06.07.2019 | 4:00 Uhr | 100,22 km | 2.150 Hm+ | 2.150 Hm- |
Was hat man vom laufsportausübenden Bekanntenkreis nicht schon alles an Positivem vom "thüringenULTRA" gehört? Es wäre eine familiäre Veranstaltung, welche für "kleines Geld" perfekt organisiert wird - kurz gesagt: ein Pflichttermin! Diesem immer lauter werdenden Drängen geben Ute und ich in diesem Jahr (endlich) nach. Das einzige Problem: man muß dort gleichmal 100 Kilometer am Stück auf einem anspruchsvollen Rundkurs durch den Thüringer Wald absolvieren.
Bevor es in die Sommerferien geht, muß wenigstens noch ein langer Lauf für das gute Gewissen herhalten, denn einmal im Urlaubsmodus angekommen, schwindet unsere Trainingsbegeisterung erwartungsgemäß gen Null. Deshalb wird sich kurzerhand in den nächtlichen Abreiseverkehr zum sächsischen Ferienbeginn auf dem Baustellenparcours der A4 eingereiht und das knapp 200 Kilometer entfernte Fröttstädt bei Waltershausen angesteuert. Ab 2:30 Uhr erweckt dort der Tag zum Leben und ab 3 Uhr kann man sich noch für den Kult-Hunderter nachmelden. Das kostet dann gerade einmal 60 Euro pro Nase und das bei (18-facher) Vollverpflegung zwischen 4 und 22 Uhr - so lang ist nämlich die 100-km-Strecke für den Sportbetrieb geöffnet.
Es ist mit 14°C noch ziemlich frisch, als wir zusammen mit 244 weiteren Einzelstartern und vereinzelten Radbegleitern um 4 Uhr in die Spur geschickt werden. Eine Stunde später starten dann die Staffeln "2 mal 50 km" und "4 mal 25 km". Noch ist es dunkel, trotzdem kann man getrost auf eine zusätzliche Beleuchtung verzichten, da der erste Abschnitt bis zur Autobahnunterführung nach rund fünf Kilometern fast ausschließlich auf Asphalt verläuft. Danach tauchen wir in die Fichtenbestände des Thüringer Waldes ein und nach zehn Kilometern ist in Sondra der erste Verpflegungspunkt erreicht. Das Angebot ist dabei breit gefächert und so decke ich meinen imaginären Frühstückstisch mit Tomate und Ei, dazu Schokoriegel und Cola. Zuviel brauche ich aber nicht in mich zu stopfen, da das Versorgungsnetz jetzt engmaschiger wird. Gegen 5:40 Uhr ist daher schon der nächste Versorgungsposten oberhalb von Schmerbach (km 16) erreicht. Hier wird auch schon Bier angeboten, welches ich im weiteren Verlauf des Tages an den VP's nicht von der Hand weisen werde - hier allerdings erscheint mir die noch sehr frühe Tageszeit etwas zu dekadent für ein erstes alkoholisches Getränk. Ich belasse es also beim üblichen Gedeck von Cola und Schokoriegel. Ganz nebenbei haben wir jetzt schon die erste Hälfte des ersten Drittels geschafft! Das motiviert!
So langsam sammeln sich nun auch die ersten ernstgemeinten Höhenmeter an und die ersten Wanderabschnitte folgen. Das ist in unserem Leistungsspektrum jedoch keine Schande, denn wir tuen es nur den anderen (erfahreneren) Läufern um uns herum gleich. Unser Plan ist es, sich hier nicht völlig abzuschießen und wenn möglich eine Zielzeit von um die zwölf Stunden anzuvisieren. Das wäre so in etwa der Schnitt, den wir dieses Jahr auf dem Rennsteig zum Besten gaben, nur eben auf einem Dreiviertel der heutigen Distanz. Es ist ein grober Anhaltspunkt - mehr nicht! Bei Nichterreichen dieser internen Vorgabe wird es keine sportrechtlichen Konsequenzen geben. Warum auch?
