12.11.2022 | 10 Uhr | 42,195 km | 188 Hm+ | 188 Hm- | Gruppenlauf |
Ein Marathonlauf - das sind über 42 Kilometer in permanenter schnellstmöglicher Vorwärtsbewegung. Es ist die Königsdisziplin des Laufens und eine unvorstellbare Kraftanstrengung, welche Außenstehende nur kopfschüttelnd registrieren. Natürlich ist diese Form der Selbstgeiselung auch kein Tummelplatz für Debütanten oder Quereinsteiger des Laufsports, denn sie würden qualvoll an der Aufgabe scheitern. In Borna wirft man allerdings all diese Bedenken über Bord und öffnet den Marathonlauf für jedermann, indem man u.a. eine Fünf-Stunden-Gruppe anbietet, die dem Läufer ein garantiertes Finish regelrecht schon mit den Startunterlagen überreicht.
Den Burgstädter Laufverein und seine Teilnehmer frequentiert diese Angst vor den ominösen 42,195 Kilometern überhaupt nicht, denn sie sind regelrecht mit der Marathondistanz aufgewachsen - zumindest mit der in Borna. Sie kennen die Abläufe dieses Marathons bis ins Detail. Alle Vorgänge sind für sie Routine. Sie wissen wo die besten Lichtbedingungen für ihr vor dem Lauf zu schießendes Mannschaftsbild sind und haben die persönlichen Marschtabellen für die Streckenabschnitte zwischen den Verpflegungen seit Wochen intus. Sie sind mental stark genug, den Marathon auf fünf Stunden Laufzeit zu verteilen, obwohl man das wesentlich kürzer fassen könnte.
Bevor der scharfe Start ertönt, noch ein paar Zeilen zu Ute und mir. Auch wir sind schon mal Marathon gelaufen, doch das ist so lange her, daß wir kaum noch eine Erinnerung an die genaueren Umstände haben. Wir kennen daher den "Mann mit dem Hammer" nur schemenhaft und haben dieses immerwährende "Nie wieder tue ich mir so etwas an!" beim Überschreiten der Ziellinie noch im Ohr - das allgemeine Grundwissen zu dieser Distanz also, mehr nicht. Das heißt jetzt aber nicht, daß wir völlig unvorbereitet das Abenteuer Marathondistanz angehen. Die Vorbereitung darauf, zogen wir konstant durch. Die Gebote des Marathontrainings befolgten wir grob umrissen mit einem regelmäßigen "weniger ist manchmal mehr" bei dem uns "ein in den Körper hineinhorchen" auch noch den Takt vorgab. Die überdurchschnittliche Motivation für einen bevorstehenden Zweiundvierziger wissen wir mittlerweile gekonnt zu unterdrücken und auch die nötige Ruhe vor dem Sturm (das Herunterfahren der Umfänge vor dem Marathon) ist seit dem Elbtal-Weinlauf (von vor einem Monat) mehr als gegeben. Was soll also schiefgehen, wenn auch fünf Stunden Dauerbelastung eher auf einen Ultra- statt auf einen Marathonlauf schließen lassen?
Facettenreicher Marathonlauf: "kurze Auszeit durch völlige Erschöpfung" kontra "voll unter Dampf".
Genau um 10 werden wir auf die Runde geschickt, nur diesmal in die andere Richtung. Es gilt, zu Beginn noch die Umrundung eines Häuserblocks vorzunehmen, damit es am Ende keine Unstimmigkeiten wegen der Streckenlänge gibt. Da sind Marathonläufer sehr eigen und beharren auf den ihnen zugesicherten 42.195 Metern. Das ist seit den Olympischen Spielen von 1908 in London so genormt, weil das dort ansässige Königshaus den Start und den Zieleinlauf gern von der eigenen Terrasse respektive der Loge im White City Stadium miterleben wollte. Diese Distanz betrug genau 26 Meilen und 385 Yards, was umgerechnet 42 Kilometern und 195 Metern entspricht. Ein Marathon, bei dem ein paar Meter zu wenig auf der Uhr angezeigt werden, ist dann eben kein Marathon. Das will sich kein Veranstalter hinterher vorwerfen lassen und so lieber das Gemotze der Läufer von einer möglichen Überlänge erdulden.
Passage in Kahnsdorf mit Blick zum VEB Wolkenproduktion
Gemütlich geht es durch Borna und rote Ampeln bieten zusätzlich noch kurze Verschnaufpausen. Man kann sich dabei sogar an Verkehrsschildern oder Ampelmasten anlehnen, schließlich müssen die vorhandenen Kräfte klug für die nächsten Stunden aufgeteilt werden. Doch bald darauf ist Schluß mit dieser Wohlfühl-Einführ-Runde und es geht ins Gelände. Die Strecke wird deswegen nicht anspruchsvoller, sie bietet nun nur noch wenige Zwangspausen, da selbst Straßenquerungen für die Läufer kurzzeitig mit Sperrungen abgesichert werden. Bleiben noch die Versorgungspunkte, welche von einer eigens für die Fünf-Stunden-Gruppe zusammengestellten Truppe betreut werden. Die feilgebotenen Getränke und Speisen sind speziell auf die Essgewohnheiten eines Marathonis abgestimmt. Man munkelt, daß diese grundlegend auf den Energiebedarf der Langstrecken-Spezis des Burgstädter Laufvereins justiert wurden. Neu ist dabei der schon ab VP 1 angebotene "Schluck Bier", den es sonst erst an der letzten Verpflegungsstelle ganz dekadent in Bügelflaschenform gab. Burgstädts Verfechter Nr. 1, wenn es um hopfenfreien Sport geht, fehlt ja auch. Er weilt zur Zeit im alkoholfreien (arabischen?) Raum. Katar (?) statt Borna - diese Chance lässt man sich in Burgstädt natürlich nicht entgehen und diktiert so dem Fünf-Stunden-VP-Autokorso gleich noch einen Bierkasten-to-go in den Kofferraum.
