07.09.2019 | 5 Uhr | 64,9 km | 2.491 Hm+ | 2.491 Hm- |
Samstagabend: im Wartezimmer der Notaufnahme des Suhler Zentralklinikums läuft der Film "Die Olsenbande fliegt über die Planke". Wie von fast allen Verfilmungen über das dänische Gaunertrio gewohnt, geht dabei Egons Plan zur üppigen Altersvorsorge mal wieder nicht auf. Es sind meist Kleinigkeiten, welche es dem genialen Denker und seinen Gehilfen Benny und Kjeld nicht vergönnen, mal als Gewinner im Abspann des Filmes zu erscheinen. Zwar wollten Ute und ich nun nicht unbedingt als Sieger den Thüringer Wald verlassen, den anschließenden Umweg über das Krankenhaus hätten wir uns aber liebend gern erspart und das nicht, weil ich Handlung und Dialoge der Olsenbandenwerke fast auswendig kenne und somit gelangweilt von diesem, nicht in dieser Art geplanten Abendprogramm gewesen wäre ...
Nachdem wir uns im Vorjahr ein Bild von der Veranstaltung gemacht hatten, war eine Neuanmeldung zwangsläufig unumgänglich. Perfekte Organisation und noch wirklicher, fast urbelassener Geländelauf. Wo es möglich ist, zweigt der Streckenverlauf von der Forststraße ins Unterholz oder vom Wiesenweg auf die benachbarte Grünfläche ab, dem mühsamen Bergauf folgt das fast noch kräftezehrendere Bergab. Zum Feierabend weiß man wirklich, was man tagsüber gemacht hat. Es werden insgesamt drei Strecken angeboten: der Helden-, der Riesen- und der Wichteltrail. Erstgenannter (64,9 km) setzt sich dabei aus den beiden anderen Wettbewerben zusammen. Man läuft dabei zuerst die mittlere Distanz (47,5 km) der "Riesen" und hängt danach noch die kurze "Wichtel"-Schleife an (17,4 km). Der Start vollzieht sich schon um 5 Uhr, daher ist ein zeitiges Aufbrechen in Chemnitz von Nöten.
Da sich jedoch die Autobahnen 4 (bis Erfurt) und 71 (bis Suhl) als wahre Baustellenparcours erweisen und der Tachonadel somit keine volle Entfaltungsfreiheit zukommen lassen, zieht sich unsere Anreise auf zweieinviertel Stunden. Gegen 4:30 Uhr erreichen wir daher erst den Simson-Gewerbepark, wo sich der Start- und Zielbereich befindet. Die verbleibende Zeit (zum Abholen der Startunterlagen, Anputzen mit Laufsportutensilien und Auffüllen der Trinkflaschen) ist daher kurz bemessen und so kommt es, daß wir erst während des Countdowns den Startbereich betreten - natürlich ist da noch keiner unserer GPS-Tracker aktiviert und unsere Kleiderordnung noch nicht vollends hergestellt - da werden hektisch noch die Stöcke in den Rucksack gequetscht und die Schuhe geschnürt. Professionell sieht anders aus! Doch wir waren ja auch gerade wieder dabei am nächsten Non-Running-Streak zu arbeiten und da kommt diesem Vorhaben des erfolgreichen Beinehochlegens ausgerechnet der Südthüringentrail in die Quere. Wir stellen uns wie Laufeinsteiger an, die zuvor mal was von dieser Sportart gehört haben und nun unbedingt dabei sein wollen. Klar kommt es da zu Anfängerfehlern, wie dem Vergessen des Trinkbechers für die Verpflegungspunkte - aber bei der umfangreichen Pflichtausrüstung (Mobiltelefon, ein Liter Getränk, Trinkbecher) verliert man schon mal schnell die Übersicht. Nachdem auf den ersten Metern noch die letzten notwendigen Griffe an Mensch und Material erledigt werden, befinden wir uns beim Verlassen Suhl's an letzter Position wieder.
