20.06.2020 | 7:15 Uhr | 206,6 km | 1.364 Hm+ | 1.364 Hm- | (Trainingsfahrt) |
Mitte der Woche vermeldete die regionale Presse völlig überraschend (und im feinsten Neudeutsch formuliert) den achten Meistertitel der Münchner Berufsfußballer in Folge: "Gierige Bayern können unter Flick auch Corona-Meisterschaft" (FP, 17.06.2020). Diese Phalanx der Rot-Weißen erinnerte mich ein wenig an den Werbeklassiker "Raider heißt jetzt Twix - sonst ändert sich nix" und zog zeitgleich Parallelen zu einer der wichtigsten Fragen in unserer Radel-Truppe. Denn was ist, wenn "unser" Chef-Radrouten-Organisator Tilo (nach mehr als acht hervorragend von ihm eingetakteten Radpartien) von Enrico die Planung einer Rundfahrt vor die Nase gesetzt bekommt? Kann man dann bedenkenlos "Raider" durch "Tilo" sowie "Twix" durch "Enrico" ersetzen und "Können gierige Radtouris unter Twix auch Radausflug?" Die folgenden Zeilen versuchen nun Licht in dieses Dunkel zu bringen.
Für diese Recherche bietet sich der 20. Juni als zweitlängster Tag des Jahres 2020 regelrecht an. Zwar wäre am 25. Oktober, aufgrund der Zeitumstellung immerhin 25 Stunden Tageszeit dafür vorhanden - der "Lichtanteil" dieses Herbsttages ist jedoch wesentlich geringer, als die 16 Stunden und 31 Minuten der diesjährigen Sommersonnenwende.
Die Skepsis ist jedenfalls groß, schließlich geht es bei der Planung und Durchführung um Tilos geschaffene Standards, welche man ungern zurückschraubt. Na gut, manchmal wünsche ich mir schon ein schnelleres Ende der Tortur oder ein bißchen mehr Kraft in den Knochen. Ich frage mich dann insgeheim, wer sich diesen Quatsch ausgedacht hat und warum ich nicht einfach mal "Nein!" gesagt habe. Im Großen und Ganzen hat jedoch Tilos Rundum-Paket Hand und Fuß! Nun gibt es aber neben Tilo auch andere "Anbieter", wie eben Enrico. Er stellt gleichmal so zum Auftakt 'nen Zweihunderter in den Raum - für Radfahrer sicherlich eine übersichtliche Distanz. Strecken in dieser Größenordnung habe ich vor Jahren sogar zu Fuß zurückgelegt, doch da hatte ich keinen Sattel am Arsch und keine schmerzenden Füße von den Klickpedalen. Man darf also gespannt sein, wie Enrico das "Gesamtpaket Tagesfahrt" schnürt. Hat er genügend Sehenswürdigkeiten an der Strecke plaziert? Hat er für das leibliche Wohl Sorge getragen? Oder soll es gar "nur" das von ihm angepriesene Überraschungsgetränk am Ende des Ausflugs 'rausreißen ... sozusagen als letzter Versuch, den Tag doch noch in schöner Erinnerung behalten zu können?
Mit der Auswahl des Wetters hat Enrico jedenfalls kein glückliches Händchen. Enrico, das ist (gelinde gesagt) eine Frechheit! Hast du etwa gedacht, wir fahren gern mit Regenjacke und Schirm los? Das kann ja wohl nicht wahr sein - daher steht es nicht nur 1:0, sondern gleich 2:0 für Tilo. Doch Tilo verspielt diese komfortable Führung, weil er der Meinung ist, seine anstehende HU am Fahrrad (Luft- und Schlauchwechsel am Hinterrad) unserem Treffen vorzuziehen. Während wir also zu dritt leicht fröstelnd im Nieselregen am vereinbarten Treffpunkt stehen, werkelt Tilo unweit seiner Wohnadresse an seinem Gefährt herum. Auch wenn dies nichts mit der direkten Durchführung des heutigen Tages am Hut hat, sind seine Arroganz Eigentor Nr. 1 und unser Auskühlen der Muskulatur Eigentor Nr. 2 - mit Gleichstand geht es also auf die Strecke.
