08.12.2024 / 9:29 Uhr / 42,795 km / 95 Hm+ / 105 Hm- / kein Wettkampf
Während in der Antike der "Marathon" Berufsläufern vorbehalten war, indem diese den Postverkehr mit dem Überbringen von Depeschen etablierten, ist heutzutage jedermann berechtigt, sich dieser Herausforderung zu stellen. Während jener Pheidippides (als der "Erfinder" des Marathonlaufes) von Marathon nach Athen hetzte, um die Siegbotschaft seiner Landsleute über die Perser zu verbreiten, kann man z.B. in der Gegenwart völlig entspannt von Königstein nach Dresden traben, um sich dort einem gemütlichen Ausklang des 2. Advents (bei Stollen, Glühwein und Weihnachtsgebäck) hinzugeben. So gegensätzlich kann "Marathon" sein - von der Notwendigkeit zur Spaßveranstaltung.
Marathonläufe waren bekanntlich nach deren Wiederbelebung durch die Olympischen Spiele 1896 (und der dafür stattgefundenen Ausscheidungsläufe) nicht geeicht. Es gab keine genaue Festlegung der Distanz und so wurden Strecken zwischen 39 und 42 Kilometern, meist 25 Meilen (40,234 km) als Marathon tituliert. Erst mit der Olympiade 1908 in London wurde der Grundstein für die heutigen 42,195 Kilometer gelegt. Die Strecke stand dabei grob fest, mußte jedoch zwangsläufig verlängert werden, weil man nach 25 Meilen irgendwo im Nirgendwo die Ziellinie hätte ziehen müssen. Nach 26 vermessenen Meilen schaffte es der Kurs nur bis zum Stadiontor, was auch nicht gerade als zuschauerfreundlich eingestuft wurde. Also kamen noch 385 Yards dazu, damit man (wenigstens) von der königlichen Loge den besten Blick auf den (zudem tragischen) Zieleinlauf dieses Wettkampfs hatte. Seitdem setzten sich die 26 Meilen und 385 Yards (42 Kilometer und 195 Meter) immer mehr durch und wurden 1921 für die Länge eines Marathonlaufes verbindlich festgeschrieben.
Königstein ohne Festung Königstein
Auch für den Oberelbe-Marathon stehen Streckenführung und somit auch die Streckenlänge fest - bis zum 11. September dieses Jahres. Da riss völlig unerwartet (mitten in der Nacht) Deutschlands marode Infrastruktur den staunenden Laie aus dem Schlaf. Eine der Dresdner Hauptverkehrsadern war unterbrochen - ein Teil der Carolabrücke war ohne zusätzliche (Verkehrs-)Belastung in die Elbe gestürzt. Es blieb glücklicherweise beim Sach- und Imageschaden. Personellen Konsequenzen dieses Desasters ist man derzeit noch auf der Spur, schließlich lag offenbar keine offizielle Genehmigung für den Brückeneinsturz vor. Leidtragende dieses Malheurs sind neben der daraufhin eingestellten Elbschiffahrt der Kfz- und Straßenbahnverkehr und eben auch der Oberelbemarathon. Dieser findet sich zwar auf der Skala der Betroffenen ziemlich weit unten wieder, muß an der Marathondistanz jedoch "manipulieren", da eine Streckenverlegung an der Brücke unvermeidbar ist.
Schrittgeschwindigkeit ist in Sachsen mit ca. 15 km/h "festgelegt" - das wären rund 2:50 Stunden für 42,195 km.
Zur genormten Marathondistanz kommen demnach noch 600 Bonusmeter. Für einen Ultramarathon reicht dieser Zusatz natürlich noch nicht. Vielleicht schafft es diese notgedrungene Streckenverlängerung, die zukünftige Maßangabe für Marathons zu werden, wenn wegen kurzfristig auftretender infrastruktureller Probleme umgeplant werden muß - denn eine Verkürzung der 42,195 Kilometer kommt für Marathonläufer generell nicht in Frage. So lehrte es uns die Extrarunde von Borna (vor einem Monat) und schreibt es das Leichtathletik-Gesetzwerk vor.
