06.07.2012 - 8:00 Uhr - 202,8 km / 10.750 Hm+ / 11.975 Hm- (T201)
16:00 Uhr - 154 km / ca. 8.500 Hm+ / ca. 9.750 Hm- (Str.-verkürzung)
07.07.2012 - 0:30 Uhr - Offiziell abgebrochen!
Warum kommt man auf die Idee sich so einer Herausforderung zu stellen? Ganz einfach: es ist die Alternative zur gescheiterten UTMB-Anmeldung! Da wir bei der Verlosung der Startplätze für den Ultra-Trail du Mont-Blanc dieses Jahr kein Glück hatten und die Qualifikation für die 2013er Auflage auch noch erhöht wurde, fiel der T201 in den Mittelpunkt des Interesses. Mit dessen erfolgreichen Beendens hätte Ute dann auch die nötigen Quali-Punkte für nächstes Jahr zusammen...
Unser gemeinsames Scheitern beim UTMB 2011 hat uns gezeigt, das bei solchen Distanzen im hochalpinen Gelände nicht nur der (Lauf-)Trainingszustand zählt, sondern viele "kleine" Faktoren über Triumph (Ankommen) oder Niederlage (Aufgeben) entscheiden können. Nie hätte ich es damals für möglich gehalten, das Ute aufgibt. Ich selbst merkte erst viele Kilometer später, wie ich meinen Geist nicht mehr unter Kontrolle hatte. Ich war (u.a. durch Hitze und Müdigkeit) wie in einer anderen Welt, konnte mich aber immer wieder dazu zwingen weiter zu machen, obwohl der Körper schon lange nicht mehr wollte.
Lange haben wir uns Gedanken gemacht, wie man so eine Situation besser lösen kann, damit es mit einer gemeinsamen Zielankunft klappt. Den Schlafentzug haben wir in den vorangegangenen Monaten reichlich geübt, das häufige Langstreckentraining dagegen kam durch die Verpflichtungen des Alltags leider viel zu kurz. Dafür gab es am Mittwoch nochmal einen 10 Stunden-Trainingsblock mit Abwandern von Teilstücken der Wettkampfstrecke (Kilometer 47 bis 67). Darin enthalten ein ca. dreistündiges Umherirren in einem steilen Schutt- und Geröllfeld auf ca. 3.000 m Höhe als psychische Hauptbelastung (in Wirklichkeit haben wir nur einen letztendlich nicht vorhandenen Weg gesucht) und eine ca. 45 minütige schnellere Bergab-Laufeinheit bedingt durch strömenden Regen und ein von hinten drückendes Gewitter.
Tags darauf findet im Kongresszentrum in Pontresina ein Vortrag über die neuesten Erkenntnisse zum Thema Höhenadaption statt. Hierbei referieren der ehemalige Spitzenlangläufer und Olympia-Teilnehmer Dr. med. Andi Grünenfelder und der leitende Arzt des Irontrail Dr. med. Beat Villiger über extreme körperliche Belastung in ungewohnter Höhe und deren Auswirkungen auf den Sportler. Im Anschluß daran vermittelt der Präsident des Organisationskomitees Andrea Tuffli den Anwesenden einen Einblick von der Idee bis zur Durchführung des Irontrails innerhalb von nur zehn Monaten. Wetter, Streckenzustand, logistische Details und der Dank an alle Helfer sind weitere Themen seiner in lockerer Form gehaltenen Rede. Die darauf folgende Startnummernausgabe beinhaltet die Überprüfung der beim Wettkampf mitzuführenden Pflichtausrüstung. Den Rest des Tages verbringen wir mit dem "Befüllen" der Kleidersäcke, welche jedem Läufer in St. Moritz (km 67), Savognin (km 125), Lenzerheide (km 158) und Chur (Ziel) u.a. zum Wechseln von Schuhen und Kleidungsstücken zur Verfügung stehen.