Die Halbmarathondistanz ist nach 2:24 Stunden erledigt. Das wird am dritten Versorgungsstand am Ortsrand von Ruhla mit der nächsten Völlerei belohnt. In einem Bogen wird nun der Große Inselsberg umlaufen. Anders als zum Rennsteiglauf, bleibt uns dieser Anstieg und der noch unbequemere Abstieg zwischen den beiden VP's Glasbachwiese (km 27, offizielle Zwischenzeit am ersten Staffelwechselpunkt: 3:05:59 h) und Grenzwiese (km 38) erspart. Und weil dieser Bogen länger als die Direttissima beim Rennsteiglauf ist, gibt es zwischendrin noch einen zusätzlichen Versorgungspunkt am Gehege nördlich Brotterodes bei Kilometer 33. Dort gibt es im Anschluß erstmals wieder einen längeren unbeschatteten Wegabschnitt über ein Feld zum Fuß des Oberen Beerbergs zu bewältigen. Glücklicherweise hat es die Sonne zu diesem Zeitpunkt noch nicht durch die lose Wolkendecke geschafft, denn mit ihr ist heute bei bis zu 27°C zu rechnen - so zumindest die Wettervorhersage.
Die siebente Verpflegung befindet sich an der Straße von Brotterode nach Kleinschmalkalden am Gänsberg (der im Anschluß an die Stärkung "erstiegen" wird). Für diese 43 Kilometer stehen 4:59 Stunden auf der Uhr. Wir steuern also langsam das "Bergfest" an. Die Streckenführung dahin ist, wie auf dem gesamten Kurs, perfekt markiert. Zudem helfen die Wegweiser bei der groben Orientierung. Doch da gibt es in Bezug auf die Motivationskunst doch erhebliche Differenzen zwischen dem lokalen Wanderwegwart und der thüringenULTRA-Organisation: das Schild "DRK-Berghütte 250m" ist dabei in mindestens doppelter Entfernung zum angeschlagenen Zielort angebracht, während die (vor jeder Verpflegung befindlichen) "Verpflegungspunkt 150m"-Hinweise fast nie diese 150 Meter ausweisen. Man kann sich also stets sicher sein, spätestens nach der nächsten Ecke in rund 100 Metern am VP zu sein. Diese letztgenannte "Verarsche" ist gut für die Psyche und daher äußerst löblich!
Das Bergfest wird dann zwar etwas vorzeitig, bei Kilometer 49, aber doch dem Namen entsprechend, an der jener Hütte der Bergwacht von Kleinschmalkalden "gefeiert". Nach 5:43 Stunden Wettkampfzeit fällt diese Pause für uns mal wieder etwas länger aus: ein zweites Frühstück, zwar ohne Kaffee aber sonst fehlt es an nichts.
Gemächlich bergab führend, bringt uns ein asphaltierter (Rad-)Weg zum Sportplatz von Floh-Seligenthal. Dort befindet sich die zweite Wechselzone für die Staffeln und der nächste Nachschub für den Magen. Nun sind es nur noch 46 Kilometer bis zum Ziel! Die Zwischenzeiterfassung hält eine "Leistung" von 6:18:41 Stunden für uns fest. Da kann man dann auch noch getrost ein paar gestellte Fotos an der bereitstehenden Torwand schießen - ein Ball zur Ermittlung der Treffsicherheit liegt glücklicherweise nicht aus, sonst hätten wir uns dort wohl total verzettelt. Schließlich fehlt dem Gebein schon ordentlich Kraft und bis zu einem ersten Treffer wäre wohl der restliche Vormittag draufgegangen.
Doch diese Kraft wird dringender für den folgenden Anstieg zum Jobststein (km 59) benötigt. Dort ist wieder eine Verpflegung, welche man nicht außer acht lassen sollte, denn der darauffolgende VP ist immerhin neun Kilometer entfernt. Da auch schon die Temperatur ordentlich zugelegt hat, ist eine intensivere Getränkeaufnahme von Vorteil. Dazu kommen noch die restlichen Zutaten eines VP und der Drang zum Weitermachen ist dadurch etwas gehemmt. Macht nichts, es geht weiter bergauf und daher ist ein Wanderschritt zur besseren Verdauung angemessen. Nach rund anderthalb Kilometern treffen wir am Dreiherrenstein am Hangweg wieder auf den Rennsteig. Diesem folgen wir bis zur Ebertswiese, wo zusätzlich ein Getränkepunkt eingerichtet ist. Wir benötigen allerdings nichts und machen uns nur am Bach namens Spitter etwas frisch. Wir verlassen den Rennsteig und folgen der Spitter auf einem urigen Trampelpfad ins Tal. Wir passieren die Schnapsbuche im Spittergrund und nehmen am Freibad von Tambach-Dietharz die bereitgestellte Erfrischung in Form eines Wasserschlauches wahr. Ein paar Meter weiter folgt die nächste Versorgungsstelle.