Die erste Steigung mit Hohlwegcharakter nimmt jedoch auch den anderen knapp 200 Leuten den Schwung und so heißt es erstmal für die hinteren Plätze: Anstehen, Einfädeln und Wandern! So zeitig am Tag? Das verwundert selbst uns "Neue im Laufsportgeschäft" und so nutzen wir jede sich uns bietende Möglichkeit, an den Wanderern vorbeizuziehen. Schließlich wollen wir die zwölf Stunden maximale Wettkampfzeit nicht komplett ausnutzen, sondern wenigstens etwas "schneller" als im Vorjahr (9:33 Stunden) sein.
Na wenigstens haben wir an unsere Stirnlampen gedacht, denn ohne Zusatzbeleuchtung wäre es selbst im Morgengrauen recht dunkel. Wobei man mit vollen Batterien noch wesentlich mehr vom Wald ausleuchten kann, wie mit entladenen Akkumulatoren. Beim nächsten Mal wissen wir das wieder und schenken diesem aufgetretenen Schwachpunkt die nötige Aufmerksamkeit. Am ersten VP (Ottiliekapelle, km 8,5) gelingt uns die Getränkeaufnahme auch ohne den vorgeschriebenen Becher aus dem mitzuführenden Reisegepäck, indem wir unsere Trinkflaschen dafür nutzen. Der Genuß von ein paar Wienern und etwas Melone rundet den Aufenthalt oberhalb Suhls kulinarisch ab.
Wenig später durchlaufen wir die Waffenstadt und nehmen an deren anderen Ende den ersten kleineren Anstieg Richtung Döllberghütte, welcher weiter zum Beerberg führt. Ein flacher Abschnitt beschert uns am Tierpark noch eine kurze Tempoeinheit. Schließlich folgt am Ende des Waldes der Skihang und dafür muß schon mal etwas Zeit 'rausgearbeitet werden! Man kann sich aber auch diesen sauer erkämpften Zeitbonus mit dem Vermessen der Strecke und deren Nachbehandlung um die Ohren schlagen. Ute fühlt sich auf dem breiten, fast ebenen und für die Veranstaltung eher untypischen Bodenbelag des Forstweges dazu berufen: ästhetische Flugeinlage aus dem Nichts mit harter und unglücklicher Landung! Dabei rammt sie sich das rechte Knie in die Rippen und schnappt erstmal nach Luft. Der rechte Ellenbogen ist großflächig aufgeschürft und blutet stark, kleinere Hautfetzen haben sich dabei an der stark verdreckten Wunde abgelöst. Zum Glück hat Ute in ihrer Laufweste das (nicht vorgeschriebene, aber stets sinnvolle) Erste-Hilfe-Mini-Paket dabei.
Nachdem der Patient einmal von mir in die Länge gezogen wurde und dessen Atmung wieder einwandfrei funktioniert, folgt der chirurgische Teil der Behandlung. Was absteht, wird entfernt. Was dreckig ist, wird desinfiziert. Ein bißchen Mull und ein Verband verdecken danach das Unheil an Utes Arm. Noch eine geordnete Mülltrennung beim Zusammenpacken und der Wettkampf beginnt für uns nach rund elf absolvierten Kilometern von vorn. Zuerst gilt es dabei, verlorenen Boden wieder zu egalisieren - doch dafür war unser Zwischenstop zu lang. Vielleicht zehn Plätze holen wir uns zurück, ehe es zum ersten Stockeinsatz am Skihang kommt. Dieser funktioniert fabelhaft und bei der sagenhaften Aussicht von der Skihütte auf Suhl ist das Thema "Sturz" nur noch eine Randnotiz und kein Grund für spätere Ausreden!
An der nächsten Verpflegung (Hütte am Rimmbachbrunnen, km 16,2) hätte man bei der Bergwacht den schon wieder leicht rötlich durchnäßten Verband wechseln lassen können - doch noch mehr Zeit wollten wir nun wirklich nicht damit vergeuden. Bergab nehmen wir wieder ordentlich Fahrt auf, schließlich ist das Geläuf nun richtig unwegsam - wäre blöd, hier ähnliches noch einmal zu zelebrieren! Als dann Thüringens steilster Skihang vom Salzberg hinab zur Langen Lauter auf dem Plan steht, läuft Ute ebenfalls ihr gewohnt schnelles Bergab-Tempo. Für mich ist dies jedoch nicht machbar und so hat sie im Auslauf des Hanges gut 150 Meter Vorsprung auf mein Getippel - im Gegenanstieg schmilzt dieser Vorsprung jedoch wieder recht schnell.