Bis zum Sonntag 16 Uhr haben wir und die anderen rund 400 Starter Zeit das Ziel in der ältesten Stadt der Schweiz, in Chur zu erreichen. Das bedeudet 56 Stunden Zeit für 200 Kilometer mit 22 Bergseen, 5 Gebirgspässen, 7 Berggipfeln (darunter die Dreitausender Diavolezza und Piz Nair) und 20 Gemeinden - also der gesamte Kanton Graubünden an einem (verlängerten) Wochenende.
Der Starttag zeigt sich über Pontresina sehr wolkenverhangen, vereinzelt regnet es. Nach einem kurzen Frühstück in der Jugendherberge machen wir uns auf den Weg zum Kongresszentrum, wo wir bis 7:15 Uhr unsere Kleiderbeutel abgeben können. Ab 7:30 Uhr solle man sich im Startbereich aufhalten, da dort das sog. "Briefing" stattfindet. Doch es verzögert sich alles ein wenig. Man spielt die Hymnen der teilnehmerstärksten Nationen (Italien, Deutschland und Schweiz) stellvertretend für alle. Es ist noch eine Viertelstunde bis zum Start, da verkündet Andrea Tuffli die Startverlegung auf 16 Uhr und eine Streckenverkürzung auf ca. 154 Kilometer. Starke Niederschläge an der Diavolezza (3.004 m) mit einem Temperatursturz lassen die erste Schleife von 47 Kilometern Länge mit einem anschließenden Durchlauf Pontresinas nicht zu. Wenn es aber ganz dick kommt, starten wir erst 21 Uhr mit den T141ern und haben dann "nur" noch 137,5 Kilometer abzulaufen.
So hatte sich sicherlich niemand die Premiere des "Swiss Irontrail" vorgestellt, aber das Wetter kann der Veranstalter nun mal nicht organisieren. Dafür wurde kurzfristig für 11 bis 14 Uhr zu einer Pasta-Party eingeladen, wie wir 10:15 Uhr per sms von Datasport erfahren. Die örtliche Turnhalle wurde den Läufern als Aufenthaltsraum zur Verfügung gestellt und das schon aufgegebene Läufergepäck konnte nochmal "umgeschichtet" werden. Gegen 13 Uhr ist dann auch klar, das der Start 16 Uhr erfolgt.
Am Nachmittag ist es dann so weit, endlich geht es los, vom Parkplatz des Bades aus, durch Pontresina (1.805 m) ins Val Roseg. Obwohl es manchmal ganz schön eng ist, kommen wir gut voran. Die Schnellen sind schon weg und wir bewegen uns in Ute´s Leistungsbereich die ersten flachen Höhenmeter zum Roseg (1.999 m) hinauf. Der folgende Anstieg zum Fuorcla Surlej (2.755 m) ist schon etwas steiler und wir nehmen die Stöcke zur Hilfe. Aber diesen Streckenabschnitt bis St. Moritz sind wir ja schon am Mittwoch abgelaufen und wissen somit was uns erwartet.
Am Berghaus Fuorcla Surlej steht Andrea Tuffli auf der Terrasse und wünscht den Vorbeikommenden viel Glück, an der Verpflegung gibt es Wasser, Iso und Riegel. Es setzt leichter Nieselregen ein. Die Steine auf dem Abstieg nach St. Moritz sind glitschig und erfordern höchste Konzentration. Ein Heli schwebt über dem Tal und macht Aufnahmen vom Geschehen. Unterwegs kommen wir mit einem Läufer ins Gespräch, der auch den EcoTrail de Paris in diesem Jahr absolviert hat. Ab dem Laj dal Chöds, dem Hahnensee (2.153 m) können wir dann auch endlich etwas an Fahrt aufnehmen, die Wege werden "laufbarer" je weiter wir uns St. Moritz nähern.
An der Tennishalle Corviglia in St. Moritz Bad (1.774 m) liegt die erste Zeitmeßmatte aus - 3:20:07 Stunden - nicht übermäßig schnell, aber wir wollen ja gemeinsam finishen und nichts gewinnen. Außerdem ist so eine Zwischenzeit nach einem Bruchteil der Strecke eher gegenstandslos, wenn man bedenkt, das die richtigen "Genickbrecher" erst noch kommen. Also ´rein ins Warme und Klamotten wechseln: neue Socken, neue Sohlen für die Schuhe und ein neues Hemd. Dann geht´s zum Imbiß, dort gibt es Wasser, Tee, Kaffee und alkoholfreies Bier, dazu Pasta, Nüsse, Schokolade, Bananen, Suppe, Brot, Käse und Wurst. Natürlich hält sich der Appetit noch etwas zurück und so beschränken wir uns auf einen Teil des Angebotenen.
