28.11.2010 - 9:20 Uhr - 42,195 km
Als Ausklang des Laufjahres 2010 hatten wir kurzfristig den Florenz-Marathon ins Auge gefasst, da er vom Zeitpunkt her wunderbar passte und wir an den Jahresauftakt-Marathon in Barcelona nur schöne Erinnerungen hatten.
Diesmal suchten wir nicht aufwendig über Internet nach Flug und Übernachtungsmöglichkeit, sondern buchten gleich über ein Reisebüro, dies sollte sich noch als richtige Entscheidung erweisen.
Allerdings so eine richtige Vorfreude auf den Lauf konnten wir nicht entwickeln.
Beim Halbmarathon am 31.Oktober in Glauchau konnte ich mein angestrebtes Ziel 1:45min zwar mit 1:42h sogar unterbieten, dafür hatte ich danach undefinierbare Schmerzen im linken Schien- und Wadenbein. Kein Training mehr möglich, jede schnellere Bewegung verursachte Schmerzen, also Laufpause, und das 4 Wochen vor der Marathonreise.
Für die Landesmeisterschaft Cross am 13.11. in Leipzig waren wir beide vorangemeldet, es ging vor allem um die Mannschaftswertung unseres Vereins, es mussten mindestens drei Teilnehmer pro Strecke starten. Ich entschied mich schon einen Tag vorher nur die 2km Strecke anzutreten, mehr konnte ich meinem Fuß nicht zumuten, denn bis zum Marathon wollte ich fit sein. Thomas meinte nur der Arzt hätte von langen Strecken gesprochen, also könnte er ja wenigstens die 4km Strecke mitlaufen, wegen der Mannschaftswertung. Nach dem Lauf wussten wir beide, dass es klüger gewesen wäre, nicht zu laufen!!
Ich beschloss bis zum Marathon nur noch Rad zu fahren, Thomas pausierte noch ein paar Tage, und trainierte dann auch nicht allein sondern mit einem Freund, was mich beruhigte. Eine Woche vor Reisebeginn bekam er dann noch massive Rückenschmerzen. Beste Voraussetzungen, um 42,195km zu bewältigen!
Unsere Rucksäcke packten wir deshalb am 24.11. mit gemischten Gefühlen. Wir wollten nur mit Handgepäck reisen, um gleich vor Ort flexibler zu sein. Am frühen Morgen des 25.11. fuhren wir zum Dresdner Flughafen, wo das Flugzeug der Lufthansa – Cityline auch planmäßig um 6.00Uhr nach München abhob. Vier Stunden Aufenthalt um ein bisschen in Zeitschriften zu schmökern, Leute zu beobachten, vor sich hin zu dösen, um dann schon wesentlich entspannter in den nächsten Flieger zu steigen, eine Dash mit 70 Sitzplätzen, ein richtiges Miniflugzeug. Ein gigantischer Ausblick aus dem azurblauen Himmel auf die Alpen, nach ca. 90 min Flugzeit dann eine eher unsanfte Landung auf dem Rollfeld des Airport´s Peretola / Florenz, trotzdem ein beruhigendes Gefühl, unbeschadet angekommen zu sein.
Der Bus vom Flughafen fuhr ca. 20 min bis zum Bahnhof, welcher sich nahe dem Stadtzentrum befand, von dort aus erkundeten wir gleich zu Fuß einige Sehenswürdigkeiten von außen, wie den Dom, die Bargello und Campanille der Badia Fiorentina und die Piazza della Signoria mit zahlreichen Skulpturen. Anhand der Ansichtskarten konnten wir erahnen, dass es noch eine Menge Kirchen, Kathedralen, Paläste und Denkmäler zu besichtigen geben würde.
Bei Sonnenschein und angenehmen Temperaturen schlenderten wir durch die Gassen und Straßen, schauten uns hier und da ein paar Souvenirs an, Michelangelo´s David in allen Formen und Varianten und auch die Holzfigur Pinoccio. So langsam spürten wir trotzdem das Gewicht des Rucksacks auf dem Rücken und steuerten unser Hotel an, ca. 3km vom Stadtzentrum entfernt, wir konnten es nicht verfehlen, solange wir immer am Arno entlangliefen.
