30.05.2019 | 6:13 Uhr | 55,4 km | 1.545 Hm+ | 650 Hm- | (Trainingslauf) |
Donnerstagmorgen in Chemnitz: ein stahlblauer Himmel, die Sonne bereits auf ihrem Weg zum Arbeitsplatz am Firmament und die Temperatur schon morgens recht sommerlich - kurzum: es kündigt sich Kaiserwetter zum Vatertag an! Ist dies etwa ein weiterer schrecklicher Vorbote des scheinbaren Klimawandels oder doch "nur" die übergeordnete Belohnung der männlichen Erziehungsberechtigten für ihre bisher erbrachten Dienste am eignen Nachwuchs? Es ist egal, wie die Antwort darauf ausfällt - der Vatertag ist standesgemäß dem Ausbrechen aus dem Alltag gewidmet und daher u.a. mit feucht-fröhlichen Ausflügen in die nähere Umgebung zu realisieren.
Auf geschaltete Annoncen betreffs einer gemeinsamen Unternehmung Richtung Fichtelberg kamen indes nur Absagen oder Wortenthaltungen und besonders eigenartige Gegenveranstaltungen, wie das Bergauflaufen an den Hängen von Fichtel- und Keilberg, sowie eine Radpartie zu beiden Gipfeln. Beides sind für mich nun mal keine vatertagsrelevanten Alternativen, weil die Betätigung am Fichtelbergaufstieg viel zu schweißtreibend ist und am Keilberg noch viel zermürbender. Ebenso steckt die 2018er 165-km-Radtour zum Keilberg mit dem auslaugenden Anstieg in Tellerhäuser noch zu tief im Gedächtnis fest. Wobei der Rest ja nun nicht soooo schlecht war ... aber nein, nicht zum Männertag! Dann geht es eben nur zu zweit in die Spur.
Auch wenn der grobe Weg zum Fichtelberg hinreichend bekannt ist, "unterstützen" immer wieder auftretende rote Markierungen des Fichtelbergmarsches (vom 24.05.2019) und neue gelbe Zusatzzeichen des FichtelbergUltra (am 01.06.2019) die schnellere Zielfindung. Doch Ute und ich vertrauen auf unsere schnelle, weil sehr direkte, "alte" Route, die wir schon mehrfach abgetippelt sind. Im Rucksack befinden sich, neben minimaler Wechselwäsche für die Busrückfahrt ein paar Reservegetränke (je anderthalb Liter). Natürlich alkoholfrei - ist ja schließlich nur die Notversorgung und mitgeführte Bierflaschen würden beim Laufen einen unangenehmen Dauerklapperton ins Ohr setzen, welcher eher den Stecker zieht, als es eine zu extensive Streckenverpflegung verursacht. Diese soll heute (zur Feier des Tages) aus Gerstensaft und Grillgut vom "Wegesrand" bestehen.
Doch diese optimistische Denkweise, der von Dritten abhängig gemachten Getränkeversorgung hinkt etwas und bis zum ersten Bierausschank sind es so etwas mehr als 25 Kilometer. Die Jugendherberge Hormersdorf ist stets Anlaufpunkt bei unseren Fichtelberg-Unternehmungen. Daher wird auch dieses Mal der Kühlschrank im Foyer des Hauses aufgesucht und so die ersten verlorengegangenen Mineralien in Flüssigform wieder zugeführt. Aber es bleibt weiter "staubig trocken", denn Wirtshäuser am Wegesrand liegen dann doch etwas zu weit von der Direttissima oder sind geschlossen. Abhilfe schafft hierbei die mitgeführte Notration, doch der Körper läßt sich an so einem Tag nun mal nicht permanent verarschen. Es ist also Eile geboten, denn der "Pegel" tendiert schon lange Richtung "unter Null", das Gebein wird müde und der Geist ist nicht mehr Willens - erste ernsthafte Anzeichen einer "Unterhopfung"!
Bei Kilometer 40 in Scheibenberg wirbt der ortsansäßige Supermarkt mit einem Pflichtbesuch in selbigen. Doch Fehlanzeige! Geschlossen! Donnerstags? Der zum geplanten Großeinkauf gesicherte Einkaufswagen kommt also schleunigst zu seinen Artgenossen in den Schauer zurück. In dieser schon fast lebensbedrohlichen Situation registrieren wir jedoch allerhand Vatertagspartien, welche recht zielstrebig gen Oberscheibe marschieren. Ist es die Quelle, die oberhalb des Ortes für eine kurzzeitige Erfrischung sorgen könnte? Doch dort sind wir allein. Was treibt diese Leute an? Durch unseren Abstecher zum Wasserloch verlieren wir deren Fährte und sind so wieder auf uns allein gestellt.
Ein paar hundert Meter weiter stehen Kremserkutschen am Straßenrand aufgereiht. Ist es nur eine Fata Morgana oder eben die erhoffte Oase in der öden Erzgebirgswüste, welche von den Kutschern für ihre Fahrgäste angesteuert wurde? In Verlängerung der zugeparkten Nebenstraße sind am Horizont Umrisse von Biertischgarnituren auszumachen, erste Blasmusiktöne erreichen zudem die Gehörgänge und es wabert ein Duft von frisch Gegrilltem zu uns herüber - unsere Rettung naht! Es ist die "Brauerei Fiedler", welche hier das Epizentrum des Wohlergehens darstellt. Getreu dem angeschlagenen Spruch der Woche ("Hier !!!!! Bist Du niemals unterhopft") schwingen wir uns an eine der Biertischgarnituren und gönnen uns Roster mit Brötchen, Fisch im Brötchen, Speckfett auf Bemme und natürlich Bier aus dem Glas, dazu dezente Musik aus besseren Tagen ganz ohne moderne Sprachreinigung - ein heiles Plätzchen Erde, an dem man den Tag auch gern ausklingen lassen könnte. Doch unser Auftrag lautet Fichtelberg und nicht Oberscheibe!
