom Burgstädter LV laden zum Gegenbesuch (nachdem sie sich im Vorjahr bei uns eingenistet hatten) ins Zentrum des Campingplatzes - richtig mit Wohnwagen und groß angelegter Sitzrunde. Real betrachtet schießen sie damit jedoch etwas über deren Verhältnisse hinaus, schließlich war unsere Marathonzwischenzeit (mit 1.240 Höhenmetern im Anstieg) um eine dreiviertel Stunde besser, als deren Zielzeit. Diesen Fakt vor versammelter Mannschaft erwähnen zu können, tut gut - richtig gut! Mit irgendwas muß man sich die Sache ja schönreden (dürfen).
Am Abend gehört man ins Festzelt! Das ist nun mal so, sonst ist man kein richtiger Rennsteigläufer! Dort wird die gestresste Muskulatur durch erste Tanz- und Hüpfeinlagen auf Bänken oder Tischen wieder gelockert. Zudem wird die Textsicherheit diverser rennsteigrelevanter Lieder durch mehrfaches Wiederholen gefestigt und mit alkoholhaltigen Säften der Kummer des Tages endgültig vertrieben. Ein finaler Halbliter-Schlummertrunk aus der Kfz-Bordbar sorgt für die notwendige Bettschwere auf dem Fahrersitz des Caddy und beendet somit Rennsteiglauf Nr. 10 von mir. Ab und zu dürften des Nachts die Beine dann doch noch gezuckt haben - jedoch nicht von Krämpfen geplagt, sondern von diversen Melodien im Kopf geleitet.
Zu meinem traditionellen Rennsteig-Ritual gehört die obligatorische Bockwurst mit viel Senf an der Agip-Tankstelle in Ilmenau am nächsten Morgen. Hierbei setzt sich allerdings mein Schwächeln vom Vortag nahtlos fort. Anstatt der (zum Jubiläum notwendigen) zehn Wurstdärme, stellt sich schon nach vier Bockwürsten ein Sättigungsgefühl ein. Ich kann es aber auch nicht mit Gewalt erzwingen - wie auf den letzten Kilometern des Rennsteiglaufes. Typischer Trainingsrückstand, vielleicht noch Nachwehen der Diät! Da ist noch viel Luft nach oben!
Das Fazit: Rennsteiglauf = meist viel zu hohe Startnummer, kein Bier am ersten Getränkestand, viel zu lange Strecke, ein Nichterreichen der selbstgesteckten Ziele ist mittlerweile Usus, trotzdem (oder gerade deshalb) Zielankunft mit Schmerzen, übervolles Festzelt - kurz gesagt: das Erlebnis schlechthin, auch zum x-ten Mal eine Pflichtaufgabe, die organisatorisch und stimmungsmäßig ihres gleichen sucht! Dem Rennsteig die Treue! Einmal Rennsteig, immer Rennsteig! Sofortanmeldung für 2020 im Ziel abgegeben!
Anmerkung: auch wenn es im Text anders publiziert wurde, gehören Halbmarathon (6.768 Starter) und Marathon (3.249 Starter) zum Rennsteiglauf. Ob Wandern oder Walking, ob Junior- oder Specialcross - jeder erfolgreiche Teilnehmer kann sich natürlich Rennsteigläufer nennen. Insgesamt starteten 16.291 Sportler bei der diesjährigen Ausgabe des Kultlaufes, von denen immerhin 16.017 den Zielbogen erreichten. Von den 2.027 in Eisenach gestarteten Läufern kamen 1.521 Männer und 361 Frauen (also insgesamt 1.887) im "schönsten Ziel der Welt", in Schmiedefeld an.
Rennsteiglaufstatistik:
Ute Herfurt | Thomas Delling | ||||||
Datum / Distanz | Gesamt | weibl. | Zeit | Gesamt | männl. | Zeit | |
16.05.2009 / 72,7 km | 1.135. | 105. | 8:44:27 h | --- | --- | ----- | |
08.05.2010 / 72,7 km | 1.168. | 120. | 8:49:04 h | 78. | 78. | 6:32:55 h | |
21.05.2011 / 72,7 km | 579. | 42. | 7:54:37 h | 115. | 111. | 6:49:58 h | |
12.05.2012 / 72,7 km | 570. | 37. | 7:40:01 h | 83. | 78. | 6:34:41 h | |
25.05.2013 / 72,7 km | 894. | 87. | 8:28:08 h | 91. | 86. | 6:45:30 h | |
17.05.2014 / 72,7 km | 785. | 57. | 8:13:21 h | 324. | 305. | 7:25:53 h | |
09.05.2015 / 72,7 km | 549. | 50. | 7:55:32 h | 550. | 500. | 7:55:39 h | |
21.05.2016 / 72,7 km | 1.175. | 148. | 8:57:17 h | 1.176. | 1.028. | 8:57:19 h | |
20.05.2017 / 73,5 km | 857. | 81. | 8:27:35 h | 856. | 776. | 8:27:33 h | |
26.05.2018 / 73,9 km | 823. | 92. | 8:52:14 h | 822. | 731. | 8:52:13 h | |
18.05.2019 / 73,9 km | 765. | 78. | 8:44:22 h | 764. | 687. | 8:44:16 h |
...