Dort angekommen wurden wir freundlich begrüßt, unser Zimmer war ziemlich spartanisch und wenig einladend, aber schließlich wollten wir auch nur dort übernachten und uns nicht häuslich niederlassen. Ein ausgedehnter Spaziergang führte uns nochmals in Richtung Stadtzentrum, wir liefen über die Ponte Vecchio, die berühmte Brücke, auf der sich Goldläden und Juweliergeschäfte abwechseln, allerdings wären uns ein paar Sportgeschäfte mit einer ordentlichen Auswahl an Laufschuhen lieber gewesen.
Unser Hotelzimmer bot uns zumindest ein frisch bezogenes Bett und eine schöne heiße Dusche. Am nächsten Morgen frühstückten wir ordentlich und zu Fuß ging es quer durch die ganze Stadt mit dem Ziel Marathonmesse zur Abholung der Startunterlagen. Leider fanden wir auch hier nicht die gewünschten Laufschuhe, aber viele Informationen über Laufveranstaltungen für 2011.Ich beobachtete einen Masseur bei seiner Arbeit, der Mann verstand etwas von seinem Job. Wir entschlossen uns beide seine Dienste in Anspruch zu nehmen. Thomas konnte sich nach der Massage relativ schmerzfrei bewegen. Wir sollten doch am Samstag nochmal zur Massage vorbeikommen, bot uns der Masseur an. Ich glaube, er zweifelte sehr daran, dass wir in unserer Verfassung überhaupt den Marathon bewältigen könnten.
Nach einer kurzen Kaffeepause spazierten wir zurück in die Stadtmitte, dabei sahen wir an vielen Stellen schon die aufgesprühte Ideallinie „the green line“ auf der Straße, welche den Streckenverlauf markiert zur Orientierung für die Läufer. Alles in allem spazierten wir garantiert auch so um die 20km durch die Stadt . Am Samstag führten wir die Sightseeing-Tour fort. Zuerst zum Palazzo Pitti, danach auf den Piazza Michelangelo, dem Startpunkt des Laufes. Dort stand die Statue des David. Thomas wollte noch ein paar Fotos schießen, aber der Fotoapparat quittierte den Dienst, dabei ist der elektronische Schnickschnack gerademal 6 Monate alt. Danach spazierten wir wieder in Richtung Stadtzentrum und stiegen auf die Campanille. Bei herrlichstem Sonnenschein konnten wir den Ausblick über die Stadt genießen, aber leider nicht fotografieren. Alle Sehenswürdigkeiten konnten wir natürlich nicht besichtigen, aber schließlich sollten wir ja am Sonntag nochmal Gelegenheit haben im Laufschritt durch die Stadt zu ziehen.
Zurück im Hotel legten wir unsere Laufsachen bereit, befestigten die Startnummer und gingen relativ zeitig ins Bett, denn für den nächsten Morgen war bereits für 7.00Uhr das Läuferfrühstück angerichtet. So gegen 3.00Uhr wurden wir beide wach durch das Geräusch des strömenden Regens, na prima, die Nachtruhe war dahin. Der Regen ließ keineswegs nach, also mussten wir schon auf dem ca. 3km langen Weg zum Start die Regenfolie über die Laufsachen ziehen. Die Schuhe und Socken waren ziemlich schnell durchweicht, außerdem kamen ständig Windböen und das Thermometer zeigte 3°C. Ein paar Läufer kamen uns auf dem letzten Anstieg zum Startplatz entgegen gelaufen, wir dachten uns aber nichts dabe.i
Auf dem Piazza Michelangelo herrschte der übliche Andrang an den mobilen Toiletten, die ich leider auch immer benutzen muss. Männer haben es da ja definitiv etwas einfacher. Außer uns beiden hatten nur noch wenige Läufer die Startbeutel bei sich, vor mir erfragte jemand auf englisch, wo man die Beutel denn abgeben kann. Die Antwort war niederschmetternd, ca. 2km weit entfernt, wieder den Berg hinunter. Nun wussten wir auch, warum uns einige Läufer im Laufschritt entgegen gekommen waren, sie mussten auch noch ihre Sachen abgeben. Die Zeit wurde knapp, denn wir wurden in Startblöcke eingeteilt, je nach bisher erzielten Zielzeiten, diese Startblöcke wurden so 15min vor dem Start geschlossen und wer nicht rechtzeitig da war, musste sich im letzten Startblock anstellen, bei den Läufern über 5 Stunden. Also rannte Thomas los, um die Beutel abzugeben, natürlich hatten wir nun auch keine wärmenden Sachen mehr an, sondern nur noch die Regenfolie. Die ganze Aufregung schlug mir auf den Magen und ich reihte mich erneut vor den Toiletten in die Warteschlange. Der Sprecher sagte dann irgendwann, dass in 2 Minuten die Startblöcke geschlossen würden, ich war noch nicht mal an der Reihe, aber es fehlte auch nicht mehr viel und ich hätte gar nicht mehr starten brauchen, wegen einer vollen Hose!! Glücklicherweise schaffte ich noch den Toilettengang und auch den Zutritt zu meinem Startblock 3:30h – 4:00h, die Farben der Startnummern wurden genau kontrolliert, anhand dieser Farben konnte man dann auf der Strecke erkennen, aus welchem Startblock der jeweilige Läufer kam.