Nach 8:08 Stunden haben wir zwei Drittel der Strecke hinter uns. Wir verlassen den Ort durch eine Straßenbaustelle Richtung Vierpfennigshaus, wo nach drei weiteren Kilometern die nächsten Getränke auf uns warten. Der anfängliche Anstieg auf der Baustraße fällt zunehmend schwer, auch auf den flacheren Abschnitten weiter oben muß man sich regelrecht zum Laufen zwingen. Dafür geht es nach Kilometer 71 erstmal weitesgehend bergab und am Sportplatz in Finsterbergen sind nach offiziell 9:22:06 Stunden drei Viertel der Distanz geschafft. Die zwölf Stunden für die Runde werden wir nicht schaffen! Dafür ist jedoch die Reststrecke von 24 Kilometern mehr als überschaubar - so meine Argumentation.
Der Endspurt bleibt trotzdem aus, besser gesagt, er ist uns nicht mehr möglich. Die Überholvorgänge von hinten häufen sich und die Gegenwehr von Ute und mir ist (meist) gebrochen. In Friedrichroda (km 81), Bad Tabarz (km 86) und Langenhain (km 92) sind weitere Versorgungsstellen, welche wir ausgiebig nutzen. Zusätzlich stehen in den Ortschaften vor vielen Grundstücken zusätzlich Wasserschüsseln und Getränke für die Läufer bereit. Mittlerweile haben wir den schützenden Thüringer Wald verlassen und sind nun mehr auf freiem Feld unterwegs. Die Sonne und die Wärme haben nun wesentlich leichteres Spiel, uns den Garaus zu machen. Doch die Hilfsbereitschaft der Leute verzögert dieses Vorhaben ungemein. Danke!
Von Weitem ist er schon zu hören und zu sehen, der "Legendäre VP bei km 95" am Anfang des Gewerbegebietes von Waltershausen. Ein riesiges Tamtam wird für die ankommenden Läufer veranstaltet - mit Wunschmusik, Ansage und Cheerleadern. Irgendwie paßt dies gar nicht so recht zum eher "ruhigen" Veranstaltungskonzept, sondern erinnert mehr an den Zieleinlauf bei einem Stadtmarathon. Doch hier ist noch kein Ziel! Es sind noch fünf Kilometer! Unterbrochen nur durch eine letzte Stärkung bei Kilometer 98 am Sportplatz von Hörselgau. Doch dem ist der recht öde und monotone Abschnitt durch das riesig erscheinende Gewerbegebiet vorgeschaltet. Ein letzter Versuch unseren Willen zu brechen!? Nein, der Zug zum Ziel ist noch vorhanden und ein Schild in Hörselgau verweist eindringlich auf ein Weiterlaufen, da ein Umkehren nicht mehr lohnen würde.
Ortseingangsschild von Fröttstädt ... noch 500 Meter ... unter der Bahnstrecke durch ... eine letzte enge Gasse ... ein Sender erfaßt unsere Startnummern für die Ansage beim gleich folgenden Zieleinlauf ... das Gebäude der örtlichen Feuerwehr ist sichtbar ... dazu ein Zielbogen (aber noch nicht das Ziel) ... Applaus hinter den Absperrgittern ... noch 50 Meter Zielgerade ... Zielbanner ... Schluß ... Aus!
Neben einer Medaille für die Bewältigung der Strecke gibt es sofort den Ausdruck der persönlichen Daten zum Lauf. Perfekt! Nicht ganz so perfekt ist zwar unser sportliches Ergebnis, doch darauf lag ja nicht unbedingt der Fokus. Nach 12:34:03 Stunden ist unser Bogen durch den Thüringer Wald gezogen. Für Ute als 6. Frau wird sogar noch Platz 2 in der Altersklasse (hinter der Frauensiegerin!) im Wettkampfprotokoll festgehalten. Von den 246 Einzelstartern (211 Männer und 35 Frauen) werden 16 Männer und drei Frauen das Ziel nicht erreichen.
Auch wenn es erwartungsgemäß ein wenig in den Beinen zwickt und ein Müdigkeitsgefühl die Runde macht, bleibt der thüringenULTRA doch in bester Erinnerung. Vielleicht sind wir zwei ja auch mal wieder in Fröttstädt am Start? Aber 100 Kilometer sind verdammt lang ... das sollte man im Vorfeld zwingend beachten!