Blick auf Niederrathen mit der Burg Altrathen
Beim OEM (Oberelbe-Marathon) wird zum Erreichen der 1921 genormten Streckenlänge noch ein verwinkelter Kurs durch Pirna absolviert. Vom Veranstalter wird dieser (zum korrekten Nachlaufen) auch publiziert. Da dieses Zick-Zack durch die Altstadt nicht markiert ist, wird zum Start aber auch empfohlen, der Einfachheit halber auf dem ufernahen Radweg zu bleiben und sich das Gesuche durch den Weihnachtstrubel zu ersparen. Vom Prinzip her nicht illegal, weil es sich bekanntlicherweise um einen "Lauftreff" und keinen Wettkampf handelt. Doch was machen die Marathonsammler? Die kürzen hier doch nicht über einen Kilometer ab und verbuchen das Ding (mittels im Ziel ausgehändigter Marathon-Urkunde) als Marathon Nr. soundsoviel? Oder doch?
Blick zur Bastei
Wir sind jedenfalls auf die verlängerte Distanz vorbereitet - zwar nicht, was unseren sportlichen Zustand betrifft, zumindest sind wir mental darauf eingestellt. Aufgrund von gesundheitlichen Defiziten schleichen wir im hinteren Feld mit. Motto: Schritt für Schritt, mein Arsch kommt mit. Schön langsam, denn eine "hörbare" Atmung darf so gut wie nicht stattfinden - der Raubbau am schon in seiner Leistung eingeschränkten Körper soll maßvoll erfolgen. Schließlich zieht sich so ein Marathon (zumindest bei uns) über mehrere Stunden und sollte daher ganz bedacht in Angriff genommen werden. Diese Taktik verringert zwar die Wahrscheinlichkeit, mit zunehmender Dauer leistungsmäßig einzubrechen - verhindert sie aber am heutigen Tag bei uns nicht!
Ehrenrunde auf der Originalstrecke durch Pirna - damit am Ende auch die Marathondistanz auf der Uhr steht!
Bei unserem Abbiegen vom Radweg ins Pirnaer "Labyrinth" hören wir noch von unseren Verfolgern ein lautes "Geradeaus!", welches wir mit eindeutigen Handbewegungen von uns weisen. Wir sind trotz unseres körperlich katastrophalen Zustands noch zurechnungsfähig. Doch wir irren allein durch die Straßen Pirnas - zumindest was die OEM-Läufer betrifft. Sicherlich sind wir verhältnismäßig spät dran, doch sonst ist uns hier immer noch jemand aus unserem "Lauftreff" über den Weg gelaufen.
Hochwassermarke am Pirnaer Elbschlößchen
Viel geht, bzw. läuft bei uns nicht mehr. Der "Mann mit dem Hammer" ist schon ne ganze Weile an unserer Seite, obwohl er turnusgemäß erst ab Kilometer 35 in Erscheinung treten sollte. Doch heute werden die einfachsten Marathonbräuche über den Haufen geworfen - Resultat einer zu legeren Vorbereitung. Am nachfolgenden VP könne man die Tortur beenden und in den Zug nach Dresden einsteigen. Dies wäre zwar vernünftig, widerspricht aber unserer Bockigkeit. Wir laufen und wandern weiter. Einmal sind es (laut Wegweiser) nur 100 Meter vom Radweg bis zum Bahnhof (in Heidenau). Verächtlich überlesen wir beide diesen Hinweis, wohlwissend, daß dies die kürzeste Form der Leidminderung gewesen wäre. "Haben wir schon mal ein DNF hinter einem Marathon gehabt?", fragen wir uns. Natürlich nicht! ... und das soll sich heute auch nicht ändern.
Der Elberadweg als Laufstrecke mit motivierenden Streckenangaben.
Ungefähr bei Kilometer 33 hat man uns bis ans Ende der Läuferschar durchgereicht. Dafür haben wir zwei Radfahrerinnen zur Seite gestellt bekommen, denen wir aber mit unserer Untrainiertheit nicht auch noch zur Last fallen wollen. Wie schnell holt man sich denn in dieser Jahreszeit etwas weg, wenn man sich nicht großartig bewegen kann? Sie könnten deshalb auch schon vorausfahren, damit sie nicht auf ihren Drahteseln anfrieren, wenn sie neben uns auf ihren Rädern Steherübungen vollziehen müssen - außerdem kennen wir den restlichen Weg zum Steyer-Stadion. Doch sie wären dazu "verpflichtet", uns zu begleiten, damit nicht die Verpflegung(en) vor uns abgebaut werden.
