22.06.2019 | 10 Uhr | 24 Std. | 1.199,19-m-Runde | 5 Hm+ | 5 Hm- |
Es geht doch nichts über ein Wanderwochenende im Vogtland, welches reich an Sehenswürdigkeiten ist. Sicherlich verlockt dabei der 228 Kilometer lange Vogtland-Panorama-Weg für solch eine Unternehmung wesentlich stärker, als es das Umfeld um den Wasserturm in der Großen Kreisstadt Reichenbach vermag. Trotzdem fällt die Entscheidung auf letztgenannte Örtlichkeit, weil dort für eine Weitwanderung eine wesentlich bessere Infrastruktur den Ausschlag gibt.
Es ist offiziell keine Wanderung, denn der alteingesessene 24-Stundenlauf "rund um den Wasserturm" treibt uns mal wieder in die Stadt. Warum dann aber nur zum Spaziergang? Dazu muß man einfach nur die eigene Leistungsfähigkeit objektiv betrachten, denn eine gewisse Trainingstätigkeit für diese besondere Art der läuferischen Selbstgeiselung ist sicherlich von Vorteil, jedoch keine Grundvoraussetzung. Es ist wie beim Autofahren ohne Führerschein - man weiß, daß man es kann, darf es nur eben nicht! Dies wird im Ausdauersport natürlich viel legerer gesehen. Es sollten nur die persönlichen Erwartungen des Ausführenden nicht zu hoch angesetzt werden - was das sportliche Ergebnis und das körperliche Befinden betrifft. Es folgt also ein weiterer Selbstversuch in Sachen Kompensieren von Trainingsfaulheit und dies wird sicherlich nur mit Wandern zu bewerkstelligen sein.
Für mich ist es der siebente Vierundzwanziger in Reichenbach. Die 1.199,19 Meter lange Streckenführung ist mir nach zurückgelegten 908 Kilometern und 495,7 Metern (durchschnittlich 151 Kilometer, 415 Meter und 95 Zentimeter!) bestens bekannt. Immerhin 756 volle Runden stehen für mich hier zu Buche - da prägt sich so manches unangenehme Detail unweigerlich im Gedächtnis ein. Neben der recht verwinkelten und mit zwei sanften Steigungen versehenen Route, sorgen der leicht abgesenkte Gullideckel in der Abfahrt zum Stadionhintereingang, der Betonpflasterbelag hinter der Tribüne und unbestritten die beiden rechtwinkligen Übergänge hinter dem Wasserturm für eine (zumindest im zweiten Teil) ungemütliche Tagesaufgabe. Die Summe dieser Feinheiten nimmt dem Kurs in Reichenbach definitiv die Bestenlistenfähigkeit und in diesem Jahr scheint dabei eine neu installierte sogenannte Kreissegmentschwelle zur weiteren Verkehrsberuhigung auf der Strecke zu sorgen. Diese wird jedoch während der ersten Wettkampfstunde vom Organisationsteam zum Wohl der Läufer noch zurückgebaut. Danke für diese Entschärfung!
Was nimmt man sich nun vor, wenn man zu zweit zusammen noch weniger trainiert hat, als ich es im Vorjahr allein praktiziert hatte und daraufhin ordentlich mit Schmerzen bezahlen mußte? Nur 100 Kilometer? Oder wenigstens 100 Runden? Nein, nicht so bescheiden! Logischerweise setzt man nach dem letztjährigen Debakel die Meßlatte doch noch etwas höher und rechnet sich insgeheim das Knacken der 100-Meilen-Marke aus! Nach einem absolvierten Hunderter plus Marathon (142,3924 km) im Jahr 2018 sollen es nun 160,9 Kilometer werden! Vielleicht ist aber auch 150 eine schöne Zahl für die Ergebnisliste? Das Zahlenwunschkonzert kann auch schon nach 50 Kilometern beendet sein. Beim 24-Stundenlauf mischen viele Faktoren das Endergebnis zusammen: die Beine, der Magen, der Kopf und das Wetter. Und das letztgenannte Kriterium ist unser einziger Lichtblick. Es soll an beiden Tagen regnen, so die Langzeitvorhersage. Doch mit zunehmender Dauer schwindet dieser Hoffnungsschimmer aus der Wettervorhersage. Es wird zwar nicht ganz so heiß, wie in den Tagen davor, aber mit über 20°C immer noch viel zu warm (für Ute und mich).
