05.09.2020 | 10 Uhr | 41 km | 1.355 Hm+ | 1.355 Hm- | Lauf ohne WK-Charakter |
Nach unzähligen Absagen von Wettkämpfen und Veranstaltungen in dieser fast halbjährigen Zwangspause versucht sich der Laufsport nun so langsam wieder aufzurappeln. Vorsichtsmaßnahmen durch sogenannte Hygienekonzepte bestimmen dabei den Alltag in der Planung und Durchführung dieser Wettbewerbe. Diese Einschränkungen sind jedoch (im Gegensatz zu den neuen "Stadionordnungen" im unterklassigen Profifußball) für die "Konsumenten" recht gering und akzeptabel. Somit steht einem Besuch von Sachsens schönstem Wald und dessen Durchstreifen auf den Spuren Heinrich Cottas, dem berühmtesten Forstwissenschaftlers Deutschlands, nichts im Wege. Es sei denn, man zieht den derzeitigen Trainingszustand zu Rate ...
Nach neunwöchiger Sommerpause in puncto Lauftraining wurde am Sonntag "vor Tharandt" zum ersten Mal das Prozedere eines Laufes wieder einstudiert. Dabei passt zuerst eine kraftmeierische Dehnung der Schulter das Laufhemd etwas der Körperform im Brustbereich an. Die auffällige Wölbung darunter muß später die sportliche Betätigung glätten. Nach einigen Freiversuchen mit Hilfe eines Knotenbuches ("Baumknoten", ISBN 3-9810417-0-4) gelingt kurz darauf sogar das fast "blinde" Schleifenbinden am Laufschuh, der sich allerdings davor nur widerwärtig aus dem Schuhschrank ziehen ließ. Auch die Uhr hat so ihre Probleme mit der inzwischen für sie ungewohnten Situation. Der für die Aufzeichnung der Trainingsdaten zugeordnete Satellit läßt sich nämlich mächtig Zeit bei der Ortung des Endgeräts. Zeit, die die mühsam vorgewärmte Beinmuskulatur schon wieder leicht frösteln läßt. Doch das wirft den Willigen nun auch nicht mehr aus der Bahn und die einst langwierig angeeigneten Laufbewegungen sitzen immer noch irgendwo tief in Fleisch und Blut. Sicherlich ist das folgende Getrabe kein Bild für Ästheten, doch immerhin 14 Kilometer und ein paar Höhenmeter lassen sich so zusammenstottern. Was sollte jetzt also einem Geländelauf über 41 Kilometer ein paar Tage später noch im Wege stehen?
Die schmalen sechs Taler Anmeldegebühr können es wahrlich nicht sein, die einen zudem arg von Covid-19-Verfügungen geschwächten Laufkalender wiederbeleben. Trotzdem stehen kurz vor Meldeschluß erst fünf Interessenten in der Liste für den 41-er. Das ist bei der langen Vorenthaltung dieser Sportart schon mysteriös, daß hier kein größerer Bedarf besteht. Sicherlich bietet die Veranstaltung mit Wettbewerben über 400 und 1.200 Meter, sowie zweieinhalb, fünf und 30 Kilometer, 'nen Zehner und 'nem Halbmarathon einen Bauchladen voll Betätigungsmöglichkeiten an und die Läufer verteilen sich dementsprechend großzügig in den jeweiligen Listen. Die volle Bandbreite an Abwechslung gäbe es allerdings nur auf dem als Trail ausgeschriebenen 41-km-Lauf, da die anderen Strecken größtenteils auf den breiten Forstwegen um Hartha ausgefochten werden. Dies ist mir noch von meinen zwei bisherigen Teilnahmen so in Erinnerung, als ich 2009 zum 30. Waldlauf den Dreißiger (2:12:27 h) und im Jahr darauf den Halbmarathon (1:29:57 h) noch relativ mühelos herunterspulte.
Mit den Burgstädtern Siggi und Steffen können Ute und ich jedoch noch zwei weitere Mitstreiter für diesen Ausflug auf die Pfade und Aussichtspunkte des Tharandter Waldes begeistern. Beide stehen voll im Saft und sind sofort Feuer und Flamme, mal wieder einen anderen Flecken Erde (läuferisch) zu erkunden.
Neun Starter und zwei Guides begeben sich 10 Uhr von der Waldbühne des Kurortes Hartha aus in die Spur. Das kleine Häuflein zerfällt dabei recht schnell und so ist unsere Besen-Gruppe der zwei "Limbacher" und zwei "Burgstädter", ergänzt durch den streckenkundigen Robert relativ zeitig "gefunden". Er hat auch im Vorjahr schon die langsame Gruppe durchs Gelände (über damals 40 Kilometer) geführt und ist als Orientierungsläufer mit der Materie der Wegfindung daher mehr als vertraut.