Loschwitzer Brücke ("Blaues Wunder")
Dabei ist nur noch der VP am Blauen Wunder zu absolvieren, dann geht es nahezu monoton am Elbufer entlang, der Dresdner Innenstadt entgegen. Etwas "aufgelockert" wird dieser Abschnitt nur durch den nicht zu unterdrückenden, innerlich verankerten Katastrophentourismus, der in "freudiger Erwartung" auf das Ergebnis des Carolabrücken-Einsturzes die Beine noch in Bewegung hält.
Blick auf Terrassenufer und Dresdner Innenstadt mit dem am 11.09.2024 eingestürzten Brückenzug C der Carolabrücke
Trotz einiger kleiner Streckenabweichungen (zum Glotzen und Fotografieren) haben wir unsere zwei Radbegleiter an die nächsten Läufer "abgegeben". Wir sind also nicht mehr die Schlußlichter der Veranstaltung - und dies sollte nun auch bis zum Ziel so bleiben. Es wird zwar nochmal etwas eng, weil es einen Wechsel einer angeschlagenen Läuferin auf das Fahrrad der Begleiterin gibt und damit die Lücke zu uns noch einmal verringert wird. Doch das ist bei so einer Veranstaltung statthaft, schließlich gibt es hier weder offizielle Zielzeiten noch irgendeine Form von Ranglisten.
Carolabrücke (im Hintergrund die Augustusbrücke)
Blick vom jetzt nicht mehr vorhandenen Teil der Carolabrücke Richtung Synagoge am 17.08.2002 (Jahrhundertflut)
Blick flußaufwärts zur Carolabrücke
Der Torbogen an der Ballsportarena rückt für uns näher. Das Ziel eines Marathons zu erreichen, ist immer schön. So wird auch Pheidippides im Jahre 490 vor unserer Zeit gedacht haben, der zum Adventslauftreff sicherlich auch die Stadtrunde durch Pirna ausgelassen hätte. Er hatte damals nur 34,5 Kilometer auf der Uhr stehen, als er nach Verkündung seiner Botschaft an Entkräftung verstarb. Im Gegensatz zur modernen 42,195-km-Wettkampfstrecke von Marathon nach Athen (welche kein Bestenlistenkurs ist), hatte er mit der Überquerung des Pentelikon rund 400 Höhenmeter zusätzlich in den Beinen. Dieser kraftraubende Anstieg blieb dem heutigen Pirna-Durchläufer glücklicherweise erspart, seine Marathondistanz orientiert sich (mit dem Carolabrücken-Bonus) an den 42,75 Kilometern der 1920-er Olympiastrecke von Antwerpen. Marathon ist eben nicht immer gleich Marathon - der Zieleinlauf dürfte aber bei allen Marathon-Formaten gleichschön sein.
Zielgasse zwischen Steyer-Stadion und Ballsport-Arena
Unser Fünf-Stunden-Plan geht auf, zudem wurde die Marathondistanz leicht übererfüllt! Was wahrlich nicht als sportliches Glanzlicht abgetan werden kann, findet wenigstens in der persönlichen Laufstatistik Verwendung: Marathon Nr. 102 in der Kartei mit den Ultramarathons, Marathon Nr. 47 in der Rubrik der (mindestens) 42,195-er.
Der "Mann mit dem Hammer" - beim Marathon normal ab Kilometer 35, heute knapp fünf Stunden an unserer Seite.
Ein Marathon kann ruhig auch mal wehtun, besser gesagt: er muß wehtun! Egal, ob eine mit hartnäckigem Training erreichte Bestzeit am Ende des Tages steht oder die Tateinheit der Trainingsfaulheit versuchte, die Beinmuskulatur in stundenlanger Kleinstarbeit zur Aufgabe zwingen - der Marathonlauf ist nicht umsonst die Königsdisziplin der Laufdistanzen und sollte demnach nicht zu einfach zu meistern sein. Für den nächsten anstehenden Marathon haben wir zwei jedenfalls unsere Lektion (erneut!) gelernt und wissen nun wieder zu gut, daß man einen Zweiundvierziger nicht aus der Kalten heraus und schon gar nicht mit gesundheitlichen Problemen angeht.
Urkunden sowie Baum- statt Halsschmuck
waldundwiesensport.de wünscht ein frohes Fest und besinnliche Feiertage!