Noch lang klingen die Verse von Vico Torriani's Gassenhauer in unseren Ohren nach. Wir nehmen die Wiesenquerung zur Schutzhütte "Wolfner Mühle" und später den breiten Forstweg der Joachimsthaler Straße. Aufgrund der mauen Versorgungsdichte ist nun erst der Fichtelberg als nächste Tränke für uns geplant. Doch Abhilfe kommt uns schon wesentlich eher, in Form eines Quintettes mit Bollerwagen, entgegen. Sie müssen unser Leiden schon von weitem erkannt haben und bieten etwas unbedacht durch marktschreierisches Gehabe Sekt und Wein an, wohlwissend, daß sich sporttreibende Subjekte, natürlich auch an so einem Tag, maximal mit gestrecktem Leitungswasser verköstigen werden. Doch diese Getränkeform hätten wir ja noch im Rucksack parat und unsere Forderung nach Bier gegen Barzahlung erntet erstmal verdutzte Blicke. Gern greift jedoch der Kompaniechef in den mitgeführten Vorrat an Flaschenbier und noch erstaunter ist man nun über die verhältnismäßig kurze Degustationsdauer des Hopfengebräus. Spätestens in zehn Minuten wären wir auf dem Gipfel, wenn wir beim Laufen genauso schnell wären, wie beim Biertrinken - so ihre einhellige Meinung. Es sind aber noch rund drei Kilometer und somit ist ihre objektive Einschätzung unserer Leistungskraft von uns nicht umsetzbar.
Noch eine Weile genießen wir die eher sanfte Steigung, ehe es anderthalb Kilometer unterhalb des Gipfels ernst wird und der Scharfrichter der Strecke, der steile Anstieg des Reitsteiges, auf uns lauert. Hier zeigt sich unsere bestechende Form, indem wir sogar Radfahrer überholen. Auch wenn diese ihre Gefährte nur bergauf schieben, ist es doch ein stiller Triumph und eine Bestätigung unserer Fitness, welche sich allerdings auch nur auf einen schnelleren Wanderschritt beruft.
Das Gipfelplateau ist voll ... voll mit Leuten und Fahrzeugen. Hätte ich gewußt, daß man hier nicht zwingend zu Fuß hoch muß, sondern auch bis "vor die Türe" fahren kann, hätte ich sicherlich auch diese wesentlich bequemere Anreise genutzt. Mal sehen, ob ich mir das bis zum nächsten Fichtelbergausflug merken kann und dann ins Auto anstatt in die Laufschuhe steige. Heute ist es allerdings besser, den Wagen in der Garage zu wissen, da heute "richtig getrunken wird", wie es Brauereichef Christian Fiedler vor ein paar Stunden bei seiner Ansprache im Brauereihof zu Oberscheibe formulierte, und so "ein gesundes Nachhausekommen" mit Fahrzeug nicht gewährleistet wäre. Daher ist die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln nun auch zwingend vorgeschrieben. Die Zeit bis zur Busabfahrt in Oberwiesenthal ist hingegen lang. Nicht einmal der 15:40-Uhr-Transfer wird, aufgrund des hart erarbeiteten "frei zur Verfügung stehenden Nachmittags", in Betracht gezogen. Warum auch, wenn genau zwei Stunden später der nächste Transport gen Annaberg rollt?
Es ist jedenfalls genug Zeit, um die Beine hochzulegen und den restlichen Tag bei Bier und Bockwurst (beides in mehrfacher Ausführung), sowie Sekt und Kaffee zu genießen. Natürlich gibt es auch den Gang in die Rezeption, um Fichtelberg-Stempel Nr. wasweißich abzuholen oder den Aussichtsrundgang auf dem Gipfel (diesmal mit der besseren Sicht ins Böhmische - bis zum Milleschauer, dem mit 836 Metern höchsten Berg des Böhmischen Mittelgebirges).
Gegen 17 Uhr wird der Abstieg ins Tal angegangen - ganz gemütlich den Skihang 'runter und zur Abwechslung mit einer Halbliter-Bügelflasche und einem doppelten Riesensteak im Ortskern belohnt. Für das leibliche Wohl ist also bestens gesorgt. Nur noch ein intensiver 100-Meter-Sprint zum Anschlußbus von Annaberg nach Chemnitz unterbricht diese Wohlstandslethargie. Diese kurze Hektik nimmt man aber gern in Kauf, wenn man sich dadurch weitere zwei Stunden auf dem Busbahnhof der Erzgebirgsstadt erspart.
War der heutige ULF nun Training oder nur ein Ausflug? Sicherlich gibt es effektivere Trainingsmethoden, doch im derzeitigen Orbit unserer Laufübungen ist dieser ULF regelrecht ein Meilenstein! Er suggeriert einem ein richtig gutes Gefühl: man war mal wieder an der frischen Luft, man hat am öffentlichen Leben teilgenommen und man hat nebenbei noch eine (für dieses Jahr) recht stattliche Anzahl von Laufkilometern fürs Trainingstagebuch erarbeitet. Da kann man sich auch mal außer der Reihe auf die Schulter klopfen!