Die Minuten bis zum Start zogen sich endlos dahin, alle Läufer froren erbärmlich, dann setzten sich die ca. 10.000 Starter langsam in Bewegung immer die Straße hinab in Richtung der Startlinie. Zähneklappernd überquerte ich die Startlinie und wünschte mir nur warme Hände und Füße. Nach fünf Kilometern waren meine Hände warm, die Zeitläufer mit den 4:00 h Ballons waren schon ein Stück hinter mir und die 3:45h Zeitläufer waren nicht sehr weit vor mir. Eine Brückenüberquerung hatten wir hinter uns und noch vier vor uns.
Nach 10km hatte ich dann auch warme Füße und war mit den 3:45h Zeitläufern auf gleicher Höhe, dass erstaunte mich schon, den mein Fuß und auch die Hüfte schmerzten jetzt schon. Ponte della Vittoria hieß die zweite zu überquerende Brücke. Bis zum Halbmarathon waren mir die 3:45h Ballonläufer natürlich wieder davongelaufen, trotzdem war ich noch gut unterwegs, zum zweiten Mal über die Ponte S. Niccolo, viele Straßenabschnitte erkannte ich wieder, wo wir die letzten zwei Tage schon vorbeigegangen waren. An der Verpflegung nahm ich ein Stück Banane und einen Becher Tee, blieb aber nicht stehen, sondern lief weiter, der warme Tee war mir zu süß. Bei den weiteren Verpflegungen nahm ich Wasser. Die Zuschauer feuerten uns an, klatschten Beifall und schienen trotz des Dauerregens gute Laune zu haben.
Bei 30 Kilometern liefen wir um das Stadio Comunale herum, wo wir unsere Startunterlagen abgeholt hatten. In dem Industriegebiet machte der Wind den Regen noch unerträglicher, wenige Zuschauer, keine Sehenswürdigkeiten, viele Läufer gaben hier auf. Ich dachte an den Vortrag von Joey Kelly „Ich habe kein besonderes Talent, für gar nichts, aber ein Quäl-Gen“, genau das hab ich auch. Der Gedanke, bei der Kälte und dem Regen zum Ziel frierend zu gehen, schreckte mich viel mehr ab, also einfach weiterlaufen, so kommt man wenigstens schneller zum Ziel. Ein Energiegel und ein Becher Wasser sollten nochmal die letzten Kräfte mobilisieren, wieder im Stadtkern galt es erst die Ponte Trinita und dann endlich die Ponte Vecchio zu überqueren, ein Polizeimotorrad fuhr eine ganze Weile vor, neben und hinter mir, der Polizist fragte jeden ausgestiegenen Läufer, ob alles o.k. ist und ob er eine wärmende Alufolie möchte. Ich wollte nur noch ankommen, den letzten Kilometer säumten Zuschauer, auf der geteilten Straße konnte ich hinter der Absperrung schon die Läufer sehen, die bereits auf den Weg zu ihren Sachen waren. Es waren aber keine strahlenden Sieger, alle schlichen mehr oder weniger, eingewickelt in einer Alufolie, den Blick auf den Boden. Minuten später reihte auch ich mich in diesen Trauerzug ein, natürlich jubelte ich vorher im Ziel und strahlte. 3:50:32min meine Bestzeit im Marathon, die Medaille um den Hals und schnell eine Folie umhängen, Tee trinken und Abmarsch in Richtung Kleiderbeutel. Marsch?? Nach der Ziellinie muss eine unsichtbare Gestalt stehen, die jede imaginäre Schraube im Bein festzieht, denn man bewegt sich von da an wie ein Roboter mit eckigen Bewegungen, vielleicht schauen auch alle auf den Boden, um nachzusehen, ob man nicht von einer Schnecke überholt wird.