Durchhänger werden mit Bier kuriert!
Nun hat man ja im südlichen Chemnitz ganz andere Trinkgewohnheiten, wie sie im Norden (in Burgstädt) gepflegt werden. Das hängt zum Großteil mit dem Aufwachsen im Schatten einer Brauerei zusammen, die das Zusammenleben im Wohnort dominierte. Da mußte z.B. von Kleinauf immer rechtzeitig der monatliche Haustrunk (im Kindsalter noch aus Limonade bestehend) vertilgt werden, um Platz für die nächste Monatsration zu machen. Logisch, daß man sich da jetzt am Wochenende nicht an nur einer oder zwei Flaschen Bier über fünf Stunden lang festhält. Da lechzt der Körper nach mehr! Dieses Wissen ist glücklicherweise fest im Ur-Einsiedler verankert und so kommt es, daß ein aus Einsiedel nach Kahnsdorf umgesiedelter Sportsfreund mit der ehemals verpönten "Sterbehilfe" am Wegesrand steht. Genüßlich fließt das dunkle Lebenselixir in den Rachen und vollbringt eine wahre Meisterleistung beim Übertünchen der mittlerweile zunehmenden Muskelbeschwerden. Danke, Mirko, daß du uns gerettet hast!
Streckenimpressionen
Vielleicht vernebelte das Zusatzgetränk auch etwas das Gehirn, denn nur wenige Meter später verspürte man das Bedürfnis dem schweißtreibenden Dauer-Sonnenschein (immerhin 15°C im November!) mit einem kühlenden Bad im Hainer See entgegenzuwirken. Dort, wo 2020 ein Fake-Foto vom Gardasee mit den davor versammelten Radsportfreunden geschossen wurde (weil die damaligen Corona-Maßnahmen einen Radausflug zum Originalschauplatz verhinderten), stürzen sich zwei Personen in die Fluten des Sees. Ein leichter Algenbewuchs im Uferbereich mindert dabei das enorm hohe Anfangstempo beim Sprint ins Nass. Die Wassertemperatur scheint nur knapp unter der Außentemperatur zu liegen und bringt selbst Warmduscher nicht gleich um. Einzig das Material der Startnummer (als "Feigenblatt" zum Bedecken der Blöße am Startnummernband getragen) ist diesem Ritual nicht gewachsen. Es löst sich, als hätte man es in ein Säurebehältnis gelegt, regelrecht auf. Ein Umstand, der nach dem erfolgten Badegang der nächstfolgenden Marathongruppen-Radbegleiterin mitgeteilt wird, welche dieses Manko ebenfalls als unbedingt reformierbar erachtet und für die Vorbereitungen zum nächsten Bornaer Marathon mit in die Tagesordnung aufzunehmen gelobt.
Marathontag ist Badetag!
Das Bad tat den Beinen gut. Mit neuem Schwung werden die letzten rund elf Kilometer in Angriff genommen und nur noch durch zwei Verpflegungen unterbrochen. Dem angesprochenen Bier vom VP Haubitz gilt dabei die besondere Aufmerksamkeit - die Zielzeit 15 Uhr, also 5 Stunden, ist schon lange nicht mehr machbar. Irgendwo haben wir dann doch zu viel Zeit vertrödelt. Doch das ist jetzt wirklich nicht von Bedeutung. Mit einem gemeinsamen Finish nach 5:24:23 Stunden beenden Ute, Siggi, Steffen und ich die Marathonpremiere 2022 und bekommen für diese "Leistung" sogar noch eine Medaille und eine personengebundene Urkunde mit notariell beglaubigter Zielzeit. Da steht sie nun die wuchtige Jahresbestleistung, welche aber auch (für das gerade erst begonnene Marathonjahr) genügend Verbesserungspotential bietet.
Startnummernstreßtest mit Wasser
Mit dem gemeinsamen Verzehr von Wurstbrötchen, Bockwürsten, Kuchen und einem weiteren Bier klingt der Marathontag im Foyer der Glück-Auf-Halle gemütlich aus. Es gibt viel zu erzählen und der Klärungsbedarf gegenüber den schnelleren Mitstreitern, warum es mit der Fünf-Stunden-Punktlandung nicht geklappt hat, ist enorm. Marathonläufer sind eben auch nur Menschen und keine Präzisionsmaschinen - da kann in der Vorbereitung alles optimal gelaufen sein und dann zerstört irgendeine klitzekleine Verfehlung am Wettkampftag diesen ganzen Aufwand. Am ausrichtenden VSV '77 Borna lag es jedenfalls nicht! Ein gewohnt solides Drumherum bescherte wie immer ein besonderes Marathonerlebnis mit garantiertem Zieleinlauf.