Vorbei am im Wald stehenden Glockenstuhl, der um 9 Uhr unseren Weg zur Startnummernausgabe mit einem ausufernden Geläut untermalte, geht es hinab in den Ort. Noch ein paar Meter "über Land" und wir gelangen zum (weit über die Forststadt Tharandt hinaus bekannten) "Forstbotanischen Garten". Eine Runde von ca. einem Kilometer durch das sächsische Landesaboretum, welches den nordamerikanischen Teil dieses Gartens abhandelt, führt über die Appalachen und die Rocky Mountains und vorbei an deren typischer Vegetation. Die Aussichtspunkte auf diesen Felsformationen nutzt Robert, um uns den weiteren Streckenverlauf schmackhaft zu machen. So werden wir im Verlauf des Tages noch oft kleinere Stichwege nehmen und an markanten Punkten der Strecke die Sicht genießen. Grundsätzlich geht es heute nämlich nicht um Tempo, sondern um das intensivere Kennenlernen der Schönheit des Tharandter Waldes. Dieses stetige Pausieren kommt natürlich dem derzeitigen Trainingszustand von Ute und mir zugute ... und wer, bitteschön, braucht schon eine neue persönliche Bestzeit auf 41 Kilometer, wenn dies die Wegebeschaffenheit sowieso nicht hergibt?
Bei der Planung der Strecke wurde wirklich penibel darauf geachtet, den Anteil von breiten Forstwegen oder gar Asphalt auf ein Minimum zu beschränken. Je anspruchsvoller, umso besser! Dies gilt auch für das Streckenprofil, welches mit einem fast stetigen Auf und Ab zu beeindrucken weiß. Selbst die langgezogenen leichten Anstiege zum Ende hin, werden unseren untrainierten Beinen das letzte bißchen Saft aus der schlaffen Muskulatur saugen. Trotz äußerst gemäßigtem Durchschnittstempo wird diese Runde kein Spaziergang.
Der Bogen zieht sich entlang des Todbachs und über die Winkelalm nach Tharandt, vorbei am ehemaligen Wohnheim der Forststudenten hinab zur Wilden Weißeritz, an deren nördlichen Hang wir bis Freital-Hainsberg folgen. Eine 2-km-Schleife zum 50 Meter hohen Backofenfelsen ist dabei mit eingebaut. Im Rabenauer Grund an der Roten Weißeritz biegen wir in die Somsdorfer Klamm ab, an deren Ende uns die Teufelskanzel wieder einen schönen Talblick gewährt. In Somsdorf wartet am örtlichen Wappenbaum, einer 173-jährigen und seit 1951 unter Schutz stehenden Eibe (Taxus baccata) nach 16 Kilometern der erste Getränkepunkt auf uns. Weiter geht es danach über Felder zum Sonnentempel, einem kleinen hölzernen Rundbau am bewaldeten Weißeritzhang über Tharandt gelegen. Es folgt ein Trampelpfad entlang der Weißeritztalhänge zur Waldblick-Schutzhütte, wo sogar eine Art Hüttenbuch ausliegt. Die Zeit der dort von uns anberaumten (größeren) Verpflegungs- und Aussichtspause nutze ich für einen Eintrag unseres Quintetts in die mittlerweile lose Blattsammlung - eine lückenlose Dokumentation der Personendaten an diversen Hotspots entspricht ja dem heutigen Zeitgeist und ist daher (auch aus dieser Sicht) unerläßlich.
Auf dem weiteren Weg nach Dorfhain, unserem "Wendepunkt" der Strecke nach 25 Kilometern, befindet sich in einem Pavillon (Huthaus am Richtschacht - km 23 und 26,5) noch eine weitere Verpflegungsstelle, welche zweimal (auf dem Hin- und Rückweg nach/von Dorfhain) genutzt werden kann. Über die Katzentreppe folgt der Anstieg auf die andere Seite der Weißeritztalhänge, welche wir nun Richtung Tharandt nehmen. Im Tiefen Grund bei Kilometer 30 steht dann nochmal ein (letzter) Getränkekasten für uns am Wegesrand. Doch dieses insgesamt dreiteilige Verpflegungsnetz wurde nur aufgrund der vorjährigen Hitze eingeführt - heute ist es dagegen angenehm warm und sogar mit einigen Regenschauern durchzogen. Es besteht also keine akute Austrocknungsgefahr, trotzdem nehmen wir dieses Getränkeangebot dankend an.