Kurz darauf sammeln wir mit Siggi den fünften Teilnehmer unserer Gruppe vom Streckenrand. Als Begrüßungsgeschenk hält er einen Helm für Enrico parat, der sich in Form und Material grundlegend von den üblichen Bedachungen unserer Radfahrergilde unterscheidet. Schließlich hat Enrico heute den Hut auf und möchte sich deshalb auch von seinen Mitstreitern stilvoll abnabeln. Diesen Fakt in die Bewertung seines Organisationstalents einfließen zu lassen, maße ich mir nicht an. Vielleicht hätte ihn ein quittegelber Bauhelm oder ein orangfarbener Waldarbeiterhelm noch besser in Szene gesetzt, als diese "Skatermütze"? Aber auch so ist er für den Außenstehenden klar als so eine Art Führender auszumachen, zumal er dies zusätzlich mit der kartoffelkäfergelben Jacke seines Laufvereins untermauert.
Auf dem Chemnitztal-Radweg verlassen wir die Stadt Richtung Schweizerthal. Wo Tilo erstmal korrigierend in Enricos Streckenverlauf eingreift. Es gibt daher keine Wenzlau-Kuppe, sondern den knackigen Diethensdorf-Climb (oder so ähnlich - bin ja noch nicht so in die Radfahrersprache eingeweiht). Über ein paar Umwege würden wir als nächstes Etappenziel Rochlitz anfahren, wenn da nicht der (von Siggi patentierte) Kontrollzwang an Material (Schlauch + Mantel) und Betriebsstoffen (Luft) des Hinterrades dazwischen käme. So wird also in Zetteritz Tilos Rad auf die Hinterbeine gestellt und dem zweiten Teil der heutigen Fahrrad-Inspektion gefrönt. Angeblich hätte er in der Woche keinen Werkstatt-Termin mehr bekommen und muß dies nun während so einer Rundfahrt mit abdrücken. Immerhin noch besser, als wenn so eine "Panne" unterwegs passiert! Somit steht es wiederum Unentschieden, da sich die abwechslungsreiche Streckenverlegung und die unaufschiebbare Reparatur egalisieren.
Wie groß Tilos Einfluß auf die folgenden Kilometer ist, ist mir nicht überliefert. Wir fahren jedoch recht störungsfrei von Zetteritz durch das Mühlental nach Rochlitz und weiter nach Colditz. Der kleine Abzweig zum Muldenzusammenfluß bei Sermuth ist jedoch Tilos Idee, der mit solchen Sticheleien vereinsintern die Planungshoheit behalten will - diese Vereinsmeierei ist mir dann doch zu banal und bleibt daher unbewertet. Ein Viertel der geplanten Kilometer ist nun auf dem Tacho, die Zeit durch Tilos Mechanikerstunden allerdings schon weit(er) voraus. Es können somit keine Pausen mehr eingelegt werden!
Zum monotonen Gestrampel gesellt sich nun auch noch ein strammer Gegenwind. Die Überlandfahrten zwischen Kössern und Espenhain über Großbardau und Otterwisch lassen daher die Beine die Wucht einiger Alpenpässe fühlen. Auch die Fahrt um den Störmthaler See wird durch regelmäßigen Wind von vorn in ihrem Tempo stark behindert. Dafür entschädigt aber der Blick auf den See und (bedingt) auch auf die Bebauung (welche im Gegensatz zum Hainer See architektonisch etwas abwechslungsreicher ist). An dessen nordöstlichen Ende thront über dem Ufer "unser" Verpflegungspunkt "Speisewagen No. 51". Dort gibt es nach 102 absolvierten Kilometern die zweite Rast. Enrico empfiehlt dabei die angebotenen selbstgemachten Eierkuchen - basierend auf dem Kaufverhalten der Anwesenden, sicherlich ein sehr wohlschmeckendes Angebot und daher positiv in die Beurteilung von Enricos Ausflugsziel einzubeziehen. Ich selbst kann mich an diesem Verkostungsmarathon nicht beteiligen, da ich vorrangig bestehenden Durst bekämpfen muß. Der einheimische Radprofi bevorzugt dabei die 0,33er Cola-Gebinde. Doch was, bitteschön, soll an den braunen Halbliterflaschen mit Elektrolyten und martialischer Aufmachung (Ritterbüste auf dem Etikett!) so grundlegend falsch sein? Etwa, weil man dazu keine Gratispackung Wachsmalstifte bekommt?