Durch den Wald laufen wir um den Laj da S. Murezzan (1.768 m) einen Bogen. Der weitere Weg führt in den Ortskern, wo uns entsetzte Blicke der High Society treffen. Ein endlos scheinender Treppenabschnitt lässt uns schnell wieder an Höhe gewinnen, auch hier begegnen wir Andrea Tuffli, er ist gerade beim Nachmarkieren der Strecke. Nach dem Nobelort folgt der Anstieg zum Piz Nair (3.022 m). An der Alp Nova (2.216 m) ist der Regen bereits so stark, das wir uns entschließen die Regenjacke überzuziehen. Aufkommender Wind macht die Angelegenheit noch ungemütlicher und so kommen an der Seilbahnstation Corviglia (2.486 m) die Regenhosen noch mit an die frierenden Beine.
In der Dunkelheit wird die Wegfindung immer schlechter, da die Streckenmarkierungen nicht so gut das Licht der Stirnlampen reflektieren, wie man es z.B. vom UTMB oder vom Zugspitz Ultratrail kennt. Der erste Verhauer endet vor einem großen Geröllfeld. Man kann weiterlaufen, um auf den "Lichterwurm", welcher sich im Gipfelaufstieg zum Piz Nair befindet, zu treffen. Aber vom dreistündigen Aufenthalt im Schuttfeld am Piz Surlej vom Mittwoch sind wir noch geheilt. Also geht es zurück bis zur ersten wieder auffindbaren Markierung. Der folgende Aufstieg ist mühsam. Kurz vor 23 Uhr sind wir an der Bergstation der Seilbahn. Eine kurze Stärkung mit Riegeln und Iso, ins warme Innere der Station wagen wir uns nicht. Zu groß ist die Gefahr nicht wieder los zu wollen, da der Regen immer dicker wird und die Temperatur den Gefrierpunkt fast erreicht hat.
Die Helfer lassen die Läufer jetzt nur noch in Gruppen in die andere Talseite hinab. Ute und ich werden im allgemeinen Chaos übersehen, dadurch laufen wir nur zu zweit los. Wir wollen aber zu einer vor uns gestarteten Gruppe aufschließen, was uns auch gelingt. Leider nehmen sie einen falschen Weg und wir stehen wieder orientierungslos im Gelände. Während die anderen noch umherirren und nicht mit sich reden lassen, nehmen wir schon wieder den Weg nach oben zum letzten sichtbaren Markierungspfahl.
Der Weg ins Suvretta da Samedan ist steil abfallend und die Sohlen in meinen Schuhen verschieben sich durch die Nässe wieder, ich habe das Gefühl eine Ladung Steine unter den Fußsohlen zu haben. Aber auch der Pfad wird immer schlechter. Man hat den Eindruck, das der "Weg" das Wasser, welches nicht mehr in den parallel fließenden Bach Ova da Suvretta paßt, ins Tal tranportieren soll. Bei einer Querung des Baches stehen wir dann bis zum Knie im Wasser. Es gibt sicherlich Lustigeres als diese Wasserwaterei, aber noch weniger zu beneiden sind die Streckenposten, welche mitten im Gelände stehen und den Läufern den richtigen Weg weisen.
An der Alp Suvretta (2.128 m) erzählt uns dann ein Posten vom Abbruch der Läufe T201 und T141. Das hat natürlich gesessen - damit hat niemand in unserer 6er Gruppe gerechnet. Wir sollen das Tal weiter Richtung Spinas laufen, dort würden wir weitere Informationen erhalten, meint er. Also geht es nicht gerade hochmotiviert durch das Val Bever - mal laufend, mal wieder wandernd. Wir sehen aber auch weiter unten im Tal, wie sich eine Lichterkette den Berg hochschlängelt. Ist also doch noch nicht Schluß?