Stellenweise seilgesichert führt nun der Weg, knapp hundert Meter über der Talsohle zum Breiten Grund. Der an der Strecke liegende Aussichtspunkt Bellmanns Los erinnert dabei an den früher praktizierten Holztransport im Tharandter Wald. Vom 16. bis 19. Jahrhundert wurde das Holz noch in der Weißeritz geflößt, ehe es ab 1875 mit der Bahn abtransportiert wurde. Es gab daher mehrere Holzabwürfe an den Hängen der Weißeritz, an denen das Holz (zum Weitertransport auf dem Fluß) hinab ins Tal geworfen wurde. An dieser Floßholzabwurfstelle stürzte einst der Waldarbeiter Bellmann beim Verrichten dieser Arbeit mit seinem Pferdegespann in die Tiefe und gab so dem Ort seinen Namen.
Weitere Spuren der Forstwirtschaft säumen nun vermehrt den Wegesrand. Da wäre zum einen die 1816 gepflanzte Meilerfichte, welche mit knapp 54 Metern Höhe die höchste Fichte (Picea abies) des Tharandter Waldes war. Heute zeugt allerdings nur noch der überdachte Wurzelstock des einst mächtigen Baumes (mit immerhin 12,9 cbm Holzvolumen) davon. Der wegen starken Borkenkäferbefalls geschwächte Riese mußte im vorletzten Winter aus Sicherheitsgründen gefällt werden. Durch die hohe Qualität des Holzes erzielte ein zehnmetriges Stammstück der Fichte bei einer Holzsubmission des Sachsenforsts im Januar 2019 immerhin einen Kubikmeterpreis von 208 Euro. Auch der sich anschließende Meilerplatz ist ein Teil der ehemaligen forstwirtschaftlichen Nutzung des Holzes. Hier wurde bis zum 18. Jahrhundert (und seit 2008 einmal jährlich als Schauvorführung) Holzkohle aus Buchenholz hergestellt.
Im Tal gelangen wir wieder nach Tharandt. Die Besichtigung von Schloß und Burgruine müssen wir aber auf einen späteren Vor-Ort-Termin verschieben, da die Zeit mittlerweile drängt. Es folgen die 13 Drehen (13 Spitzkehren) hinauf zum Kienberg, der uns hinüber zum Start- und Zielort Hartha und zum (anfangs durchlaufenen) nordamerikanischen Teil des Forstbotanischen Gartens blicken läßt. Vorbei an den Gräbern der Forstwissenschaftler Heinrich Cotta (1763 - 1844) und Friedrich Judeich (1828 - 1894), welche sich auf dem einstigen eichengesäumten Wettinplatz befinden, gelangen wir zum nächsten Ausblick, dem Heinrichseck. Einem letzten Blick auf die Wilde Weißeritz folgt die rasante Talfahrt. Danach zieht uns der Weißwangeweg langsam wieder Richtung Judeich-Hütte nach oben. Eine kleine Erfrischung an der Lindenhofquelle läutet kurz darauf die letzten zwei Kilometer ein.
Einen kurzen Halt an der knorrigen 150-jährigen Süntelbuche (Fagus sylvatica var. Suentelensis S.) gönnen wir uns noch, ehe wir die letzten Meter zum Ziel nehmen. Süntelbuchen sind eine besondere Mutation der Rotbuche (Fagus sylvatica), von denen es nur noch rund 50 "Altexemplare" in Deutschland gibt. Sie sind nach ihrem Vorkommen im Süntel-Mittelgebirgsstock benannt und durch ihre verkrüppelte Wuchsform ohne forstwirtschaftliche Nutzung.
Nach einer gefühlten Ewigkeit ist unsere Exkursion durch den Tharandter Wald an der Waldbühne beendet. Auch wenn wir viele Sehenswürdigkeiten am Wegesrand schon mitgenommen haben, ist doch noch allerhand offen. Es bleibt ein wunderschöner Lauf fernab der Norm, der das Interesse rund um die Forststadt Tharandt geweckt hat, im Kopf hängen. Ein großes Dankeschön geht an unseren Guide Robert Backes, der uns unterwegs mit allerhand Wissenswertem versorgte und unseren gemächlichen Trott widerspruchslos hinnahm sowie an Andreas Lückmann, der für die Exklusivität der Strecke verantwortlich zeichnete.