Die selbsternannte "Lange Nacht von Reichenbach" wird diesmal besonders kurz. Die Sommersonnenwende am Vortag sorgt für eine der kürzesten Nächte des Jahres - zwischen Sonnenuntergang am Sonnabend (21:25 Uhr) und Sonnenaufgang am Sonntag (4:57 Uhr) liegen gerade einmal 7 Stunden und 32 Minuten "Finsternis". In dieser Zeit muß Versäumtes vom (sonnigen) Tage ausgebügelt werden! Nachts soll es sich dann bis auf 15°C "abkühlen" - na mal sehen, was dann der hitzegeschädigte Körper noch bereit ist, zu geben?
Mit Rene aus Einsiedel und Jens aus Reichenbach beziehen wir unser Basislager an der Seitenauslinie des Fußballfeldes in Höhe des Sechzehners. Eine Kühltasche voll Getränke sowie Wechselklamotten sind dort deponiert, der Rest an Wichtigkeiten liegt im Auto, welches zwischen Stadiontribüne und Wasserturm abgeparkt ist. Pünktlich 10 Uhr ist die Runde freigegeben. Immerhin 13 Vierer-Staffeln und 75 Einzelläufer kämpfen sich nun über den Kurs. Ein gewohnt langsames Tempo, gering schneller als Wandern, bestimmt dabei unseren Beginn der Unternehmung - anfangs bin ich noch gemeinsam mit Rene unterwegs, später dann komplett mit Ute. Von früheren Aktivitäten "erinnern" sich meine Beine schon noch an diese Bewegungsform, signalisieren mir aber spätestens nach rund 30 Kilometern: "Danke für diese erste lange (und fordernde) Trainingseinheit. Schön, mal wieder was gemacht zu haben. Vielleicht sollten wir das jetzt öfterer tun, aber für heute reicht es erstmal" Der Kopf übernimmt das Gesäusel und fügt an: "Jetzt die Beine hoch und zur Belohnung ein Bier in den Schlund! Es ist ja schließlich Wochenende!" Doch so einfach ist es nun mal nicht! Nach 4:42 Stunden ist die Marathondistanz abgebummelt und für den Fünfziger stehen gar schon 5:40 Stunden auf der Wettkampfuhr. Spätestens jetzt sind Ute und ich im Wanderwochenende angekommen.
Zum Bergfest um 22 Uhr haben wir beide knapp 90 Kilometer in der Liste. Nun wird auch noch die Stadionuhr vom Strom genommen und mein einziger (stets sichtbarer) Anhaltspunkt fehlt für weitere Berechnungen. Nach dreizehneinhalb Stunden ist der Hunderter erledigt. Die Motivation sinkt und der Riemen ist definitiv schon lange 'runter! Die ersten Blasen an den Füßen melden sich genauso zuverlässig, wie die schmerzhaften Hautreizungen zwischen den Beinen oder unter den Achseln. Zur allgemeinen Lustlosigkeit gesellt sich nun noch ein gewisses Schlafbedürfnis. Die schon mehrfach von uns abgehaltenen längeren Pausen werden nun (gegen 0:55 Uhr - laut Anzeige im Caddy) auf eine Stunde ausgedehnt. Neben dem Schuhwechsel (der vom einstündigen Regenguß völlig durchnäßte Adidas adizero adios gegen den etwas bequemeren Hoka Clifton) gibt es noch einen Schlafversuch in unmöglich gekrümmter Liegeposition auf dem Fahrersitz, während Ute auf dem Beifahrersitz den ersten (und glücklicherweise einzigen) schmerzhaften Krampf im Gebein zu vertreiben versucht. Doch unsere Lichter gehen tatsächlich für ein paar Minuten aus! Es hilft beim weiteren Flanieren um den Wasserturm. Wir werden zwar nicht schneller, aber es geht leichter. Der Rest des Sonntages ist Zeittotschlagen!