Das Gipfelbuch am Fichtelkopf können wir heute nicht "beschriften", denn dafür haben wir schon zu viel Zeit liegengelassen. An der Bergbaude "Suhler Hütte" zweigt der Weg nach rechts Richtung Rennsteiglaufstrecke (oberhalb der Schmücke) ab. Durch die Außenanlagen der Gastwirtschaft kommen jedoch Läufer entgegen. Haben die sich etwa verlaufen? Das war im Vorjahr definitiv nicht so! Und tatsächlich bildet der Abstecher zur Teufelskanzel (wo durch entfernte Markierung erstmal etwas Sucherei angesagt war) und zum Schneekopf eine Schlaufe, welche 2018 auf dem Rückweg ab Rennsteig noch direkt zur dritten Versorgungsstelle führte (Schutzhütte am Adler, km 32,5). Diesmal nimmt sie den kleinen Umweg über Trampelpfade dorthin - traumhaft! Ausgeträumt ist allerdings das Unterbieten der Vorjahreszeit, den für die Hälfte der Strecke stehen immerhin stattliche 5:15 Stunden auf der Uhr!
So sehr wir uns auch strecken und den VP 4 (An der Struth, km 38,6) nur minimal nutzen, im Rundendurchlauf in Suhl (km 47,5) haben wir bereits eine Viertelstunde Rückstand auf unsere 6:48er Zwischenzeit von 2018. Da kann dann die Pause auch wieder etwas länger ausfallen.
Die kompakte Wichtelrunde steht nun noch bevor. Anfangs recht urban und flach, danach stetig steigend und Natur pur, unterbrochen nur vom Kreuzen der Autobahn und zwei Verpflegungsstellen am selben Ort (Steinsburg, km 54,9 und 58,8). Der Gegenverkehr im langen Anstieg zur Diestel ist überschaubarer, als voriges Jahr - der große Zug ist durch. Wir können jetzt die Sache "gemütlich" ausklingen lassen, was wir mit einer Flasche Bier am letzten VP auch tun. Dem Ausrollen ins Dreisbachtal folgt noch ein kleiner Straßenabschnitt zum Simson-Gewerbepark. Nach 9:52:52 Stunden Bruttozeit (9:52:32 netto) ist der Heldentrail auf den Plätzen 84 und 85 von 200 Startern abgehakt. Eine schöne Holzmedaille und ein neongelbes Finisher-Shirt gibt es dafür als Entlohnung. Für Ute ist sogar noch der zweite Platz auf dem Podest der "Senior Master Woman"-Wertung vorgesehen ... ehe es auf Anraten der Mediziner vor Ort ins Krankenhaus geht. Die Wunde am Ellenbogen müsse (aufgrund ihrer Größe) genäht werden - wenn es dafür nicht schon zu spät ist.
Ein anderthalber Kilometer Luftlinie lag zwischen Utes "Unfallort" und dem Krankenhaus - stelle ich später auf der Karte fest. Innerhalb einer Stunde hätte man die Wunde noch stilgerecht versorgen können. Dafür wäre aber der Südthüringentrail 2019 für uns schon recht zeitig und nach nur elf Kilometern beendet gewesen ... dann hätten wir sicherlich auch keinen Muskelkater bekommen, hätten nicht die Schönheit des Thüringer Waldes (zu Ende) genießen können und hätten auch keinen Fernsehabend mit Unterhaltung durch Egon, Benny, Kjeld und Yvonne gehabt! Dann doch lieber nur 'ne Notversorgung der Wunde vor Ort und im abendlichen Nachgang, dafür aber das volle Programm Südthüringentrail!