Im weiteren Verlauf der Tourenplanung im Bereich des Leipziger Neuseenlands wird nun auch dem gemeinen Radfahrervolk Gehör geschenkt. Nicht Tilo oder Enrico entscheiden! Nein, alle dürfen ihre Vorschläge einbringen und letztendlich wird Siggis Meinung für alle gleichgesetzt. Es wird also nicht noch der Markkleeberger See umrundet, sondern der Bergbau-Technik-Park besucht. So werden gleich noch ein paar (vielleicht zwei?) Kilometer von der Karte genommen und bei einer anschließenden Brückenquerung läßt sich in allem Überschwang noch eine darunter hindurchfahrende Kahnpartie bedrohen. Unsere gesangliche Botschaft ist dabei eindeutig: der Spreewald-Klassiker "Ich steh' auf der Brücke und spuck' in den Kaaahn. Da freut sich die Spucke, daß sie kahnfahren kaaahn." klingt aus fünf heißeren Kehlen. Da wir der Kahnbesatzung damit maximal ein müdes Lächeln abgewinnen können, verzichten wir auf eine Umsetzung dieses provokativen Textes.
Der Technik-Park wird aus Zeitgründen dann nur von außen inspiziert - der 204 Meter lange und 49 Meter hohe Abraumabsetzer 1115 ist ja auch "über den Zaun" gut zu erkennen. Ein weiterer Hingucker der Tour ist ein paar Radweg-Kilometer weiter Kap Zwenkau: Beton über Beton ... und im noch nicht erschlossenen Gelände abgestellte Baumaschinen lassen eine weitere Bebauung des Ufers erahnen. Bei der dort stattgefundenen Bauwut könnte man annehmen, der Zwenkauer See wird ausschließlich über das Regenwasser dieser millionenschweren Bodenversiegelung gespeist.
Am Industriegebiet Böhlen-Lippendorf vorbei, radeln wir weiter über Borna (Getränkenachschub im Supermarkt) nach Frohburg (Straßengrabenbesuch nach Klickpedalen-Klassiker). Dort biegen wir vom Großstadtverkehr in die Dorfidylle ab und wählen die Landstraßenromatik von Syhra und Kolka, sowie den Anstieg zum Brenner - natürlich nicht den 1.370 Meter hohen Übergang nach Südtirol, sondern die nur 259,19 Meter über Null liegende Kuppe zwischen Ossa und Wenigossa. Ein beliebtes Motiv für die privaten Fotoalben, welches später den Betrachter am entbehrungsreichen Leben in unserer Freizeit teilhaben läßt. Diesen Gebirgspaß hätten wir laut Enricos Planung nie zu Gesicht bekommen, denn seine Route wäre über Thüringen verlaufen, so wie wir sie erst vor zwei Wochen in der Gegenrichtung unter die Räder genommen haben. Deshalb erwies sich Tilos Korrektur als Glücksgriff, zumal auch im westlichen Teil schwarz-graue Wolken die Landschaft bedecken, während wir auf Tilos Streckenverlauf sogar sonnige Abschnitte zu verzeichnen haben.
Doch zu viel Sonne verursacht zu viel Schweiß! Punktabzug Tilo! Gleichstand! Vielleicht sogar Rückstand? Begründung: der später folgende Anstieg von Lunzenau nach Cossen und hinüber nach Burgstädt ist nicht weniger schweißtreibend - zumindest bei mir. Es folgen zwar noch ein paar schattige Kilometer auf dem Chemnitztal-Radweg und um den Schloßteich, ich bin jedoch heilfroh danach die Mütze vom Kopf nehmen zu können und mit gekühlten Getränken aus Enricos Keller den Körper temperaturmäßig herunterzufahren. Bei dieser Interpretation der Sofortregeneration kommen Bügelverschlußflaschen und Cocktailgläser zum Einsatz und der Tag der Sommersonnenwende läßt zudem auch noch eine längere flüssigkeitsabhängige Erholung zu. Fazit: scheiß Beginn - toller Tag - klasse Abschluß!
Zusammenfassung: Ich will es mir ja prinzipiell mit keinem der beiden verscheißen, könnte aber auch gut und gerne beide gegeneinander ausspielen. Dafür bräuchte ich nur einem der beiden Ideengeber die bessere Planung zusprechen. Dann würde sich der andere gedemütigt fühlen und die Meßlatte für die nächste Tour noch höher legen. Damit wäre allen Beteiligten geholfen. Ich weiß jedoch nicht, wen ich bevor- oder benachteiligen soll, denn schließlich wurden noch keine Briefumschläge bei mir abgegeben und auch auf meinem Konto konnte ich noch keine großen Transfers registrieren. Schade, da wurde wirklich eine Chance verpaßt! Und so bleibt bis zur nächsten größeren Kontobewegung ein "Unabhängige Gutachter können bei Nichtbezahlung auch kein Urteil" im Raum stehen.
Bilder: Enrico (1), Ute (2), Siegfried (2), Tilo (6), Thomas (15)