Kurz nach 7 Uhr leuchtet die Stadionuhr wieder. Das 100-Meilen-Ziel ist aufgrund unseres Wandertempos schon lange ad acta gelegt. Das Minimalziel ist der eine Kilometer über dem Vorjahresergebnis und die 150 wäre heute ein recht zufriedenstellendes Ergebnis. Kurz nach 8 Uhr wird das letzte der stündlich ermittelten Zwischenergebnisse am Streckenrand ausgehangen. Erstmalig werfe ich einen hastigen Blick auf die Zettel und stelle fest, daß in Ute's Altersklasse nur zwei Runden Luft nach hinten sind. In der Eile des Gefechts schaue ich unweigerlich nicht ganz so genau auf die angeschlagene Frauenwertung und kann ihr nicht einmal sagen, wie viele Frauen ihrer Altersklasse vor ihr sind. Egal, zwei Runden müssen jetzt gehalten oder ausgebaut werden. So kommen wir doch noch ab und zu in so eine Art Laufschritt. Mir ist es regelrecht peinlich, als wir daher weit vor Schluß die 150er Marke abhaken. Mir schießt es durch den Kopf, als wir hier vor ein paar Jahren schon mal am Sonnabend mit zweistelligem Ergebnis abgereist waren und unseren Mitstreiter Steffen allein zurückließen. Er schaffte damals 155 Kilometer, soweit ich mich erinnere. Es wäre unhöflich diese Leistung jetzt attackieren zu wollen. Er würde es dann ganz klar für Läuferlatein halten, unsere Mär vom Untrainiert-sein ... zur Not müssen wir eben die verbleibenden Minuten auf der Stelle laufen.
Irgendwie klappt es dann auch ohne Manipulation, Steffens Leistung nicht zu gefährden. Es ist fast dieselbe Stelle, an der ich im Vorjahr mein Startnummerntäfelchen ablegte, die Ute und ich mit dem Schlußsignal um 10 Uhr erreichen. Endlich Feierabend! Schicht nach 154,3793 Kilometern auf einem gemeinsamen 15. Platz der Gesamtwertung. Gegenüber beendete der Zweitplazierte, ein Pole seinen Lauf. Ich frage ihn, ob er die 200 noch geschafft hat, denn da ging es nochmal (distanzmäßig) richtig eng zu. Er vermutet, daß rund 400 bis 700 Meter fehlen werden. Schade für ihn - den Sieger der Männerwertung (letztendlich mit 199,352 km). Der Gesamtsieg geht auch nach Polen - demzufolge an eine Frau! Mit 215,807 Kilometern distanzierte sie die Konkurrenz deutlich, was sich aber schon den gesamten Wettkampf über abzeichnete. Wie ein Uhrwerk, ohne Abnutzungserscheinungen spulte sie die 24 Stunden 'runter - ganz großes Kino!
Lokalmatador Jens wird mit 168,086 Kilometern Neunter der Gesamtwertung und Altersklassendritter, je einen Platz hinter 24-Stundenlauf-Neuling Rene, der es immerhin auf 171,682 Kilometer brachte. Ute gewinnt als vierte Frau im Gesamteinlauf bei ihrer sechsten Teilnahme zum vierten Male ihre Altersklasse, diesmal mit etwas über vier Kilometern Vorsprung auf Platz 2.
Reichenbach: wie immer familiär, freundlich und gut organisiert! Ein riesiges Dankeschön an all jene, die sich ihr Wochenende (und noch viel mehr Zeit) für uns um die Ohren schlagen. Trotz aller Annehmlichkeiten, die das Drumherum bestimmen, werden jetzt im Hause Delling/Herfurt erst einmal Schilder aufgehängt, die mit Nachdruck auf die erlittenen Unannehmlichkeiten eines 24-Stundenlaufes hinweisen - nicht, daß wir uns wieder für so eine Veranstaltung anmelden. ;)
Veranstalterseite: LAV Reichenbach