26.12.2018 | 9:40 Uhr | 13 km | 215 Hm+ | 215 Hm - | (Gruppenlauf) |
Der Burgstädter Laufverein legt nicht nur viel Wert auf ein möglichst sportliches Erscheinungsbild seiner Mitglieder, sondern nutzt zu diesen öffentlichkeitswirksamen Übungseinheiten auch ausgiebig die Sprache der bestmöglichen Veranschaulichung. Daher wird zur verdauungsfördernden Laufeinheit am 2. Weihnachtsfeiertag sinnbildlich an den "Arsch der Welt" nach Heiersdorf eingeladen. Damit auch die allerletzten Zweifel der Ernsthaftigkeit ihrer Umschreibungskunst beseitigt werden, beginnt deren Fett-weg-Kurs in Riech- und Sichtweite zur städtischen Kläranlage. Mehr Symbolik kann man dem ganzen Primborium nun wirklich nicht beimessen ...
... doch wissenschaftlich gesehen, bringt der ganze okulte und wortschwülstig verpackte Hokuspokus nichts. Das belegen die Studien von waldundwiesensport.de aus den Jahren 2015, 2016 und 2017. Schon damals wies ein kompetenter Ernährungswissenschaftler (mit Bodymaßindex 26) auf den Schwindel hin. Dies scheint jedoch kein Gehör zu finden und mit einer großangelegten Werbekampagne (u.a. im Burgstädter Anzeiger) ist der Zuspruch an der Veranstaltung scheinbar größer als im Vorjahr, denn das Volk lechzt regelrecht nach (vorgetäuschter) Wiedergutmachung am eigenen Körper - eine Sache des Gewissens sozusagen. Auch aus Altchemnitz/Erfenschlag ist wieder eine Fahrgemeinschaft in diese gottverlassene Gegend unterwegs, wo nur ein verwaister Spielplatz als stummer Zeuge an die einstige Zivilisierung dieses Fleckens erinnert. Dazu ist es nebelig-grau und der eiskalte Wind verleiht diesem Ort ein schon gespenstiges Flair.
Ein bißchen mulmig ist uns daher schon, als wir gegen 9:15 Uhr am Treffpunkt einbiegen und kein Einheimischer vor Ort ist. Sind wir etwa in eine Falle getappt und werden uns nun in Kürze in einem Kessel einer wütenden, mit Mistgabeln bewaffneten und leuchtgelb gekleideten Meute wiederfinden? Gibt es jetzt die Abreibung für so manch' kritisches Wort in Richtung BLV (zu dem es sonst kein Gegenargument gab/gibt)? Aber warum müssen dann Ute, Jens, Martin und Bruno meine Unverblümtheit mit ausbaden? Oder sitzen die Burgstädter nur noch daheim an ihren überladenen Frühstückstischen und sorgen so für eine gesunde Grundlage zum Fettverbrennen? Die Minuten der Ungewißheit werden zur Ewigkeit! Doch dann kommt Bewegung in die Sache - so nach und nach trudeln die Gastgeber an ihrem esoterischen Ort ein. Zum Glück bemerken sie dabei nicht unsere aschfahlen, kreidebleichen Gesichter, welche sich erst langsam von der bangen Wartezeit erholen.
Dem Mannschaftsbild für die Vereinschronik folgt die Einteilung in die Übungsgruppen. Wer über die Feiertage dem Freßwahn widerstehen konnte, benötigt jetzt nur die minimale Fettreduktion und schließt sich der moderat agierenden Wandertruppe an. Dies staffelt sich nun, je nach Feiertags-Eßintensität, in der Teilnahme an Laufrunden über fünf, elf und dreizehn Kilometer. Zu letzterer Gruppe müssen sich immerhin neun übergewichtige Teilnehmer einfinden. Der Kurs ist (aufgrund der körperlichen Beschaffenheit der Probanden) beschwerlich und hält mit dem Steinernen Tisch (irgendwo am sogenannten Fünfwegekreuz am Waldrand nördlich von Chursdorf) ein Exponat aus der Kategorie "Thousand places too see before you die" bereit. Dies entschädigt natürlich für alle zuvor erbrachten Mühen, zumal dem Steinernen Tisch (bestehend aus dem letzten Mühlstein der Höllmühle) auch noch ein Steinerner Papierkorb (mit einem Kunststoffeinsatz) und ein Steinert'scher Steffen (U3:30h beim Heiligabend-Marathonlauf!) zur Seite gestellt wurde/wird. Ein Ensemble "gemeißelt in Stein" - Historie meets Abfallentsorgung plus Spitzensport!
Dieser Spitzensport findet auch eine Portion kleiner, auf der Elfer-Runde statt. Dort startete kein Geringerer als jener Jens Mende, der heute seine 10-km-Zeit vom Heiligabend mit einer ähnlich starken Leistung bestätigen will. Mit breiter Brust und breitem Grinsen im Gesicht weiß er um seine Stärke und um die Taktik, wie seine Mitstreiter in Schach zu halten sind. Über seine Dominanz während des Laufes und seinen Zustand im Ziel gibt es jedoch nur sehr lückenhafte Informationen - die daraufhin angesprochenen Personen weichen bei diesem Thema schnell aus oder erinnern sich nicht mehr. Auch meine Jungs Martin und Bruno wirken eingeschüchtert, als ich nähere Auskünfte zu dieser heiklen Angelegenheit haben möchte. Ebenso sind sämtliche satellitengestützten Aufzeichnungen zu Strecke, Zeit und Kalorienverbrauch nicht mehr abrufbar. Es ist regelrecht unheimlich und wieder beschleicht mich so ein beklemmendes Gefühl, wie bei unserem Eintreffen vor der Entfettungskur an diesem mystisch wirkenden Ort.
Generell scheint kaum jemand Interesse an einer Analysierung seines Fetthaushaltes zu haben. Kein Wort streift auch nur ansatzweise diese Thematik. Es ist wie immer: es besteht keinerlei Bezug zum Namen der Veranstaltung, daher bleibt der Fettverbrennungslauf der größte Betrug der neuzeitlichen Sportgeschichte! Die nun vollzogenen Rituale beschränken sich ausschließlich auf den Genuß von Weihnachtsgebäck und Glühwein, Blut- bzw. Leberwurstbemmen und russischen Wodka, alkoholfreiem Bier und richtigem Gerstensaft. Gesprochen wird kaum, da dies die guten Tischmanieren verbieten. So hört man das Schmatzen der Meute noch lange durch den angrenzenden Wald hallen und dem alten Brauche folgend, ist es die Fuhre aus dem Süden von Chemnitz, welche viel später als Letzte die Heimreise antritt.
Summa summarum bleibt festzuhalten: Der Burgstädter Laufverein hat es wieder geschafft, durch ein, das Gewissen beruhigendes Wortgefüge, einen stinknormalen "sonntäglichen Frühschoppen" zu einem (Pseudo-)Fitness-Programm umzudeuten. Niemand der anwesenden Teilnehmer wird auch nur ein Gramm Fett verbrannt/verloren haben ... und trotzdem reicht dem "Sportler" dieser Treff am Morgen vollkommen aus, um weiter unbeschwert Gänse oder Schokoladentafeln dem Verdauungs- ääh Verbrennungstrakt zuzuführen. Verrückt - denn auch wir Chemnitzer fallen jedes Jahr wieder auf diese Augenwischerei herein! Ende gut - alles gut! Oder wie der Burgstädter (sinnbildlich) zu sagen pflegt: "Der Arsch hat sich geschlossen - man sieht sich im nächsten Jahr!"