Meinen Kleiderbeutel bekomme ich aus dem Container (Wechselbrücke) heruntergereicht, und kann ihn nur mit den Zähnen öffnen, die Hände sind dafür zu kalt.
Ich krieche unter den Container, ziehe meine Schuhe und Socken aus, die Hose lässt sich schwer herunterziehen, da sie ja klitschnass ist, trockene Socken und Hosen anziehen und leider wieder die nassen Schuhe. Das Lauf-Shirt und das Funktionsunterhemd gehen relativ zügig auszuziehen, der BH-Verschluss geht nicht auf, also Träger herunter und den Verschluss in Sichtweite drehen, endlich ich habe trockene Sachen an, die nasse Mütze wandert wieder auf den Kopf, eine Folie über die Schultern und eine zweite um die Hüfte und wieder hinaus in den Regen. Thomas hat mich gleich gefunden, wir sind beide glücklich, dass wir den Lauf geschafft haben. Wir wollen nur noch ins Hotel und eine warme Dusche. Verpackt in Folien schleichen wir los, es sind ja trotzdem noch 3km an der Laufstrecke entlangzugehen, es sind immer noch Läufer auf der Strecke. Ein paar Italiener stehen vor der Oper in feinem Sonntagszwirn und mustern uns mitleidig. Vor unserem Hotel entsorgen wir die Folien im Container, rein ins Zimmer und mindestens 30min heiß duschen, danach wieder schön warm anziehen und ins Bett, keine Lust zu gar nichts mehr. Wir faulenzen und essen alles auf, was wir noch so dabeihaben, nur nicht mehr aufstehen müssen.
Am Montag kann ich mich nicht mehr bewegen, ich ziehe mein linkes Bein hinterher, Thomas kann sich weder hinsetzen noch aufstehen, ohne sich mit den Armen auf den Oberschenkeln abzustützen. Zum Frühstücksraum führen ein paar Stufen, ich muss mich mit beiden Händen am Geländer festhalten, um überhaupt hinunterzukommen. Als wir beim Frühstück sitzen, kommt tatsächlich einer von den Läufern mit der Medaille um den Hals, ich kann mir das Lachen nicht verkneifen, einfach lächerlich.
Ganz langsam machen wir uns wieder auf Weg in Richtung Stadtzentrum, wir wollen noch in die Markthalle, bevor wir uns zum Busbahnhof begeben, von wo aus wir zum Flughafen fahren. Da wir ja schon beim Hinflug am Computer die Tickets ausgedruckt hatten, wollten wir ein bisschen Zeit sparen und auch hier per PC einchecken, leider funktionierte es nur für den Flug nach München, aber nicht nach Dresden. Am Schalter erfuhren wir dann, dass der Flug von München nach Dresden annulliert war und deshalb sollten wir über Frankfurt nach Dresden fliegen. Nach mehreren Stunden im Abfertigungsraum ging schließlich gar kein Flug mehr nach Deutschland und Lufthansa sei Dank wurden wir in ein 4 Sterne-Hotel gefahren, bekamen dort noch ein Abendessen. Der neue Plan lautete, 7.00Uhr mit dem Bus nach Rom und von dort aus dann nach Frankfurt und irgendwann weiter nach Dresden. Also verbrachten wir eine weitere Nacht in Italien und genossen am nächsten Tag die Fahrt nach Rom. Auch von Rom aus ging es wieder mit Verspätung weiter. In Frankfurt warteten wir auch noch Stunden, bevor gegen 22.30Uhr das Flugzeug endlich in Richtung Dresden abhob. Dort erwarteten uns eine Schneepracht und ein teures Parkhausticket. Gegen 1.00Uhr endete die Reise wieder am Ursprungspunkt in Chemnitz.
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