Die Posten am Palüd Marscha (2.018 m) sind höchstwahrscheinlich noch nicht über den Abbruch informiert, also biegen wir vom Tal aus in den steilen, nicht ganz 2 Kilometer langen Weg zum Fuorcla Crap Alv (2.466 m) ab. Unterwegs piept es wieder aus allen Rucksäcken - eine sms vom Veranstalter. Aber wir haben mit dem schlammigen Weg zu kämpfen und somit keine Zeit zum Lesen der Kurzmitteilung.
Als wir endlich den Aufstieg geschafft haben, erklärt uns ein Streckenposten, das wir wieder umkehren sollen, da er niemanden mehr nach Bergün absteigen lassen darf. Wir murren natürlich, da wir uns noch "topfit" fühlen, der Rückweg bergab nicht einfacher wird und kurz vor uns noch Läufer durchgelassen wurden. Zwei Personen ignorieren seine Anweisung und laufen einfach weiter. Macht jetzt jeder was er will? Gibt es nicht ein Regelwerk? Aber es kommt noch "besser". Ein 3er Trupp in UTMB-Bekleidung bahnt sich ebenfalls den Weg an uns Absteigenden vorbei hinauf zum Paß. "Ich bin Bergführer!", tönt der Franzose selbstbewußt. Eine der Frauen herrscht uns in italienisch/französisch an (sie erreicht Bergün laut Ergebnisliste 20 Minuten nach dem wirklich großzügigem Zeitlimit und über 6 Stunden nach der vor ihr plazierten Frau!). Also Anarchie in so einer für alle Beteiligten nicht schönen Situation! Gerade als Bergführer sollte man doch wissen, wie man sich da zu verhalten hat, aber der Ruf der Bergführer ist ja in vielen Gegenden bedingt durch ihr Auftreten schon mehr als schlecht.
Letztendlich siegte jedoch bei diesem Bergführer die Vernunft und er tritt später auch mit einer seiner Begleiterinnen den Weg nach Bever an. Die Forststraße zieht sich, es ist 3:15 Uhr als wir den bereitgestellten Bus nach St. Moritz erreichen. In rasanter Fahrt geht es zum Tenniscenter, wo die erste große Verpflegung war, zurück. Auf der Fahrt spürt man den (teils auch berechtigten) Unmut, aber man sollte mal diese Vollkasko- und All-inclusive-Mentalität ablegen. Wer oben am Fuorcla Crap Alv war, kann einschätzen, das ein Ablaufen der Strecke unter Wettkampfbedingungen an manchen Stellen nicht mehr möglich war. Deshalb ist die Abbruch-Entscheidung auch zu akzeptieren. Was ist wenn es nicht nur bei Knochenbrüchen bleibt, sondern schlimmer kommt? Dann hätten es auch alle wieder besser gewußt!
Ein großes Lob geht hiermit an alle Helfer, welche immer und überall freundlich und zuvorkommend waren. Alle zogen hier an einem Strang, um es den Teilnehmern noch so "angenehm" wie möglich zu machen. Der logistische Aufwand nach dem Abbruch war bestimmt höher als bei einem ordnungsgemäßen Ablauf der Veranstaltung. So mußten alle Läufer "eingesammelt" werden (ob nun verlaufen oder einfach weitergelaufen), alle Laufsäcke wurden nach Chur gebracht, dazu mußte neben der medizinischen Betreuung auch die "Zielverpflegung" aufrecht erhalten werden. Bleibt zu hoffen, das der Veranstalter sich aller konstruktiven Vorschläge (Streckenmarkierung, Qualifikation für den Lauf, Disqualifikation bei Regelverstoß) annimmt und aus den Fehlern für die nächste Austragung lernt. Es wäre schade, wenn sich die "negative Berichterstattung" Einzelner über den Fleiß der Helfer und Organisatoren hinwegsetzen würde.
Bilder gibt es hier!
Veranstalterseite: www.irontrail.ch